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[ 14. Sep 2017 ]

Die Reichen, die die Armen brauchen - und gegeneinander ausspielen

Im Wahlk(r)ampf kommt vieles viel deutlicher ans Tageslicht, weil die Menschen plötzlich denken, dass es um etwas geht. Und ja, es geht um etwas, es geht um viel: Es geht um die Zukunft, es geht um Friede und Freiheit. Und um Wohlstand. Doch für wen?

 

Die intensive Phase des Wahlkampfes hat eben begonnen, wie uns die Moderator_innen der diversen Talkshows erzählen. Unzählige "Duelle" stehen am Programm, in denen sich die Wahlwerbenden bekämpfen. Die Methoden, ja über die Methoden lässt sich streiten. Doch nicht nur um die Methoden, sondern auch um die Interpretationen der Gespräche, die belegt von Meinungsumfragen die Manipulation weiter führen. Und wahrlich, es handelt sich dabei um eine massive Manipulation. Es scheint, der Verstand der Politiker_innen - wie der Kommentator_innen - ging irgendwo verloren. Auch wenn dies geleugnet wird und Hetzer_innen mittlerweile als staatstragende, regierungsfähige Stimmen wahrgenommen werden.

Doch hören wir mit der polemischen Analyse auf und begeben uns auf eine inhaltliche Ebene, die viele der zu den Duellen angetretenen Politiker_innen für sich beanspruchen, obwohl davon weit und breit nichts zu bemerken ist. Hier werde ich mich auf ein paar wenige Punkte beschränken. Müßige Diskussionen über den Klimawandel, Umweltschutz usw. lasse ich mal außen vor, angesichts der Bilder von Naturkatastrophen, die tagtäglich über die Bildschirme flimmern.

Gehen wir direkt zum wohl zentralsten Thema über: Es sind insbesondere die armen Menschen, und die, denen Einbußen ihres Wohlstandes droht, die massivst umworben werden. Das Mittel ist ganz einfach: Die Schuldigen für die Probleme werden unter den Armen selbst gesucht, eine Gruppe wird definiert und der Rest gegen diese aufgehetzt. Eine Methode, die sehr zweifelhaft ist, mittlerweile aber "staatstragend" wurde - und dies nicht nur in Österreich. Doch hier beschränken wir uns mal auf dieses kleine Land, mit seiner Geschichte und der damit verbundenen Verstrickung in zwei Weltkriege, die Gewaltherrschaft der Nazis und deren Massenmord. Diese Geschichte ist wohl aus dem Gedächtnis vieler Menschen verschwunden, wird verleugnet. Nicht nur, dass die Zeit des Austrofaschismus längst vergessen wurde (Das Dollfußbild aus dem ÖVP-Parlamentsklub übersiedelte kürzlich ins Museum), mittlerweile scheint es akzeptiert, selbst die Politik der Nazis unter dem Applaus der Massen verharmlosen zu können. Ob jetzt der Faschismus an sich das große Problem ist, sei mal dahingestellt. Doch ist sicher, dass die Methoden vieler Politiker_innen in Richtung autoritärer und totalitärer Strukturen zielen. Wenn sich beispielsweise ein Hampelmann mit der absoluten Macht von seiner Partei ausstatten lässt und nur noch auf die rassistische Karte setzt, damit die Reichen in Schutz nimmt und in Zeiten des Wohlstandes die Armen gegeneinander ausspielt. Wenn er vor einer "Zuwanderung ins Sozialsystem" warnt, meist mit dem Zusatz "unser Sozialsystem". Da wird eine "Volksgemeinschaft" beschworen, eine scheinbare Einheit, die so nicht gegeben ist. Denn viele Menschen lehnen dieses rassistische, vom Sozialdarwinismus geleitete Weltbild ab. Sind dagegen. Und genau an diesem Punkt wird die Spaltung der Gesellschaft deutlich.

