no-racism.net logo
 
pfeil zeigt auf no-racism.net logo debatte

 

[ 30. Jun 2006 ]

Integrationspolitik und Lokalverbot in Österreich

Rassismus in Österreich. Ein Beitrag von Prof. Dr. Adilson Siqueira

In der österreichischen Gesellschaft finden derzeit heftige Diskussionen zum Thema Integration von Einwanderern bzw. ethnisch-religiösen Minderheiten statt.

 

Sicher werden dabei Regelwerke entstehen, die das demokratische Zusammenleben der diversen Gruppen der österreichischen Gesellschaft fördern. Dazu schrieb Michael Chalupka in einem kürzlich in der Presse veröffentlichten Artikel , "Integrationspolitik" müsse "in Österreich neu erfunden werden", weil wir "eine offene Debatte über Rechte und Pflichten, über Einwanderungs- und Bildungsstrategien und über demokratische Regeln des Miteinander" bräuchten. Soll Integrationspolitik neu erfunden werden, so müssen dazu zahlreiche existierender Gesetze und Regeln geändert werden. Oft wird in der Hitze eines Gefechts in der alle Beteiligten große Medienpräsenz haben ­ etwas Neues beschlossen, das zwar von allen Seiten gut gemeint ist, dessen Umsetzung in der Praxis jedoch von schon bestehenden Gesetzen behindert wird. Mit diesem Artikel werde ich, ausgehend von einem konkreten Beispiel, einen Beitrag zu dieser Debatte leisten.

Ausgangspunkt dieses Textes ist die Entrüstung des Autors angesichts eines Vorfalls, den er in der Nacht des 3. Juni dieses Jahres an der Eingangstür des Titanic Clubs (Wien 1060, Theoboldgasse 11) erlebt hat.. Dem Autor wurde vom Türsteher unter der Begründung "wir wollen hier keine Drogenhändler" der Eintritt verwehrt. Es handelt sich hierbei um ein auf subjektiver Basis erteiltes Eintrittsverbot, das sich rein auf die Hautfarbe des Autors bezog. In der engen Weltsicht des erwähnten Türstehers bzw. seines Chefs ist demnach der Autor dieses Artikels offensichtlich aufgrund seiner Hautfarbe automatisch ein Drogendealer. Dies ist ganz klar ein rassistisches Vorurteil. Nach diesem Vorfall, der nicht nur aus verbaler, sondern schließlich auch aus physischer Aggression und Demütigung bestand, rief der Autor die Polizei an. Er erfuhr vom diensthabenden Beamten, dass man in diesem Fall nichts machen könne, da private Lokale aus welchem Grund auch immer den Zutritt verweigern können.

Als Brasilianer und in Unkenntnis der gültigen österreichischen Gesetze hat sich der Autor an die Polizei gewandt, in der Annahme eine Entsprechung der brasilianischen Rechtslage vorzufinden. Das ursprüngliche Gesetz zu dieser Thematik (Gesetz Afonso Arinos ­ vom Juli 1951) normiert, dass es sich um eine "schwerwiegende Gesetzesübertregung" handelt, wenn es auf Grund von Vorurteilen gegenüber einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Hautfarbe in einem Handels- oder Unterrichtsunternehmen jedwelcher Art zur Verweigerung von Unterkunft, Service, Bedienung oder Empfang von Gästen kommt, unabhängig davon, ob diese konsumieren oder nicht. Im Jahre 1985 wurde das Gesetz novelliert und damit rechtlicher Schutz vor allen Arten von Vorurteilen, wie auf Grund des Geschlechts oder des zivilen Stand des Opfers vorgesehen. In der Neuen Brasilianischen Verfassung aus dem Jahre 1988 wurde im Artikel 5 die Gleichheit aller vor dem Gesetz festgesetzt. Beim Verdacht auf rassistische Diskriminierungen ist Untersuchungshaft unausweichlich vorgeschrieben, die Tat wird mit Gefängnisstrafe geahndet und verjährt nicht. 1989 wurde gesetzlich festgelegt, welche Verbrechen zu dieser Gruppe gehören und 1997 wurde zusätzlich ein Schutz vor Übergriffen aus religiösen, ethnischen und nationalen Gründen geschaffen.

Damit kommen wir wieder zum oben angeschnittenen Thema zurück. Das österreichische Gesetz stellt es Inhabern von Handelsunternehmen frei zu bestimmen, wen sie ihn ihr Lokal einlassen und wen nicht. Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass es dabei nicht nur um alkoholisierte oder unter Einfluss anderer Drogen stehende Personen geht oder um solche, die aus welchen Gründen auch immer als gewalttätig oder störend eingestuft werden können, sondern, dass aus jeglichen subjektiven Gründen der Eintritt verwehrt werden kann. Andererseits gibt es ein auf Grundlage einer EU-Norm im Jahre 2004 geschaffenes Gesetz, das Diskriminierungen auf Grund von Herkunft, Ethnie oder Geschlecht verbietet.

