no-racism.net logo
 
 

[ 14. Jun 2006 ]

Anzeige wegen Körperverletzung bei Charterabschiebung

Demo

Bei einer Sammel- Deportation im April 2006 von Hamburg nach Benin waren auch zwei Ärzte an Bord. Die Helfershelfer der Abschiebemaschinerie verabreichten den unfreiwilligen PassagierInnen zwangsweise Medikamente, um sie ruhig zu stellen.

 

Mensch erfährt wenig Konkretes, wenn es um Charterflüge nach Afrika und anderswo geht, mit deren Hilfe sich die Behörden in der BRD unwillkommener, weil "unnützer" EinwanderInnen und Asylsuchender entledigen. So sind auch die Namen der beiden Ärzte Verschlusssache, die in der Nacht vom 24. auf den 25. April 2006 24 Männer auf ihrem erzwungenen Flug von Hamburg nach Guinea, Benin und Togo mit medizinischem Sachverstand begleiteten. Deshalb hat der Anwalt eines mit jener Maschine nach Benin Deportierten nach Auskunft der Hamburger Initiative Fluchtort und des Hamburger Flüchtlingsrates jetzt Anzeige gegen Unbekannt erstattet.

Hintergrund der Anzeige: Kürzlich ist es einem der Abgeschobenen gelungen, von Benin aus telefonisch Kontakt zu seiner ehemaligen Betreuerin von der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft Fluchtort in Hamburg aufzunehmen. Er hatte neben einem im Rahmen des EU-Projekts Equal von Bund, Land und EU geförderte achtmonatige Berufsqualifizierung in einem Wäschereiprojekt fast ein Jahr lang ehrenamtlich als Altenpfleger gearbeitet und erst zwei Monate zuvor ein Freiwilliges Soziales Jahr begonnen, als er aus seiner Wohnunterkunft geholt, ins Gefängnis gesperrt und nach Benin abgeschoben wurde. Dort verbrachte er zwei weitere Tage in Haft.

Am Telefon berichtete der junge Mann unter anderem, die Ärzte hätten ihm während des Fluges gegen seinen Willen eine Spritze mit einem Beruhigungsmittel gegeben. Daraufhin habe er sich erbrechen müssen und sei ohnmächtig geworden. Sein Rechtsanwalt Tay Eich sieht mit der Verabreichung von Narkotika ohne gesundheitliche Überwachung und gegen den Willen seines gefesselten Mandanten den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt. "Mein Mandant wurde unter Bedingungen abgeschoben, die zum Transport von Schlachtvieh unzulässig wären", so der Jurist, der am 6. Juni 2006 Strafanzeige stellte.

Der Sprecher der Hamburger Innenbehörde, Norbert Smekal, erklärte am Donnerstag gegenüber der jungen Welt, die Ärzte an Bord solcher Maschinen seien ausschließlich für die Notfallversorgung zuständig und "nicht dazu, dass die Betroffenen ruhiggestellt werden". Seine Behörde sei jedoch nicht für die Prüfung der Vorwürfe zuständig. Smekal bestätigte, dass der Abgeschobene neben dem bereits erwähnten Praktikum in einem Altenheim eine im Rahmen des EU-Projekts Equal von Bund, Land und EU geförderte achtmonatige Berufsqualifizierung in einem Wäschereiprojekt absolvierte.

Auch der Hamburger Senat, der u.a. Sammelabschiebungen koordiniert, förderte die Ausbildung, die der Verein Fluchtort vor Ort durchfürht. Diese diene jedoch ausschließlich dazu, ausreisepflichtigen jungen Menschen eine Perspektive für einen Neustart in ihren Herkunftsländern zu bieten. Auf die Frage, was der Betroffene mit einer Wäschereiausbildung in Benin anfangen könne, sagte der Sprecher, für die Inhalte der Maßnahmen sei wiederum der Verein zuständig.

Eine Mitarbeiterin von Fluchtort bestätigte die Darstellung Smekals im Gespräch mit der jungen Welt, betonte jedoch, dass die Duldungsfrist zum Zeitpunkt der Abschiebung noch nicht abgelaufen war. Außerdem habe der Jugendliche erst im Februar ein Freiwilliges Soziales Jahr begonnen. Normalerweise gelte für die Zeit auch solcher Art von Fortbildung ein Abschiebestopp.

Die Sammelabschiebung Ende April 2006 war bereits die zweite ihrer Art. Der Hamburger Innensenator Udo Nagel (parteilos) verkündete danach per Pressemitteilung, bei den Betroffenen handele es sich "zum Teil um verurteilte Straftäter", andere hätten wegen angeblicher "Renitenz und Gewalttätigkeit" nicht per Linienflug abgeschoben werden können.

Ähnliche Begründung waren nun auch in zahlreichen Medien in Österreich zu vernehmen. Bei der ersten offiziellen gemeinsamen Charterdeportation der EU, bei der am 12. Juni 2006 Behörden aus Österreich in Kooperation mit Frankreich und Polen acht Leute nach Georgien beförderten, waren ähnliche Rechtfertigungen zu vernehmen. So berichtete orf.at: "Laut Innenministerium werden drei straffällig gewordene Georgier gemeinsam mit drei Flüchtlingen, die in Polen abgewiesen wurden und zwei Abzuschiebende aus Frankreich mit einem Charter nach Tiflis geflogen." Mit derartigen Argumenten soll Kritik an der sich zunehmend verschärfenden Praxis von Deportationen wohl schon im Vorhinein ausgeschalten werden. Denn die Hauptmotive für gemeinsame Abschiebungen seien laut der derzeitigen EU-Ratsvorsitzender und österreichischen Innenministerin Liese Prokop (ÖVP) die Schaffung gemeinsamer EU-Standards "im Flüchtlingswesen" und die Minimierung von Kosten.

Die Durchführung der Sammeldeportationen ist nur eine der derzeit auf Ebene vorangetriebenen Projekte zur Abschottung der EU, die maßgeblich von Prokop und ihrem Team vorangetrieben wurden. So beschlossen die EU InnenministerInnen im April 2006 ein gemeinsames Projekt zur Rückführung mit Charterflugzeugen - weil sich das Modell der gemeinsamen Deportationen erfolgreich erwiesen habe. Mit welchen Methoden diese durchgeführt werden, ist jedoch kaum zu vernehmen. Die immer brutaleren Methoden finden mehr und mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Da nützt es auch nichts, wenn Österreich "Menschenrechtsbeobachter" mit auf die Reise schickt, die bei der Ausübung massiver Gewalt dabei sind.

Als Quellen für diesen Artikel dienten ein Bericht in der :: Jungen Welt vom 09. Jun 2006 und Informationen des :: Flüchtlingsrat Hamburg