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[ 20. Oct 2004 ]

Strasser will Auffanglager in der Ukraine

Beim Österreichisch- baltischen Sicherheitsgipfel fand Strasser für die Idee, tschetschenische Flüchtlinge in Lagern "aufzufangen" Verbündete (Ukraine und Nachbarstaaten) und Gegner (Polen).

 

Auffanglager für Flüchtlinge außerhalb der EU sind etwas, wovon nicht nur die länder träumen, die an der südlichen Grenze der Union liegen. Die Festung soll von allen Seiten gesichert werden, und die nächste Front der Abschottung ist der Osten. Was passiert zum Beispiel mit den tschetschenischen Flüchtlingen, die in den östlichsten Staaten der EU Asyl suchen? Während in den letzten Jahren ein großteil der Flüchtlinge aus Tschetschenien vorwiegend in Staaten der russischen Föderation geflohen ist, stieg im vergangenen Jahr nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats der Auswanderungsdruck nach Norden und Westen, in die baltischen Staaten, die Ukraine sowie nach Polen.

Bald österreichische Flüchtlingslager in der Ukraine?


Nach den dramatischen Ereignissen in Beslan vor sechs Wochen sei die Anzahl der Asylanträge von tschetschenischen Flüchtlingen auch in Österreich rapide angewachsen, sagte der österreichische Innenminister Ernst Strasser beim Österreichisch-baltischen Sicherheitsgipfel in Wien Mitte September.
"Flüchtlinge aus Tschetschenien stellen in Österreich und den baltischen Staaten ein Problem dar", stellte er fest, allein in diesem Jahr hätten bereits über 4 000 Menschen aus der russischen Föderation in Österreich Asyl beantragt. Dies stimmt, doch während Strasser oftmals über die große Zahl an Flüchtlingen mit "asylfremden Gründe" spricht, sprechen die Zahlen der Anerkennungen in diesem Fall gegen ihn: Sogar seine eigenen Behörden haben die Fluchtgründe der TschetschenInnen mit 94,1% anerkannt. Vielleicht sind das für Strasser zu viele und er möchte sich ihnen anders entledigen?

Strasser brachte als Lösung den Vorschlag ein, Flüchtlingslager für Tschetschenen in der Ukraine zu errichten, ähnlich wie es Bundesinnenminister Otto Schily für Nordafrika vorgeschlagen hatte. Die Idee eines so genannten "Pilotprojektes" in der Ukraine, kam auch beim Treffen der EU-Innen- und Justizminister im niederländischen Scheveningen Anfang Oktober zur Sprache. Ein Auffanglager in der Nähe der Herkunftsländer der Flüchtlinge, so Strasser, habe den Vorteil, dass es im "Kulturkreis" der Flüchtlinge errichtet werde. Zudem sei es leichter, diese Menschen auf kurzen Wegen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Doch nicht allen an die Ukraine angrenzenden Staaten scheint der Vorschlag zu gefallen. So sprach sich der polnische Innenminister Ryszard Kalisz in den letzten Tagen gegen diese Idee aus.

Bei seinem Besuch in der litauischen Hauptstadt Vilnius betonte Kalisz während seiner Gespräche mit Innenminister Virgilijus Bulovas, dass es notwendig sei, entsprechende Flüchtlingszentren innerhalb der EU-Grenzen zu schaffen. Ihre Errichtung außerhalb der Europäischen Grenzen sei mit den "Werten der Freiheit, Sicherheit und solidarität, die der Union zugrunde liegen", unvereinbar. Kalisz erklärte, er wolle an die EU appellieren, damit größere Geldmittel zur Unterstützung von Flüchtlingszentren in Polen und den baltischen ländern bereitgestellt und schneller zugewiesen werden. Bei einem Treffen mit Strasser Mitte Oktober machte Kalisz noch einmal seinen Standpunkt über die Schaffung von Flüchtlingszentren außerhalb der EU klar. Es sei schwierig, so Kalisz, einen geeigneten Ort für solche Zentren zu finden, die Ukraine sei außerdem nicht mit dem Vorschlag einverstanden. Eine Diskussion um die Flüchtlingsproblematik sei daher dringend nötig.

