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[ 09. Mar 2000 ]

"Opfer- und Zeugenschutz" für Betroffene der Razzia im Flüchtlingslager Traiskirchen

Schreiben von Dr. Rainer an den Innenminister Strasser vom 6.3.2000

 

Herrn
Dr. Ernst STRASSER
Bundesminister für Inneres
persönlich

Herrengasse 7
1014 Wien Wien, am 06.03.2000/hr


Betrifft : "Opfer- und Zeugenschutz" für Betroffene der
Razzia vom 17.01.2000 im Flüchtlingslager Traiskirchen


Sehr geehrter Herr Bundesminister !

Ich vertrete rechtsfreundlich 32 Betroffene der am Abend des 17.01.2000 von Beamten des Landesgendarmeriekommandos NiederÖsterreich im Haus Nr. 3 des Flüchtlingslagers Traiskirchen durchgeführten Razzia.

Aus Anlaß dieses Einsatzes wurden von meinen Klienten übereinstimmend und mEn. in völlig glaubhafter Weise schwerwiegende Vorwürfe gegen die eingeschrittenen Organe erhoben. Meine Kanzlei hat rund 40 getrennte Einzelinterviews durchgeführt. Die Betroffenen stammen aus verschiedenen Sprach- und Kulturkreisen Afrikas, waren bzw. sind miteinander nicht bekannt und halte ich vorherige Absprachen nicht zuletzt deshalb für ausgeschlossen.
Die Vorwürfe reichen vom offensichtlich rassistisch motivierten Einschreiten einzelner Beamter, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen, Mißhandlungen und körperverletzungen, über das vorsätzliche Quälen von Gefangenen bis hin zu völlig anlaß- und rechtsgrundlosen sowie jeweils coram publico durchgeführten Entkleidungen und Anal- bzw. Vaginalvisitationen.
Zum Näheren darf ich auf das Vorbringen in den in Kopie beiliegenden maßnahmen- und Richtlinienbeschwerden verweisen, welche ich auftrags meiner Mandanten beim Unabhängigen Verwaltungssenat NiederÖsterreich eingebracht habe. Wiederholt hatten meine Mandanten auch Gelegenheit dazu, ihre Erlebnisse via Presse, hörfunk und Fernsehen einer breiten Öffentlichkeit zu schildern.

Dem Landesgericht für Strafsachen Wiener Neustadt sind diese Sachverhalte bereits im Rahmen von § 113 StPO-Beschwerden Anfang Februar bekanntgeworden. Inzwischen wurde mir auch vom Landesgendarmiekommando NiederÖsterreich mitgeteilt, daß bereits Vorerhebungen gegen die eingeschrittenen Organe im Gange seien. Auftrags meiner Klienten habe ich daher die UVS-Beschwerden gemeinsam mit einer Sachverhaltsdarstellung auch noch an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gesandt und den Privatbeteiligtenanschluß meiner Klienten im einzuleitenden Straf-verfahren erklärt (vgl. die beiliegende Strafanzeige).

Meine Klienten verfügen als Asylwerber derzeit -soferne überhaupt- lediglich über einen ungesicherten, vorläufigen Aufenthaltsstatus. Mindestens zwei davon -Herr Joseph O. sowie Herr.J. befinden sich nach negativer erstinstanzlicher Erledigung ihrer Asylverfahren bereits seit Anfang Februar auf Veranlassung der Bezirkshauptmannschaft Baden in Schubhaft.

Da im Sinne einer gründlichen und Rückhaltlosen AufKlärung der Geschehnisse die Vernehmungen aller Betroffenen als Parteien bzw. als Zeugen sowohl vor dem UVS, als auch im Strafverfahren, als auch nach Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Geschehnisse in zivilgerichtlichen Entschädigungsverfahren erforderlich sein werden und dies durch die drohenden bzw. zum Teil bereits in Angriff genommenen Aufenthaltsbeendigungen erheblich gefährdet wird, darf ich mich namens meiner Mandanten an Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, wenden mit dem Ersuchen, alle erforderlichen Veranlassungen zu treffen, um meinen Mandanten die uneingeschränkte Teilnahme an diesen Verfahren zu ermöglichen.

Ich darf in diesem Zusammenhang auf § 10 Abs.4 letzter Satz FrG verweisen, wonach der Gesetzgeber die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis als maßnahme zum Zeugen- bzw. Opferschutz in Zusammenhang mit strafrechtlichen Erhebungen wegen Menschenhandels ausdrücklich normiert hat. Umso mehr wird ein Anlaß zur Gewährung von Opfer- und Zeugenschutz in Form eines gesicherten Aufenthaltsstatus in einem Fall wie diesem als gegeben anzunehmen sein müssen, wo schwerwiegende strafrechtliche Vorwürfe gegen Organe der Rechtspflege selbst erhoben wurden.
Es bÃŒte sich hier aber auch noch die Gewährung vorläufigen Abschiebungsschutzes, zB nach § 40 Abs.1 bzw. § 56 Abs.2 FrG, als adÀquates Mittel an, um eine verfrühte Abschiebung meiner Mandanten, noch bevor die anhängigen Verfahren abgeschlossen sind, hintanzuhalten.

Der großteil meiner Klienten befinden sich derzeit noch in Bundesbetreuung. Dem Vernehmen nach Wären jedoch der Evangelische Flüchtlingsdienst und auch die Caritas, nach AusschÃŒpfung der gesetzlich möglichen Höchstdauer der Bundesbetreuung, zur Unterkunftsgewährung und Versorgung, einschließlich der Vermittlung kostenloser medizinischer Versorgung über ein vorhandenes Netzwerk von Ärzten bzw. PrivatspitÀlern, bereit.
Ich darf Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, daher um dringliche Prüfung des Anliegens meiner Mandanten, aufenthaltsrechtlichen Zeugen- und Opferschutz für die Dauer der anhängigen Verfahren eingeräumt zu erhalten, ersuchen, und darf Ihrer -möglichst zeitnahen- Rückäußerung hierzu mit Interesse entgegensehen.

Insbesondere wäre Ihre dringende Intervention zugunsten der bereits in Schubhaft befindlichen Betroffenen -zB der Herren O. und J.- erforderlich, deren außerlandesschaffung bereits vorbereitet wird.