In der Nacht von 24. auf 25. April 2006 wurden 24 Menschen mit Gewalt und in Begleitung von über 70 PolizistInnen unter Regie der Hamburger Innenbehörde nach Westafrika deportiert!
Um Mitternacht vom 24. auf den 25. April 2006 organisierte die Hamburger Innenbehörde in Kooperation mit drei weiteren Bundesländern (NRW, Rheinland-Pfalz und Baden Württemberg) eine erneute Sammeldeportation per Charterflug nach Westafrika (Togo, Guinea, Benin). 24 Menschen wurden mit Gewalt und in Begleitung von über 70 PolizistInnen außer Landes gebracht.
Während die Innenbehörde im Vorfeld absolute Geheimhaltung über die "Nacht und Nebel" Aktion vorschrieb, veröffentlicht selbige einen Tag später in gewohnt manipulativer und volksverhetzender Art und Weise eine Pressemitteilung, in der es heißt: "Dieser von Hamburg aus gestartete Großcharter ist ein erneuter Beweis für die konsequente Rückführungspolitik der Innenbehörde gegenüber Straftätern und ausreiseunwilligen Personen. ... Es handelt sich dabei zum Teil um verurteilte Straftäter, insbesondere aber um Personen, die aufgrund von Renitenz und Gewalttätigkeit nicht per Linienflug in ihre Heimatländer zurück gebracht werden konnten."
Bewusst verschwiegen wird, dass sechs Menschen in die Diktatur nach Togo deportiert wurden, die zuvor dem Terror des Regimes entflohen waren. Die Verweigerung der deutschen Behörden und Gerichte, togoischen Diktaturflüchtlingen Asyl zu garantieren, ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Gerade zwei Wochen zuvor (14.04.2006) hatte das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern einen sechsmonatigen Abschiebestop nach Togo ausgerufen (:: siehe Pressemitteilung vom 11. April 2006, pdf). Zuvor hatte es massive Proteste gegeben. Der abgeschobene Oppositionelle Alassane Mousbaou wurde dirket nach Ankunft in Lomé bedroht und lebt seitdem im Untergrund in prekärer Lage.
Die Menschenrechtslage und die Verfolgung von RegimekritikerInnen in Guinea ist nicht minder gravierend, findet aber noch weniger Beachtung. Generell wird Flucht aus Afrika als unerwünscht eingeordnet und somit die betroffenen Menschen kriminalisiert und entrechtet. In diesem Tenor fällt dann auch der oben zitierte Wortlaut der Behörde aus.
Rassimus fällt nicht vom Himmel, er wird in den Behörden und den politischen Führungskreisen produziert und dann beispielsweise per Charter in die Luft gehoben. Er fällt zurück auf die Gesellschaft und vergiftet dieses Land. Der staatliche Rassismus ist der Wegbereiter und der Katalysator der Gewalt der Nazis auf der Straße, dem bürgerlich nationalistischen bis faschistoiden Gedankengut und der stumpfen Gleichgültigkeit der gesellschaftlichen Mehrheit über die Missachtung des Lebens Anderer.
Wir haben einige Details über die Charterdeportation erfahren.
So wurde ein junger Flüchtling aus seiner Jugendwohnung heraus letzte Woche abgeholt und in Abschiebehaft gebracht. Sein engagierter Anwalt konnte ihn in letzter Minute retten. Hamburg hat den Charterflug organisiert und sich selbst mit 20 Abschiebungen beteiligt. Es geht für die Behörde darum das Flugzeug voll zu machen. Da wird nicht gezaudert. Bei einer Charterabschiebung im Jahr 2005 konnte aus Dokumenten entnommen werden, dass ein Betroffener am Flughafen schwer erkrankt war und nicht deportiert werden konnte, also holte man aus dem Gefängnis einfach jemand anderes.
Ein anderer junger Mensch hatte fast ein Jahr ehrenamtlich als Altenpfleger gearbeitet, machte beim Malteser Hilfsdienst Fortbildungskurse (selbst finanziert) und hatte gerade vor zwei Monaten sein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung begonnen, als die TäterInnen zuschlugen. Sie holten ihn aus seiner Wohnunterkunft, sperrten ihn ins Gefängnis und am 24. April 2006 war seine junge Zukunftsplanung vernichtet. Nach zwei Tagen Haft in Benin/Westafrika hat er angerufen. Er weint, er kann nicht essen, nicht schlafen und sagt immer wieder "ich bin kaputt". Er hatte eine Hoffnung, jetzt sagt er, er möchte nicht mehr leben. Wie oft raubt dieses Land noch der Jugend ihre Zukunft?