Es geht mir nicht darum, den Wert des einen oder anderen Gesetzes zu beurteilen, sondern darum Überlegungen dazu anzustellen, dass die Tatsache, dass ein Ladeninhaber weiterhin bestimmen kann, wen er in sein Lokal einlässt oder nicht, das Gesetz gegen Diskriminierung wirkungslos macht. Das ist ein Paradoxon. Letztendlich kann der Inhaber eines Lokals nach dem einen Gesetz als Rassist verurteilt sein, aber weiterhin Personen bestimmter Ethnien, Geschlechter, Hautfarben oder sexueller Orientierungen den Zugang in sein Lokal untersagen. Dieser Punkt sollte nach Meinung des Autors im Mittelpunkt der aktuellen Debatten stehen.

Die Neuerfindung der Integrationspolitik muss Hand in Hand gehen mit Maßnahmen gegen Eintrittsverbote in Geschäftslokale; schließlich ist es kein Zufall, dass ein solches Gesetz schon in den Anfängen der brasilianischen Gesetzgebung beschlossen wurde, weil doch Handelsbetriebe in einer demokratischen, pluralistischen und kapitalistischen Gesellschaft einen wichtigen nationalen Integrations- und Entwicklungsort darstellen und im Angesicht ihrer gesellschaftlichen Funktion es kaum sinnvoll wäre, bestimmten Mitgliedern dieser Gesellschaft den Zugang zu diesen Betrieben zu verweigern. Schließlich tragen ja alle Mitglieder dieser Gesellschaft unabhängig von ihrer enthnischen Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe und ihrer sexuellen Orientierung mit ihrer Arbeit, ihrem Denken und dem Zahlen der Steuern zum Projekt der Nation, welches immer dies auch sei, bei. Man kann natürlich anbringen, dass­ im Fall des oben erwähnten Beispiels der Inhaber des Lokals, der seine Mitarbeiter auffordert, Personen bestimmter Herkunft, Hautfarbe, eines bestimmten Geschlechts, einer ethnischen Gruppe oder sexuellen Orientierung, nicht das Lokal betreten zu lassen, dies auf Grundlage des Gesetzes macht (da ihm das österreichische Gesetz dieses Recht zugesteht). Das Gegenargument dazu wäre, dass das Gesetz mangelhaft ist und geändert werden muss, weil es der Entwicklung der Gesellschaft entgegenwirkt. Ein Beispiel dazu wäre, dass in einer Gesellschaft, in der die Frauen kein Wahlrecht haben - was auch in der österreichischen Geschichte der Fall war - diese Rechtssituation abgeschafft wird, da sie sich auf ein Gesetz stützt, das offensichtlich vorurteilsbeladene Handlungen legitimiert.

