Dass ein mögliches Folteropfer nicht vorläufig vor seiner Abschiebung geschützt wird, ist für Amnesty International Österreich ein "Staatsskandal". Im Innenministerium sieht man kein Problem.
Für Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, ist der Umgang mit den Misshandlungsvorwürfen gegen vier Polizisten im Fall Bakary J. ein "Staatsskandal". Genauer die Tatsache, dass der Mann, der Anfang April in einer Lagerhalle von Wiener Polizisten misshandelt wurde, noch immer täglich nach Gambia abgeschoben werden könnte. Bakary J. sitzt in Schubhaft, nach geltender Rechtslage könnte er auch während des laufenden Strafverfahrens außer Landes gebracht werden.
"Bis heute gibt es keine klare Weisung der Innenministerin an die Fremdenpolizei, die eine Abschiebung vorläufig verhindern würde", kritisiert Patzelt am Dienstag, 23.05.2006, bei der Präsentation des ai-Jahresberichts in Wien. Und anhand des Falles weist er auf weitere aus seiner Sicht bestehenden Missstände hin: das Fehlen eines dezidierten Folter-Paragrafen im Strafgesetzbuch und das österreichische Schubhaftsystem, das "in Summe" menschenrechtswidrig sei.
Der Skandalvorwurf wird im Innenministerium zurückgewiesen. "Die Bundesministerin kann ja ein Gesetz nicht einfach per Weisung aufheben", begründet Hannes Rauch, Sprecher von Innenministerin Liese Prokop (VP), warum es kein vorläufiges Abschiebeverbot gibt. Man agiere dabei in "enger Abstimmung" mit der Justiz. Solange diese Bakary J. - etwa für Zeugenaussagen - benötige, würde er nicht außer Landes gebracht.
Derzeit liegt der Fall noch beim Untersuchungsrichter, berichtet Otto Schneider von der Staatsanwaltschaft Wien. Wann über eine etwaige Anklageerhebung entschieden wird, kann er nicht abschätzen.
Angst, wegen Folter verurteilt zu werden, müssen die vier verdächtigen Polizisten aber in keinem Fall haben, stellt ai-Generalsekretär Patzelt fest. Denn auch wenn die Beamten den Schubhäftling nach einer misslungenen Abschiebung tatsächlich in eine Lagerhalle gebracht und dort verprügelt und beschimpft haben sollen - das Delikt "Folter" existiert im österreichischen Strafgesetzbuch nicht.
"Es wird zu viel Wert auf den Aspekt der Körperverletzung gelegt und der Strafrahmen für das 'Quälen eines Gefangenen' ist im internationalen Vergleich zu niedrig", ist Patzelt überzeugt. Je nach Schwere der Verletzung drohen in Österreich bis zu zwei oder bis zu zehn Jahre Haft.
Quelle: derstandard.at