no-racism.net logo
 
pfeil zeigt auf no-racism.net logo rassismus

 

[ 21. Sep 2017 ]

Wahlkampf 2017: Das Rassismuspapier der Liste Pilz

Nein, so geht's nicht!

"Große Aufregung gab es diese Woche um Peter Pilz. Trotz Kritik an seinem ausländer- feindlichen Papier legt Pilz jetzt nach. Er sagt, er wolle weiter ausländer- feindliche Papiere verbreiten. Seit heute ist Pilz Austräger der Kronenzeitung."

 

Damit kommentiert die neue Satiresendung "Tagespresse aktuell" auf ORF 1 die aktuelle Auseinandersetzung um das "Arbeitsprogramm: Flüchtlingspolitik" der Liste Pilz. Vor allem die Entstehung dieses Papieres sorgte in den vergangenen Tagen für Aufmerksamkeit: Der Ex-Grüne Peter Pilz startete damit laut eigenen Angaben im Jahr 2016 seinen letzten Versuch, seine ehemalige Partei "zur Vernunft zu bringen". Doch dies sei ihm nicht gelungen.

Das vom angeblichen Linkspopulisten Peter Pilz veröffentlichte Papier trug den entlarvenden Titel "Österreich zuerst". Unter eben diesem Namen hatte im Jahr 1992 die FPÖ unter Jörg Haider das sogenannte "Anti-Ausländer_innenvolksbegehren" durchgeführt. Warum verwendete der Initiator der zu den Nationalratswahlen 2017 in Österreich antretenden Liste Pilz im Zusammenhang mit Asyl- und Migrationspolitik diesen Namen, der eindeutig mit Rassismus in Zusammenhang steht? Im folgenden wollen wir dieser Frage nachgehen.


Populistisch: ja, aber wie? Links oder Rechts?


Rechtspopulismus dient unter anderem dazu, ideologische Themen zu verbreiten. Nun werden wohl viele die Meinung vertreten, dass der ehemalige Grüne Abgeordnete Peter Pilz mit Rechtspopulismus nichts am Hut hat. Doch ebendieser gab nach Gründung seiner Liste immer wieder an, dass er unter anderem versuche, Wähler_innen der FPÖ zu gewinnen. Diese Aussage stieß vor allem bei den fragenden Journalist_innen auf Verwunderung.

Denn Pilz steht zu Populismus, scheint sich dabei aber irgendwie trotzdem links positionieren zu wollen. In ATV Reality Check zur Wahl erklärte Pilz, was er unter Populismus versteht: Dieser sei nichts anderes als "volksnah" zu sein, auf die Stimmen und "Ängste" der Bevölkerung zu hören und daraus Politik zu machen.

Nachdem Pilz bei den Grünen im Zuge einer Abstimmung am Bundeskongress über die Kanditat_innen für die Nationalratswahlen 2017 kein aussichtsreiches Mandat für den Nationalrat mehr erhielt, gründete dieser eine eigene Partei, die Liste Pilz. Mit dieser tritt der Ex-Grüne bei den kommenden Wahlen an.


Welche Vernunft bitte?


Mit dem kürzlich bekannt gewordene Papier von Peter Pilz aus dem Jahr 2016 wollte dieser damals noch als Grüner Abgeordneter seine ehemalige Partei "zur Vernunft bringen", wie er nun argumentiert. Nachdem er zuerst bestritt, dass das Papier mit dem Titel "Österreich zuerst" von ihm stammt, ist es mittlerweile in überarbeiteter Form und mit neuem Titel Teil des Partei- bzw. Arbeitsprogrammes der Liste Pilz. Anfangs gab es sogar innerhalb der Liste Pilz, vor allem von weiteren Ex-Grünen, Kritik an dem Papier. Pilz relativiert, dass es nur an einzelnen Formulierungen Kritik gegeben habe und gesteht ein, dass er nicht alles perfekt formuliert habe. Doch nachdem es parteiintern über- bzw. erarbeitet wurde, wird es von den internen Kritiker_innen mittlerweile mitgetragen und sei in der jetzigen Form das Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre.

Der neue Titel des Arbeitsprogramm zur Flüchtlingspolitik lautet ganz in Anklang an die Werbelinie der Liste Pilz: "Ja, es geht! Ein Weg nach Europa und für Europa."

