no-racism.net logo
 
 

[ 30. Mar 2005 ]

Nach vier Jahren: Online-Demo gegen Lufthansa vor Gericht

free online protest

Am 14. Juni 2005 steht die Online- Demonstration gegen Lufthansa von 2001 vor Gericht
Libertad! -Presseerklärung vom 30.März 2005

 

Anklage gegen Anmelder der Libertad!-Domains


Im Dezember 2004 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt nach über drei Jahren Ermittlungsarbeit Anklage gegen den Anmelder der Libertad!-Domains www.libertad.de und www.sooderso.de . Angeklagt wurde als "Nötigung" und "öffentliche Aufforderung zu Straftaten" der Aufruf und die Beteiligung an der ersten größeren Demonstration im deutschsprachigen Internet. Das Amtsgericht Frankfurt hat diese Anklage jetzt zugelassen.

Als Prozesstermin wurde der 14. Juni 2005, 9.00h (GerichtsGebäude E, OG II, Raum 24) festgelegt.

Zur Erinnerung


Die "Straftat" wurde fast genau vier Jahre zuvor - am 20. Juni 2001 - begangen. "kein mensch ist illegal" und Libertad! hatten zum Protest gegen das deportation.business der Lufthansa aufgerufen. In FortFührung der "deportation.class"-Kampagne wurde mit einem elektronischen Go-in auf die Internetpräsenz www.lufthansa.com gegen das AbschiebeGeschäft von Fluggesellschaften protestiert, für die die Lufthansa AG stellvertretend aber prominent steht. Es sollte erreicht werden, dass Lufthansa sich aus diesem Geschäft zurückzieht. über 250 Organisationen aus den Bereichen der Menschenrechtsarbeit, der Asylpolitik und Gewerkschaften und hunderte antifaschistische und linke Aktivist/innen begrößten die Online-Demonstration gegen die Lufthansa und riefen dazu auf. Parallel zur deren Jahreshauptversammlung am 20.06.2001 beteiligten sich schließlich 13.000 Menschen im vereinten Protest gegen die routiniert vollzogene Abschiebungspraxis. Zeitweise war durch die vielen Zugriffe die Lufthansa-Seite gar nicht oder nur schwer zu erreichen.

Anzeige der Lufthansa AG


Obwohl die Online-Demo bereits Monate vor dem ersten Mausklick Staatsschutz und Justizministerium alarmierte, gab es offensichtlich kein "öffentliches Interesse" an der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Erst auf Anzeige der Lufthansa AG nach der Online-Demo wurde das Verfahren eingeleitet und ermittelt, die räume von Libertad! und Wohnungen durchsucht und zahlreiche Rechner und Speichermedien beschlagnahmt.

Ursprünglich wurde neben Nötigung (§240) auch wegen Datenveränderung (§303a) und Computersabotage (§303b) ermittelt. Bis auf NÃŒtigung und Anstiftung wurden die anderen Vorwürfe in der Anklage fallen gelassen. Offensichtlich erschien es nicht realistisch, daraus eine prozesstaugliche Anklage zu konstruieren.

(Versuchte) Ermittlungen und Behinderung der Arbeit von Libertad!


Von Polizei und Staatsanwaltschaft wurde während der Ermittlungen immer wieder betont, dass man mit dem Verfahren juristisches Neuland betrete und es allgemeine Bedeutung habe. So wurde auch gegen die Inhaber/innen von Domains, die die Mobilisierungs-Homepage (go.to/online-demo) gespiegelt hatten, ermittelt. Bei Providern wurde versucht, die bei der Lufthansa gespeicherten IP-Adressen gegen Nutzer/innen auflösen zu lassen. Laut Akten Rückte aber kein Provider die Daten heraus. In monatelanger Auswertung der unzähligen bei Libertad! beschlagnahmten Datenträger wurde der kriminalistische Beweis erhoben, was nie strittig war: Libertad! und der jetzt Angeklagte riefen zur Online-Demo auf. Jeder Zeit war in aller Offenheit agiert worden. Die Demonstration war sogar bei Ordnungsamt und Polizei Köln zwecks "Verkehrsregulierung" auf den Datenautobahnen angemeldet worden.

Bis auf einige Geräte, auf denen offensichtlich noch nicht mal das Wort "online" zu finden war wurden alle Produktiv-Geräte jahrelang einbehalten. Erst im März 2005 - parallel zur Zulassung der Anklage - verfügte die Staatsanwaltschaft die Herausgabe aller Rechner - mit ausgebauter Festplatte. Was naTürlich auch schon im Oktober 2001 bei der Beschlagnahme möglich gewesen wäre. Das bestätigt, dass es bei der polizeilichen Operation auch um die Behinderung der Arbeit von Libertad! ging.

Protest gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechts und gegen das Abschiebegeschäft


Libertad! und der Beschuldigte werden den anstehenden Prozess nutzen, erneut die Abschiebepraxis und die Beteiligung von Flugggesellschaften öffentlich zu thematisieren. Hans-Peter Kartenberg, der Sprecher von Libertad!, sagte dazu: "Der Prozess ist eine gute Gelegenheit. Gleichzeitig ist es auch notwendig, weil die deportation.class keine vergangene Sache ist. Auch 2004 wurden tausende Menschen unter Beteiligung von Lufthansa, LTU und anderen Airlines abgeschoben. Wir werden deshalb vor Gericht und auf der strasse gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechts und gegen das AbschiebeGeschäft protestieren".