Die Methoden sind bekannt, doch werden sie - und das ist wesentlich - offenbar nicht durchschaut. Ich finde nicht, dass wir dies nur mit fehlender Bildung erklären können, denn dies zieht sich durch alle Bildungsschichten. Vielmehr hat es mit einer jahrelangen Gehirnwäsche zu tun, der die Menschen ausgesetzt sind. Ihnen wird erklärt, es gäbe eine Krise, alle müssten sparen, damit "wir" da durch kommen - obwohl es sich, wenn wir von einer Krise des Kapitalismus reden, um eine globale Krise handelt. Und diese ist hausgemacht, mit einem klaren Ziel: Die Profite sollen steigen, die Reichen noch reicher werden. Vielen wird die Möglichkeit gegeben, sich daran zu beteiligen und mitzuspielen. Sie können ihr Geld risikoreich veranlagen, mit dem Versprechen, damit viel Geld machen zu können. Und genau diese Versprechen waren die Ursache der Krise, denn es ist klar, Gewinne können nur dann gemacht werden, wenn andere Verluste machen. Dies ist eine rein mathematische Logik, die in den meisten Analysen nicht beachtet wird. Oder mit anderen Worten gesagt: Damit es Reiche gibt, braucht es die Armen.

Wenn Wahlen anstehen, dann kommt es darauf an, dass auch die Armen umworben werden. Da werden dann (falsche) Versprechungen an die Bezieher_innen von Mindestpensionen oder kleinen Gehältern gemacht. Die Lohnnebenkosten sollen sinken, damit die Leute mehr verdienen können. Wer sich ausrechnet, wie viel durch diese Maßnahmen mehr im Börsel bleibt, wird schnell sehen, dass dies Propaganda ist. Für jede und jeden einzelnen gibt es am Ende ein paar Euro mehr. Doch für jene, die andere Menschen für sich arbeiten lassen, für die zahlt es sich aus. Denn sie bekommen dieses Zuckerl nicht nur von einer einzelnen Person, nein: Jede Person, für die sie weniger Abgaben zahlen müssen, bedeutet ein Mehr am Konto, ein Konto das meist ohnehin prall gefüllt ist - oft aber so gut versteckt, dass die Finanzbehörden keinen Einblick haben. Rein die Finanzflüsse die in Folge des Steuerabkommens mit der Schweiz und Liechtenstein zurück nach Österreich geflossen sind, sind für "den kleinen Mann" und "die kleine Frau" utopisch, nicht vorstellbar. Und das interessante ist, dass nun in jedem Fall überprüft werden muss, ob da nicht auch ein paar nicht versteuerte Euros dabei sind. Da frag ich nur: Warum bitte wurde dieses Geld im Ausland geparkt? Sicher nicht, weil es dort mehr Zinsen gibt.

Ein weiterer Fakt ist, dass die Superreichen kaum Steuern zahlen. Sie parken ihr Geld in Stiftungen oder investieren es - und vermehren ihre Besitztümer. Die Leuten, die die Gewinne mit ihrer tagtäglichen harten Arbeit erst ermöglichen, bekommen falls überhaupt eine kleine Gehaltserhöhung. Oder sie müssen sich anhören, dass "wir" gerade in einer Krise stecken, oder die Firma investiert - und deshalb heuer die Gehaltserhöhung leider nicht erfolgt.

Sehen wir uns mal die Argumente rund um niedrige Löhne und Pensionen genauer an: Da werden mittlerweile selbst von manchen Hetzer_innen Mindestlöhne und -pensionen gefordert. Wie diese finanziert werden sollen, da scheiden sich die Geister. Für die Hetzer_innen ist klar: Es brauche eine Reduzierung der Sozialleistungen, einen Stopp der "Zuwanderung ins Sozialsystem", eine Einschränkung der Mindestsicherung, aber sicher keine Reichensteuer. Wer soll zahlen? Jene, die ohnehin mit wenig Geld auskommen müssen, aber sicher nicht die Reichen, denn die hätten ihren Reichtum mit harter Arbeit erwirtschaftet. Dass sie tagtäglich unzählige Menschen für sich rackern lassen, wird vergessen. Denn allen, die tatsächlich Tag für Tag harte Arbeit - oft für einen geringen Lohn - leisten, sollte bewusst sein, dass kein Mensch durch eigene Arbeit reich werden kann. Wenn ich mich aber dazu entschließe - vorausgesetzt ich habe die Möglichkeiten dazu - andere für mich arbeiten zu lassen, kann ich mein Einkommen sehr schnell multiplizieren. Denn bei jeder und jedem, der für mich rackert, verdiene ich mit. Das ist doch schön, ich brauch mich selbst nicht mehr anstrengen, und trotzdem kann ich gut leben.