Wenn ein solches Gesetz rechtskräfig ist, dient es als Legitimation vorurteilsbeladener und rassistischer Praktiken, da es eine legale Basis gegen eine der Grundsteine der Entwicklung demokratischer Gesellschaften darstellt: der Bewegungsfreiheit. Gleichzeitig muss man sich überlegen, dass ein solches Gesetz zum negativen Prozess der Ghettobildung einer Gesellschaft beiträgt. Es stellt eine klare Missachtung der Freiheit dar, weil dadurch sogenannte "no go places" entstehen, Dies ist eine der perversesten Formen von Vorurteilen und Rassismen, die Selbstbestrafung und Selbstbeschränkung (wie beispielsweise eine Person, die ähnliche Erfahrungen wie die des Autors erlebt hat und sich dafür entscheidet, lediglich solche Orte und Lokale zu besuchen, bei denen sie sich sicher ist, nicht zurückgewiesen zu werden). Eine solche Situation führt zur Ghettobildung, denn auch wenn sich auch diese Person in einem ersten Moment dafür entscheidet, nur noch an Orte zu gehen, wo sie akzpetiert wird, so wird sie diese stressgeladene Situation bald als ermüdend empfinden und folglich werden Plätze entstehen, wo sich diese Person mit Ihresgleichen trifft. Geht es um Integration, so sollte von allen Beteiligten versucht werden, eine solche Situation zu verhindern, denn sie führt langfristig zu extremen Bedingungen eines versteckten, doch legitimierten Rassismus, bildet ideale Ziele für Attentate und/oder diskriminierende Aktionen der Gesellschaft und der öffentlichen Institutionen (nach der Bar und dem Nachtlokal kommen dann die kleinen Geschäfte und danach entscheiden sich immer mehr Personen dafür, in einer bestimmten Region zu leben, was zur Entstehung eines Ghettos führt, wo dann öffentliche Dienstleistungen eingefordert werden die, gestützt durch denselben Rassismus der ihre Notwendigkeit herbeigeführt hat, und durch ihre schlechte Qualität und Unzulänglichkeit einen Teufelskreis des Ausschlusses bilden und bald danach zu explosiven Situationen wie jene der brasilianischen Favelas, der französischen "Banlieus" und der Vorstadtviertel von Los Angeles und New York führen). In den diversen Stellungsnahmen, die der Autor nach seinem Erlebnis von verschiedenen Personen gehört hat, stechen zwei besonders hervor, die hier nochmals erwähnt werden sollen, da sie für die dargestellten Überlegungen hilfreich sind. Erstens, die erwähnte Vorgangsweise ist allgemein üblich ­ zumindest in Wien (ein Bekannter erzählte mir, dass er vor ca. zwei Jahren, nachdem er zwei Mal in demselben Lokal, in dem der Autor Zutrittsverbot erhielt, und in einigen anderen zurückgewiesen wurde, sich an die Organisation ZARA wandte und gemeinsam mit Mitarbeitern dieser Gruppe insgesamt 15 Nachtlokale aufsuchte, wobei er in 13 nicht eingelassen wurde!!!) i . An zweiter Stelle sollte hervorgehoben werden, dass von Außenstehenden sehr oft eine angebliche Unkenntniss der Situation zur Schau gestellt wird und oft eine gewisse Apathie, ein Konformismus oder Zustimmung zu jenem Gesetz, dass dem Lokalinhaber zugesteht auszuwählen, wer sein Lokal betreten und dort konsumieren darf und wer nicht (um diesen Aspekt zu veranschaulichen kann man erwähnen, dass ja mehrere Personen das Erlebnis des Autors miterlebten und sich erstaunlicherweise in keinem Moment zum Geschehen äuerten). Diese Unkenntnis der Situation ­ oder die unreflektierte Akzeptanz des Gesetzes ist besorgniserregend, vor allem wenn man an die jüngste Geschichte des Landes und einige äuerst unlobenswerten Ereignisse denkt. Aus diesen und anderen Gründen sollten in einem Moment, in dem einerseits Chalupka die Neuerfindung der Integrationspolitik einfordert, in dem andererseits bereits über Strategien im Schulwesen und im religiösen Bereich nachgedacht wird und darüber, was die Rechte und Pflichten sowohl der Immigranten und als auch der eingesessenen Staatsbüger in einem demokratischen Zusammenleben sein sollten, weitgehende Regelwerke beschlossen werden, die in einem weiten Rahmen Lösungen für diese Probleme Art bringen.

Dabei ist es indiskutabel, dass existierende Gesetze, die Handlungen wie jene, die der Autor erlebte, rechtfertigen, nicht entsprechend geändert werden. Eine solche Änderung der gesetzlichen Grundlagen sollte einen Schwerpunkt sein, im Engagement für die Rechte von Minderheiten und die Gleichstellung in der Differenz. Soziale, ethnische und religiöse Bewegungen, die gesamte Gesellschaft sollte sich dafür einsetzen und solche legale Rückstände aufzeigen, da diese den kulturellen Nährboden für den Ausschluss, für Vorurteile und Rassismen bilden. Dabei sollte man gemeinsam das "Enforcement" vorantreiben um den englischen Ausdruck zu verwenden, der die kleinen Aktionen bezeichnet, die zur vollen Durchsetzung des größeren Gesetzes notwendig sind -, das zu einer vollen Verantwortung aller führt, ohne offene oder versteckte Ausnahme für oder gegen einige. Anderenfalls verlieren sich neue Regeln in den Verwicklungen der juristischen Schikanen, die den "status quo" erhalten, den sie eigentlich bekämpfen sollten. Natürlich gibt es viele, die aus offensichtlichen Gründen gegen eine solche Änderung sind und die das Argument verteten werden, dass bei einem Privatunternehmen der Eigentümer die Freiheit hat zu entscheiden, was er macht oder nicht macht, aber es sollte doch daran erinnert werden, dass eine solche Freiheit nicht dazu dienen kann, die Freiheit und das Recht der Minderheiten zu unterschlagen, die auch Teil der Gesellschaft sind und zur ihrer Entwicklung beitragen. Und in diesem Sinne sollte man handeln.


Anmerkungen


1) Cf. Profil. Ausgabe: Nr.17, 18 April 2003, Seite: von 40 bis 42; Titel: Wie fühlt sich afrikanisches Haar an? Progress. Ausgabe: Jänner 2003, Seite: 11; Titel: Heute geschlossene Gesellschaft. Der Standard. Ausgabe: 18. Dezember 2002, Seite: 9; Titel: Discotheken - Türpolitik ist ost rassisitisch. Unique. Ausgabe: Nr. 01, 15 Jänner 2003, Seite: 6; Titel: Zwangsmitglieschaft im Club der Weißen

Prof. Dr. Adilson Siqueira


Geboren 1963, ist Universitäts professor aus Brasilien. Momentan in Österreich für Post-doktorat und Forscher als Lehrauftrager an der Universität für Musik und Darstellende Kunst, Wien und an der Universität Mozarteum, Salzburg. E-Mail: negrados2 (at) yahoo.com