Tschentschenische Flüchtlinge in Polen


Im Vorjahr stellten 5 600 Tschetschenen einen Antrag auf Asyl in Polen. In diesem Jahr waren es, nach Angaben der Abteilung für Flüchtlingsfragen des Innenministeriums, bisher 4 000. Nach dem Geiseldrama in Beslan stieg die Zahl der tschetschenischen Asylanträge allerdings sprunghaft an, was in Polen zu materiellen und organisatorischen Schwierigkeiten führte. Allein an einem Wochenende Mitte September beantragten 200 Tschetschenen in Polen Asyl. Wöchentlich kamen etwa 100 bis 150 hinzu. Ende September lag die Zahl der Anträge nach wie vor bei etwa 30 pro Tag.

Flüchtlinge aus Tschetschenien werden derzeit in zwölf Zentren im ganzen Land untergebracht. Trotz logistischer Schwierigkeiten, so Kalisz, habe Polen die Lage aber im Griff. Doch die Situation könnte schnell außer Kontrolle geraten, deshalb setzt Polen auf hilfreiche Unterstützung seitens der EU, da in Wohnheimen und Auffanglagern nicht nur die finanziellen Mittel knapp werden, sondern auch die UnterbringungsMöglichkeiten.

Insgesamt existieren nur etwa 8 000 Plätze in Flüchtlingszentren. Das jährliche Budget der Abteilung für Flüchtlingsfragen des Innenministeriums beläuft sich auf 6,5 Millionen Euro. Was die temporäre Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge angeht, zählt Polen auf Unterstützung aus Brüssel. außerdem erwägt das Innenministerium, neue Auffanglager in Przemysl nahe der ukrainischen Grenze im südosten Polens, sowie in Warschau einzurichten.

für die Flüchtlinge ist die Situation prekär, die wenigsten haben eine Chance, mit ihrem Antrag auf Asyl tatsächlich erfolgreich zu sein. Von den 5600 Tschetschenen, die im vergangenen Jahr einen Antrag stellten, haben nur etwa 200 Asyl erhalten. In diesem Jahr wurden bisher 600 Anträge positiv beschieden.

Die Prozedur der Antragstellung ist in Polen extrem langwierig und nicht gerade effizient. Nach Ansicht des UNHCR in Warschau ist die Unterstützung für die Asylbewerber äußerst unzureichend. Das Flüchtlingshilfswerk mahnt an, dass Personen, die den Flüchtlingsstatus erhalten, von Polen auch finanzielle Hilfe benötigen und bei der Suche nach Arbeit und Wohnung oder beim Zugang zu den Bildungseinrichtungen unterstützt werden müssen. "Allerdings herrscht bei den Behörden die Ansicht vor, Polen sei nur Transitland, daher gibt man sich zu wenig Mühe, den Leuten dabei zu helfen, in Polen zu bleiben. Häufig reisen Flüchtlinge weiter, weil sie in Polen nicht die Möglichkeit eines normalen Lebens haben", so Agnieszka Siarkiewicz, Sprecherin des UNHCR in Warschau. Nicht zufällig betitelte die konservative Tageszeitung Dziennik Polski einen Artikel zum Thema mit der überschrift "Haltestelle Polen".

Die Fragen des Umgangs mit tschetschenischen Flüchtlingen werden in Polen innenpolitisch bisher noch nicht als wichtiges Thema wahrgenommen. Im Moment interessiert man sich wenig dafür, welche Verantwortung mit Polens neuer Rolle als (EU-)Aufnahmeland für asylsuchende Flüchtlinge verbunden ist. Das könnte sich aber schnell ändern. Vor allem, wenn die Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge weiter eskaliert und immer mehr Menschen in Polen Schutz suchen.


Der Artikel wurde von http://jungle-world.com/seiten/2004/43/4184.php übernommen und redaktionell um den Österreichbezug ergänzt.