Wir haben von einen Betroffenen erzählt bekommen, wie es im Flugzeug während der Abschiebung aussah.
Alle 24 Menschen waren gefesselt, allen 24 Menschen war ein Helm über den Kopf gezogen worden. Wer sich unter dieser Tortur nicht ruhig verhielt, dem wurden zwangsweise Drogen/Medikamenten verabreicht. Zu diesem Szenario, das wie die CIA-Folterflüge im großen Stil anmutet, kamen über 70 Grenzschutzpolizisten in Kampfmontur dazu, plus SchreibtischtäterInnen der Behörden, DolmetscherInnen und Ärzte, die sich einen Dreck um den Eid des Hippokrates scheren.
Wer versucht, angesichts der aktuellen Politik und Praxis in der Behandlung von Menschen in Deutschland die Parallelen und die Kontinuitäten zum deutschen Faschismus zu leugnen, verharmlost sowohl die Verbrechen der Nazis wie die Verbrechen der jetzigen Herrschaft. Was bedeutet der Satz: "wehret den Anfängen"? Die Anfänge waren nicht die Gaskammern und war nicht die totale Vernichtung. Die Anfänge waren und sind, Menschen das Menschsein abzusprechen.
Auf die Frage an den Filmmacher des Films "Abschiebung im Morgengrauen" (über die "Arbeit" in der Hamburger Ausländerbehörde) welche Reaktionen er erhalten habe, antwortet dieser: Ich habe eine Mail aus Wien von einem älteren Juden bekommen, der schrieb, so ähnlich habe er die Deutschen in den 30er Jahren erlebt.
Ca. 50 Menschen protestierten am 24. April 2006 in der Abflughalle des Hamburger Flughafen mit Sprechchören, Transparenten und Infomaterial gegen die Charterdeportation. Nach zwanzig Minuten wurden sie auf Weisung der Flughafenleitung von PolizistInnen, Sicherheitskräften und Schäferhunden aus der Halle gedrängt.
Hier der Text des Flugblattes, das bei der Aktion verteilt wurde:
"Die Welt zu Gast bei Freunden"
... heuchelt das deutsche Fußballweltmeisterschafts Motto 2006, und die deutsche Realpolitik praktiziert das Motto der Neonazis "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus"
Bis zu 30.000 Abschiebungen pro Jahr, eine Asylanerkennungsquote von 0,9%, einen faschistoiden Kontrollstaat gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen und hunderte rassistische Sondergesetze sind der Hintergrund vor dem PolitikerInnen über Integration reden und manchmal, nur in besonderen Ausnahmen und unter besonderen Umständen Empörung über Mordanschläge der Nazis kundtun. (Statistik des IM 2005: 10271 rechtsextreme und fremdenfeindliche Straftaten in Deutschland; die Zahl der Gewalttaten beläuft sich auf 588)
Die Hansestadt Hamburg ist eine Drehscheibe der Sammeldeportationen per Charterflug geworden. Deutsche Fluggesellschaften wie die LTU und die Aero Flight profitieren bei dem brutalen Geschäft mit Menschenleben. Von Hamburg wird vor allen aufgrund der geheimen Kontakte nach Westafrika, mittels derer die AusländerInnenbehörde dubiose Papiere für die Abschiebung besorgt, in diktatorische Regime wie Togo, Kamerun, Guinea sowie weitere Länder der Region per Charterflug abgeschoben.
Die Sammeldeportationen, an der sich zum Teil andere europäische Staaten, die dem deutschen "Vorbild" nacheifern, beteiligen, finden unter Geheimhaltung und öfter im Schutze der Dunkelheit statt. Wenn die "Nacht und Nebel" Operationen dann vorüber sind, verkünden die Behörden mit stolz geschwellter Brust: "Maßnahme gegen illegale Migration und Kriminalität".