Einige zentrale Punkte des Programms sind:
* "Europa kann sie nicht alle aufnehmen."
* "Europa wird die Flüchtlingskrise nicht lösen."
* "die Grenzen Europas penibel zu kontrollieren, (...) um illegale Einwanderung zu unterbinden."
* "unabdingbare Voraussetzung: legale Fluchtwege nach Europa."
* "Wer in Europa leben will, muss 'Europäer werden'".
* Der Kampf gegen Fluchthilfe, begleitet von Abschiebungen: "Wer (...) nicht bleiben kann und nicht gehen will soll rückgeführt werden."
* Die Internierung in Flüchtlingslagern außerhalb der EU, in denen die Leute sich für Asyl qualifizieren müssen, auf Österreich vorbereitet werden oder auf die Rückkehr in ihr Heimatland warten sollen.
* Es folgen weitere Slogans wie "Hilfe zum Bleiben", "Frauen schützen", "keine Waffen liefern", "in Integration investieren", "vor Lohndumping schützen", "die EU retten" usw.

Was im Arbeitsprogramm nicht mehr vorkommt, ist der politische Islam, der laut Medienberichten im ursprünglichen Papier noch als Feindbild dargestellt wurde. (Dazu mehr am Ende dieses Artikels.)

Die oben genannten Punkte des Programms sind in weiten Teilen kompatibel mit den rassistischen Vorschlägen der drei großen Parteien SPÖ, ÖVP und FPÖ.

Für Peter Pilz ist das vorgeschlagene Programm Ausdruck der "Vernunft" und verschaffe ihm "Glaubwürdigkeit" in der Ausländer_innenpolitik. Und eben diese "Glaubwürdigkeit" sei Voraussetzung dafür, dass einem_r die Leute überhaupt zuhören.


Das Problem liegt im Detail: Selektion ist rassistisch!


Ich bezeichne die von Pilz vorgeschlagenen Punkte als unrealistisch Konzept. Es setzt voraus, dass Geflüchtete zuerst längere Zeit (die Rede ist von sechs Monaten) in Lagern verbringen.

Der genauere Blick erkennt darin ein Spiel mit Menschen: Wenn diese sich in der Probezeit - fernab vom Ziel - bewähren und brav deutsch lernen, dann haben sie Chancen, im Rahmen eines Selektionsverfahrens von Österreich aufgenommen zu werden. Ein Problem dabei dürfte sein, dass immer wieder damit argumentiert wird, dass sich die Menschen nicht aussuchen könnten, wo sie Asyl stellen. Wenn sie nun in einem Lager weit weg von Europa die Möglichkeit erhalten sollen, einen Asylantrag zu stellen, woher sollen sie wissen, welche Sprache sie lernen sollen? Allein dieser Umstand belegt, wie unüberlegt das Papier ist. Oder vielleicht doch nicht? Richtet es sich nicht doch eher an die Menschen in Österreich und an deren "Ängste", als an die Bedürfnisse der Menschen, die nach Europa kommen wollen?

Grundlage des Papieres bildet eine, nennen wir es: Selektionspolitik. Da nicht alle nach Europa kommen können, müsse Europa entscheiden, wer kommen darf. Im Papier wird dazu folgendes Konzept präsentiert:

"Österreich kann für die EU ein eigenes, besseres System in drei Stufen entwickeln.
Stufe 1: Auswahl der Flüchtlinge vor Ort: (...)
Stufe 2: Österreich-Vorbereitung: (...)
Stufe 3: Die Flüchtlinge kommen legal nach Österreich. (...)"


Wie nicht anders zu erwarten von derartigen Konzepten werden Tatsachen verdreht und populistische Begriffe verwendet. So wird unter Schritt 3 angeführt: "Wer die Schlepper-Lager in Libyen als Lösung ausgibt, lässt die Menschen in Stich." Diese Argumentation verschleiert, wer für die Lager in Libyen verantwortlich ist. Die Rolle der EU bei der Errichtung und der Finanzierung dieser Lager wird komplett ausgeblendet. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da mit dem "Arbeitsprogramm: Flüchtlingspolitik" vor allem positiver Bezug auf die EU in der Rolle der Migrations- und Asylpolitik genommen wird: "Ein Weg nach Europa und für Europa.".