Der Angeklagte Andreas-Thomas Vogel bemerkt zu dem Prozess: "Ich stehe stellvertretend für alle Aktivist/innen der Online-Demo vor Gericht. Dabei hat der Prozess auch eine grundsätzliche Bedeutung. Es ist der erste Prozess, in dem von staatlicher Seite versucht wird, massenhafte Proteste im Internet abzuurteilen und damit eine Handhabe gegen zukünftige Online-Aktivitäten zu haben".

Libertad!, der Angeklagte und sein Verteidiger stehen Anfragen und für Interviews gerne zur Verfügung.


Hintergrund



Fast genau vier Jahre nach der Aktion nehmen wir die justizielle
Beschäftigung mit der online-Aktivität von Abschiebegegner/innen als eine Gelegenheit, die Sache, um die es ging, noch mal öffentlich zu
thematisieren.

Als "kein mensch ist illegal" und Libertad! 2001 zum elektronischen Protest gegen das deportation.business der Lufthansa aufriefen, war das eingebettet in die schon laufende "deportation.class"-Kampagne. Die Online-Demonstration war darin bestimmt als weitere Aktionsform, auch um die Praxismöglichkeiten
auszuweiten und neue Protestformen auszuprobieren. Letztlich entwickelten
sich die Aktivitäten um die Lufthansa-Jahreshauptversammlung am 20. Juni
2001 zu einem der Höhepunkte der deportation.class-Kampagne. Das öffentliche
Echo des angekündigten elektronischen Go-in"s auf die Internetpräsenz
www.lufthansa.com war enorm und thematisierte das AbschiebeGeschäft von
Flugggesellschaften, beispielhaft an Lufthansa, schon lange vor dem ersten
Mausklick. Hunderte von Gruppen und Unterstützer/innen erklärten vorher
öffentlich "Wir machen mit!" (und bekräftigten dies nach den
Hausdurchsuchungen im Oktober 2001). Schließlich beteiligten sich gut 13.000
Menschen an der Aktion. Zeitweise war durch die vielen Zugriffe die
Lufthansa-Seite gar nicht oder nur schwer zu erreichen.

Der Versuch der staatlichen Organe diese elektronische Protestform zu
kriminalisieren, geht aber über den unmittelbaren Zusammenhang mit der
Abschiebepraxis hinaus. Zwar hat sich die staatsschätzerische Aufregung
gelegt - auch, weil die Online-Demo keine vergleichbare Nachahmung und
Fortsetzung in anderen sozialen und politischen Konflikten in Deutschland
gefunden hat - und von den ursprünglich "schweren Geschützen" wie
"Datenveränderung" und "Computersabotage" ist nichts übrig geblieben.
Trotzdem kommt dem Verfahren eine grundsätzliche Bedeutung zu. Es ist der
erste Prozess, in dem von staatlicher Seite versucht wird, virtuelle Demos,
Blockaden, Go-In"s und Sit-In"s und andere Demonstrationsformen im Internet
abzuurteilen. Vergleichbar wäre die juristische Bedeutung mit den Urteilen
um die "Mutlangen-Proteste" aus den 1980er Jahren, als "friedliche" Sit-In"s
vor Kasernen etc kriminalisiert wurden. Auch da war "NÃŒtigung" der Hebel,
also nicht der "Schaden", sondern die Absicht, mit der gemeinsamen Aktivität
auch etwas bezwecken und erreichen zu wollen.

Analog zu dieser juristischen Auslegung will die politische Justiz auch für
das Internet eine entsprechende Handhabe gegen zukünftige
Online-Demonstrationen usw haben.

Das wiederum geschieht naTürlich in dem Kontext der ohnehin laufenden
staatlichen Regulierung und Kontrolle des Datenverkehrs über das Internet:
Speicherung von Verbindungsdaten, eMail-überwachung usw usf.

Uns ist bewusst, dass eine politische Arbeit zu dem Prozess naTürlich nicht
unmittelbar an die frühere Mobilisierung anknüpfen kann. Wir sehen aber in
dem Prozess eine Möglichkeit einige Aktivitäten gegen die deutsche
Abschiebepolitik zu konzentrieren und mit anderen Bereichen zu verknüpfen.
Dahin geht auch unser Aufruf: Nutzt diesen Prozess, und die öffentliche
Beachtung, die er finden kann, für eigene Aktivitäten, um erneut öffentlich
zu thematisieren, was auch Sinn und Zweck der Online-Demonstration 2001 war:

1. das deportation.business der Fluggesellschaften am Beispiel der
Lufthansa. Wir wollen das naTürlich nicht nur Rückwärtsgewandt machen. Waren
es 2001 ca. 30.000 Abschiebungen auf dem Luftwege, so waren es 2004 immer
noch ca. 20.000 - und das angesichts des Rückgangs von Flüchtlingen, die
trotz der verschiedenen Abschottungsmassnahmen überhaupt nach Deutschland
durchkamen. Prozentual hat sich damit der Anteil der deportation.class an
den Abschiebungen sogar noch erhöht.

2. die Verteidigung des "virtuellen Demonstrationsrechts", also der
Möglichkeit auch im Internet zu protestieren und Widerstandsformen
auszuprobieren. Deswegen: "free online protest!" und "online protest is not
a crime!".

Wir werden den Prozess entsprechend nutzen. Auf der Strasse, in der
Öffentlichkeit und auch im Gerichtssaal.