Die Pressemitteilungen der Behörden und Ministerien sind in der Regel eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit. Sie dienen dazu, rassistische Stereotype zu reproduzieren und gleichzeitig die "Nacht und Nebel" Aktionen der Behörden zu rechtfertigen.
MenschenrechtsaktivistInnen, die ZeugInnen einer Charterabschiebung nach Togo am 25./26. Mai 2004 wurden, wissen um die Bedeutung der Geheimhaltung und der Falschdarstellungen. Die damalige Aktion fand unter Einsatz von maskierten, mit Gas und Tonfa-Schlagstöcken ausgerüsteten Polizeieinheiten statt. Die abgelehnten AsylbewerberInnen wurden gefesselt und Helme über ihre Köpfe gezogen. In der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 2004 verwandelte sich der BGS- und der Charterflugbereich des Hamburger Flughafens in eine Polizeifestung. Ein europaweit koordinierte Massenabschiebung von 18 TogoerInnen und 26 KamerunerInnen per Abschiebecharter wurde im Schutze der Dunkelheit heimlich und mit weit über hundert Polizeibeamten durchgeführt.
Gespenstische Szenen waren am Flughafen zu beobachten. Patrouillen mit Schäferhunden, Beamte behelmt und maskiert, Bündel von Plastikfesseln und neue Modelle der Folterhelme, die nach dem Tod von Ameer Agib 1999 vom Innenministerium präsentiert wurden, werden zum Gefangenentrakt gebracht. Beamte telefonieren: "Wir schieben Schwarze ab, nach Togo, nach Afrika."
Um 0.30, eine halbe Stunde nach Beginn des Nachtflugverbotes, landet ein Flugzeug. Kurz vor eins fahren Polizeitransporter (ca. 14) im Abstand von 30 Sekunden vor einen Hallenausgang, von wo die Abzuschiebenden schnell in die Wagen geführt werden und dann weiter Richtung Rollfeld gebracht werden. Danach wird es ruhig. Um 2.00 Uhr startet eine Maschine in den Hamburger Nachthimmel.
Zuvor bereits war ein Rollkommando der Polizei in die Abschiebeabteilung der JVA Fuhlsbüttel eingefallen, hatte alle Gefangenen dort aus den Betten auf den Boden geworfen und gefesselt. Danach wurden anhand von Fotos diejenigen ausgewählt, die abgeschoben werden sollten. "Dabei erlitten nicht nur sie, sondern auch Mithäftlinge Verletzungen", berichtete die Tageszeitung "Neues Deutschland".
Beispiel Togo/Westafrika (14/15.09.2005)
Allen Flüchtlingen wurden sogenannte Body-Cuffs angelegt. Dies sind US-amerikanische Gurtfesselsysteme, bei denen durch Verkürzung der Verbindungssseile Arme und Beine zum Körpermittelpunkt zusammengezogen werden. Häufig wird von massiver Gewaltanwendung berichtet. Von der Abschiebung am 14. September berichtete ein Betroffener wie er und sieben weitere aus der Abschiebehaft in der JVA Fuhlsbüttel geholt wurden: Es kam viel Polizei. Alle mussten sich auf den Boden legen. Wessen Name aufgerufen wurde, musste aufstehen und wurde sofort in Handschellen gelegt. Wer nicht schnell genug war, wurde geschlagen. Außer den staatlichen Verfolgern und den Opfern gibt es keine ZeugInnen. Diese soll es auch am Flughafen nicht geben. Dafür wurde zum wiederholten Mal das im Hamburger Luftraum geltende Nachtflugverbot aufgehoben.
Mit den Abschiebungen von politischen Verfolgten nach Togo machen sich Deutschland und andere europäische Länder zum Handlanger des tyrannischen RPT-Regimes in Togo. Seit Monaten fordern togoische Oppositionelle und Menschenrechtsorganisationen einen Abschiebestop in das Westafrikanische Land. Selbst das UNHCR warnt vor Abschiebungen nach Togo. Seit der Machtübernahme durch den Diktatorensohn Faure Eyadema läuft eine landesweite Säuberungswelle, der über tausende Togoer und Togoerinnen zum Opfer gefallen sind. Es gibt zahlreiche Berichte über extralegale Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Folter und Mißhandlungen. Ca. 100.000 Menschen flohen in die Nachbarländer Benin und Ghana und wöchentlich fliehen weitere Menschen.