Die Liste Pilz bedient sich der populistischen und rassistischem Metapher des Kampfes gegen Fluchthelfer_innen - die in derartigen Papieren immer als "Schlepper" bezeichnet werden. Unter Punkt 7: "Kampf gegen Schlepper" ist zu lesen:
"Wenn es legale Fluchtwege nach Europa gibt, ist es klug, allen klarzumachen: Wer mit Schleppern kommt, kein Recht auf Asyl hat und bei der Rückführung nicht persönliche Verfolgung zu erwarten hat, muss wieder zurück. Und an seiner Stelle erhalten die, die in den UN-Lagern warten und dort ins Verfahren einsteigen, den Vorzug. Nur so kann die EU den Kampf gegen die organisierte Schlepperkriminalität und ihre Milliardengeschäfte gewinnen."

Jene, die sich ein wenig genauer mit Migrationspolitik auseinandersetzen und das profitable Geschäft mit dem Visahandel kennen, sollten schnell erkennen, dass diese "schönen Worte" in keinster Weise mit der Realität in Einklang stehen. Viele Menschen haben gar kein Interesse, sich derartigen Mechanismen auszusetzen. Sie haben ein Ziel vor Augen und wollen dieses erreichen. Wenn sie in den UN-Lagern, die immer wieder ins Treffen geführt werden, auf ihre Reise nach Europa warten und das Selektionsverfahren nicht positiv bestehen: Was dann? Wohin sollen sie gehen? Welche Perspektiven haben sie?

Ein Konzept wie das oben beschriebene kann vielleicht kurzfristig zu einer "Entspannung" führen, doch wird es die Probleme in keinster Weise lösen. Wie wenig Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen auf der Flucht - vor wem und mit welchem Ziel auch immer - in diesem Papier zum Ausdruck gebracht wird, verdeutlicht "Punkt 8. Rückführen":

"Wer nach einem negativen Ausgang des Asylverfahrens nicht bleiben kann und nicht gehen will soll rückgeführt werden - auf der Basis verbindlicher Abkommen mit den Herkunftsstaaten. Der Außenminister darf nicht länger auf die EU warten und muss endlich ernsthafte Verhandlungen mit den Herkunftsstaaten führen. Aber es gibt Staaten, in die nicht abgeschoben werden kann - und darf."

Wer no-racism.net kennt, wird wissen, dass wir gegen Schubhaft und Abschiebungen sind. Und dies aus gutem Grund, denn diese sind Instrumente des institutionalisierten, staatlichen Rassismus.

Im derzeitigen Wahlkampf scheint es einen bisher kaum dagewesenen Konsens zu geben: So gut wie alle Parteien fordern Rückführungen. Das Argument, dass dem zugrunde liegt, steht ganz am Beginn des "Arbeitspapieres" der Liste Pilz: "Europa kann sie nicht alle aufnehmen." Auch diese Aussage scheint mittlerweile zum Teil des rassistischen Konsens der wahlwerbenden Parteien zu sein. Die rassistische Losung vom "vollen Boot" wird durch die sprachliche Neufassungen "wir können nicht alle nehmen" oder "es können ja nicht alle kommen" abgelöst (Anmerkung: Der Standard schreibt dazu: "Wo im Ursprungsdokument 'Europa voll' gestanden war, heißt es nun 'Nicht alle'"). Dass sich die Menschen von derartigen Parolen kaum von ihrer Entscheidung zur Flucht bzw. Migration abbringen lassen, ist bekannt. Und viele, die es aller Hürden zum Trotz bis nach Europa schaffen, wird sehr oft jegliches Recht verwehrt. Sie werden eingesperrt und ihnen wird die "freiwillige Rückkehr" nahegelegt. Die ständige Drohung mit der Abschiebung und das Leben in permanenter Angst soll sie dazu bewegen, "freiwillig" zu gehen. Denn die EU hat schon lange die "freiwillige Rückkehr" zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Abschiebepolitik erklärt. Hintergrund ist unter anderem, dass zur Durchführung einer Abschiebung die Zustimmung jenes Landes erforderlich ist, in das abgeschoben wird. Um die behördlichen Maßnahmen bei Rückführungen zu erleichtern, werden sog. Rückführungsabkommen geschlossen. (Ein Beispiel ist das Ende Oktober 2016 zwischen der EU und Afghanistan geschlossene Abkommen, mehr dazu :: hier und :: hier).