Soweit mal die einfache Darstellung. Zugegebenermaßen ist alles etwas komplexer. Denn vor allem für die oft beschworenen Klein- und Mittelbetriebe ist das Überleben schwer geworden. Grund ist wohl, dass viele Betriebe nicht über das nötige Wissen oder die Möglichkeiten verfügen, wie die (ganz) Großen mit Hilfe von gut bezahlten Steuerberater_innen und Finanzexpert_innen die Gewinne so anzulegen, dass sie kaum Abgaben zahlen müssen. Deshalb stöhnen vor allem die kleineren Unternehmer_innen oft über die hohen Abgaben, müssen selbst viel Energie und Arbeit in ihre Betriebe stecken, damit diese überleben können. Einfacher ist es da, wenn ich bereits über ein kleines Vermögen verfüge und dieses "gut" anlege. Am Sparbuch bekomm' ich keinen Gewinn mehr, die Inflation sorgt zusätzlich dazu, dass mein Vermögen kleiner wird. Deshalb verspricht der Finanzsektor seit Jahrzehnten hohe Rendite für jene, die sich möglichst risikoreich trauen, ihr Geld zu veranlagen. Die Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich und wir werden hier nicht näher darauf eingehen. Doch eine Methode, die sehr große Auswirkungen insbesondere auf ärmere Menschen hat, sei hier erwähnt: Die Investitionen in Wohnbau und Land - was zu einer massiven Preissteigerung führte. Vor allem im Wohnbau wurde ein Begriff kreiert, der gut klingt, aber mit Vorsicht zu genießen ist. So wurde vor einigen Jahren begonnen, "Vorsorgewohnungen" anzupreisen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Menschen eine günstige Wohnung bekommen, in der sie dann auch wohnen. Nein, es geht darum, dass Menschen Wohnungen mitfinanzieren oder kaufen, mit denen sie dann für ihr eigenes Wohlbefinden "vorsorgen". Dass dies vor allem auf Kosten der Menschen geht, die in diesen Wohnungen leben, verdeutlichen die extrem steigenden Mieten der vergangenen Jahre. Und Menschen, die über das nötige Kapital verfügen, ganze Mietshäuser zu kaufen, deren Gewinne nehmen noch schneller zu. Da können dann schnell ein paar Millionen Euros zusammen kommen, ein Vermögen, von dem "die kleine Frau" und "der kleine Mann" nur träumen können - wie vom Lottosechser. Und nun sind es genau die Superreichen, die auf Millionen sitzen, die von vielen Politiker_innen nicht angetastet werden wollen. Superreiche, deren Interessen eben diese Politiker_innen vertreten. Denn es handelt sich meist um ihre eigenen Interessen.

Fragt sich, wie davon abgelenkt werden kann? Wie kann ich verhindern, dass mich die umworbenen Wähler_innen als einen von denen identifizieren, der die Interessen der Reichen gegen die Armen verteidigt? Das Rezept ist bekannt: Wenn die Schuldigen für die zunehmende Ungleichheit anderswo gefunden werden, wenn Gruppen identifiziert werden, die als Feindbilder dienen und die für die Gefährdung des Wohlstandes der breiten Massen verantwortlich gemacht werden können, dann können die Privilegien der Reichen bestehen bleiben - diese verstecken sich hinter einem angeblichen "Wir". Und genau daraus ergibt sich die bereits genannte "Volksgemeinschaft". "Wir", die "echten Österreicher_innen", "wir" müssen zusammen halten gegen "die", die von außen kommen und "unseren" Wohlstand gefährden. So ungefähr lässt sich das Rezept der Hetzer_innen erklären. Und wie es den Anschein hat, geht es auf. Es ist ja auch einfacher, gegen "die" zu sein, die weiter unten in der gesellschaftlichen Hierarchie stehen, das steigert das "Selbstwertgefühl" und ich muss mich nicht mit denen da oben auseinandersetzen, von denen ich ja irgendwann doch noch was erwarten kann...

Deshalb sei hier auf eine (einfache) Gleichung hingewiesen: Die Reichen benötigen die Armen, um reich zu sein. Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Ohne Armut gibt es keinen Reichtum. Ohne Reiche sinkt die Armut.