Die Abschiebepolitik Deutschlands ist völlig losgelöst von der Situation in den Fluchtländern und steht nicht im Ansatz im Einklang mit den internationalen Flüchtlingsschutzkonventionen.
Beispiel: Massendeportation nach Sri Lanka (24.08.2005)
Mit einem Charterflugzeugen wurden 57 tamilische Flüchtlinge aus Düsseldorf nach Sri Lanka abgeschoben. Wenige Stunden später startete ein weiterer Flug von Frankfurt mit dem gleichen Ziel - Sri Lanka. In der Nacht zuvor wurde sich in Nordrhein-Westfalen und möglicherweise weiteren Bundesländern gewaltsam Zutritt zu Wohnungen vieler TamilInnen verschafft. Unter ihnen waren viele Kinder, die anstatt zur Schule, von der Polizei zum Flughafen gebracht wurden. Wer zufällig nicht in der Wohnung war, wurde nicht mitgenommen. Familien wurden getrennt. Selbst die Tamil Youth Organisation, die bundesweit in der tamilischen Bevölkerung organisiert ist, hatte keine Information über die geplante Abschiebung. Die Abschiebung nach Sri Lanka geschieht exakt zu dem Zeitpunkt, da dort der Ausnahmezustand von der srilankischen Regierung verfügt wurde. Nach dem Mordanschlag auf den Außenminister Lakshman Kadirgamar sind TamilInnen landesweit unter dem Generalverdacht des Terrorismus.
Beispiel: Massendeportation in die Türkei (27.06.2005)
Während die deutsche Presse vom Wiederaufflammen des Krieges in den kurdischen Gebieten der Türkei berichtet, hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen eine Massenabschiebung kurdischer Flüchtlinge vorgenommen. Ohne jede Vorankündigung wurden in den frühen Morgenstunden 70 KurdInnen von der Polizei aus dem Schlaf gerissen, an Händen und Füßen gefesselt zum Düsseldorfer Flughafen verbracht und von dort in die Türkei deportiert. Wer sich zu Wehr setzte, wurde mit Medikamenten zwangsweise ruhig gestellt. Das in Düsseldorf ansässige Kurdische Frauenbüro für Frieden Ceni äußerte seine tiefe Sorge über die Sicherheit der Zwangsdeportierten, unter denen sich auch mehrere Kinder befinden. Während das »Bundesamt für Migration und Flüchtlinge« die Massenabschiebungen damals mit »positiven Veränderungen für Kurden in der Türkei« rechtfertigt, erwartet die Abgeschobenen ein Land im Kriegszustand. Ende März 2005 begannen in den kurdischen Provinzen der Türkei die größte Militäroffensive gegen die kurdische PKK-Guerilla seit sechs Jahren statt. Allein im Mai 2005 starben dabei 50 Menschen. Der Ausgang der Referenden in Frankreich und Holland hat bei der türkischen Regierung die Hoffnung auf einen EU-Beitritt schwinden lassen. Um so hemmungsloser gehen Sicherheitskräfte wieder gegen kurdische ZivilistInnen vor. In Van eröffnete die Militärpolizei das Feuer auf eine Demonstration und tötete einen 19-Jährigen. Auch in der Großstadt Diyarbakir zerschlug die Polizei am Montag einen Trauerzug für einen gefallenen Guerillakommandanten mit Knüppeln, Tränengas und Warnschüssen. Das war 2005 - und auch 2006 kam es wieder zu blutigen Auseinandersetzungen, als die türkischen Militärs zahlreiche Menschen ermordeteten und gegen Proteste gegen die neuerliche Militäroffensive mit Gewalt vorgingen.
Kämpfen wir gemeinsam und international für unsere Rechte als MENSCHEN
Stoppt Abschiebungen, stoppt den staatlich organisierten Rassismus
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
Sektion Nord / Koordinationskreis Hamburg
Tel: 0049-(0)40-43 18 90 37
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Fax: 0049-(0)40-43 18 90 38
20359 Hamburg
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Dieser Text ist eine leicht überarbeitete Pressemitteilung der :: Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, Hamburg, vom 29. April 2006.