Dass nicht in jedes Land abgeschoben werden kann, beispielsweise wenn dort Krieg herrscht, wird unter anderem durch Flüchtlings- und Menschenrechtskonventionen festgelegt, zu denen sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten nach wie vor bekennen (auch wenn dies in der Praxis meist ganz anders aussieht). Deshalb will die EU "regionale Schutzzonen" einrichten, oder eben Lager entlang der Migrationsrouten. Die Liste Pilz greift diesen Ansatz auf und will laut Punkt 9 "dass die Flüchtlinge in den UN-Flüchtlingslagern von der Türkei bis Jordanien, dem Libanon und dem Nordirak gut versorgt werden, mit Lebensmitteln, mit Schulen, mit medizinischer Betreuung. Vor Ort wissen alle: Das Gros der Flüchtlinge glaubt an die Heimkehr und will nicht nach Europa. Aber ohne Lebensmittel und Schulen für ihre Kinder müssen sie weiter."

Auch hier zeigt sich einmal mehr, wie realitätsfern das "Arbeitsprogramm" der Liste Pilz ist. Wenn sich Menschen auf den Weg nach Europa begeben, dann mit gutem Grund. Wer will schon für Jahre in einem Lager leben, ohne Aussicht auf ein normales Leben. Vor allem dann, wenn es keine Perspektive zur Rückkehr gibt. Der Aufenthalt in einem Lager kann mitunter einem kurzen Stopp auf der Reise in ein menschenwürdiges Leben dienen. Was die Liste Pilz - in Bezug auf die aktuelle EU-Migrations- und Asylpolitik - vorschlägt, ist der Ausbau des Lagersystems, in dem Menschen in ständiger Abhängigkeit leben, oft ohne Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Wer solche Konzepte vorschlägt, ignoriert das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, ignoriert, dass diese Perspektiven wollen, Perspektiven auf ein Leben in Würde.

Vor diesem Hintergrund muss das "Arbeitsprogramm: Flüchtlingspolitik" der Liste Pilz verstanden werden. Als ein Papier von Menschen, die sich das Recht herausnehmen, über andere zu entscheiden. Dass dieses Gehabe eingebettet ist in ein latent rassistisches Weltbild werden wohl alle bestreiten, doch dies ändert nichts an der Tatsache, dass es so ist.


Antiislamismus


Zum Ende dieses Artikels noch ein Verweis auf ein Thema, das im Wahlkampf so gut wie nie beim Namen genannt wird: Antiislamismus.

Obwohl das Feindbild "politischer Islam" aus dem Arbeitsprogramm zur Asylpolitik der Liste Pilz verschwunden ist, Teil des Pilzschen Populismus ist es nach wie vor.

In der bereits oben genannten Sendung auf ATV wird Peter Pilz auf seinem Wahlkampf begleitet. Mehrere Leute kommen zu Wort, so auch eine Frau, die sich froh darüber zeigt, dass endlich "eine Alternative im linken Spektrum" da sei, die die Bedrohung durch den politischen Islam "ernst nehme". Sie findet es problematisch, dass Islamkritiker_innen als Rassist_innen bezeichnet werden. Pilz gab ihr recht und erklärte, warum dies so sei: "Weil sie es nicht verstanden haben, sie glauben dass dies alles bessere Menschen sind ..."

Wie abgehoben derartige Aussagen von Pilz sind, ist ihm offensichtlich nicht bewusst. Alle, die nicht seine Meinung vertreten, seien "nicht vernünftig" oder würden "es nicht verstehen". Dass es eine klare Haltung gegen Rassismus und Antiislamismus gibt, scheint er vergessen zu haben. Oder ist ihm das in seiner langjährigen Tätigkeit als Abgeordneter im Parlament entgangen?

Er inszeniert sich selbst als nicht ausländer_innenfeindlich. Zur Frage "Ausländer raus" sagt er: "Aber sicher nicht mit mir". Außerdem will Pilz "unsere Türken und Türkinnen vor Erdogan schützen". Doch hindert ihm dies alles nicht daran, mit antiislamistischen und rassistischen Haltungen auf Stimmenfang zu gehen.

Pilz will Kontrolle, vor allem eine Kontrolle der Regierung. Doch gleichzeitig setzt er auf die gleichen Karten wie die Parteien, die er einerseits kontrollieren will, mit denen er andererseits zusammen arbeiten kann - wie er selbst sagt.

Seine Lösungen sind wohl in "schönere Worte" verpackt als jene eines Sebastian Kurz, eines H.C. Strache oder auch eines Christian Kern.
Mit den genannten Politiker_innen ist ihm gemein, dass sich ihre Propaganda an die "Ängste der Leute" richtet, die sie mit ihren populistischen Aussagen erst schüren.