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[ 01. Aug 2006 ]

Über Migrationen, Grundrechte und Bewegungsfreiheit

Demonstration vor dem Parlament in Rabat, 01. Jul 2006

Bericht von der euro-afrikanischen Nicht-Regierungs Konferenz mit dem Titel "Migrationen, Grundrechte und Bewegungsfreiheit", 30.6. - 1.7.2006 in Rabat/Marokko. Von Conni Gunßer.

 

Am 30.6./1.7.2006 fand in Harhoura bei Rabat/Marokko eine euro-afrikanische NGO-Konferenz zu "Migrationen, Grundrechten und Bewegungsfreiheit" statt. Anlass war eine Konferenz von Regierungsvertretern der EU und 27 afrikanischen Staaten zu "Migration und Entwicklung", die am 10. und 11.7.06 in Rabat stattfand (siehe :: Presseerklärung vom 12.7.2006 von Pro Asyl dazu - eine genauere Analyse wäre einen eigenen Artikel wert). Organisiert hatten die Gegenkonferenz Gruppen und Einzelpersonen des Netzwerks :: "migreurop", vor allem aus Frankreich und Belgien, sowie Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen aus Marokko. Eingeladen wurden Organisationen aus Europa, Nord- und Subsahara-Afrika. Konferenzsprachen waren Französisch und (bei wenigen Beiträgen) Arabisch.


TeilnehmerInnen der Konferenz


Um eine gleichgewichtige Repräsentanz der Länder Europas, Nord- und Subsahara-Afrikas zu erreichen, wurde die TeilnehmerInnenzahl, die aus Kostengründen auf ca. 150 begrenzt werden musste, für jede Organisation auf ein bis zwei VertreterInnen beschränkt - mit Ausnahme der Organisationen subsaharischer Flüchtlinge in Marokko, die in großer Zahl anwesend waren. Aus Marokko waren außerdem Menschenrechtsorganisationen wie die AMDH (über deren Sekretariat die Organisation lief), sehr aktive attac-Gruppen und Universitätsdozenten vertreten. Aus anderen nordafrikanischen Ländern waren AktivistInnen aus Algerien, Tunesien und angeblich auch ein Vertreter der Menschenrechtsliga aus Libyen anwesend. Aus Subsahara-Afrika kamen Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, Unterstützungsvereinen für Familien und Opfer von Migration, entwicklungspolitischen Gruppen und Netzwerken für Schuldenstreichung und die Rechte von LandarbeiterInnen (alle aus frankophonen Ländern von Mauretanien über Senegal, Mali, Niger, Elfenbeinküste, Guinea, bis Kamerun und den beiden Kongos). Kontakte zu ihnen waren z.T. über das Polyzentrische Weltsozialforum (WSF) im Januar in Bamako entstanden, auf dem ein Aufruf zu internationalen Mobilisierungen gegen Lager, Externalisierung der Grenzkontrollen und für Bewegungsfreiheit zum nächsten WSF 2007 in Nairobi verabschiedet worden war. Aus Europa waren französische, belgische, niederländische, italienische und spanische Flüchtlings-, MigrantInnen- und Menschenrechtsorganisationen vertreten. Aus Deutschland war ich (als Vertreterin von Pro Asyl und des Flüchtlingsrats Hamburg) die einzige außer zwei MitarbeiterInnen der Friedrich-Ebert-Stiftung, die neben migreurop, oxfam, Caritas und einer belgischen Organisation die Konferenz mitfinanzierte.


Die Diskussionen auf der Konferenz


Bereits im Eröffnungsplenum wurde die afrikanische Perspektive in einer für mich in Deutschland ungewohnten Stärke und Entschlossenheit deutlich: Migration wurde von Subsahara-AfrikanerInnen u.a. als Folge einer gescheiterten "Entwicklungspolitik" dargestellt, die immer mehr zu einer Kriegs- und Kollaborationspolitik mit Pseudo-Demokratien wird. "Man installiert die Armut - und dann wundert Ihr Euch, dass die Leute kommen?" fragte z.B. ein Kongolese, der als aktuelles Beispiel den Militäreinsatz von EU und zum ersten Mal auch Deutschland in seinem Land kritisierte.

"Europa schließt unsere Grenzen" zitierte Thierno Ba eine Zeitungsüberschrift aus dem Cotidien du Senegal. Er kritisierte das Fehlen von Solidarität zwischen den afrikanischen Ländern: "Es gibt nicht ein weißes und ein schwarzes Afrika - es gibt nur ein Afrika!", und dieses Afrika sei fähig, etwas zu leisten, wenn es sich zuerst einmal selbst respektiere statt sich an Europa zu verkaufen.

Auch ein marokkanischer Ökonom kritisierte, dass im Zuge der Politik der Externalisierung immer mehr afrikanische Regierungen sich bereit erklären, die Rolle des Gendarmen für Europa zu spielen. Die Forderung nach Bewegungsfreiheit müsse für alle gelten, nicht nur für das Kapital. Nötig seien auch ein Kampf gegen den Anstieg des Rassismus im Maghreb und eine Untersuchung der Ereignisse vom Herbst 2005 in Marokko, Ceuta und Melilla.

Mit einer Schweigeminute wurde der Toten an den Grenzen, in den Wüsten und im Meer gedacht. Bereits drei Tage nach unserer Konferenz kamen am Zaun von Melilla drei weitere Menschen zu Tode.

Claire Rodier, Präsidentin von migreurop, kritisierte u.a. die geschlossenen Lager und die Politik der "migration choisie", d.h. die Tendenz, dass Europa sich die MigrantInnen, die es braucht, aussuchen will und für die andern die Grenzen dicht macht.

Fiston Massamba, ein kongolesischer Flüchtling in Marokko, stellte die unerträgliche Situation der MigrantInnen und Flüchtlinge in Marokko dar und betonte, Bewegungsfreiheit sei ein Grundrecht und die enormen Geldtransfers der MigrantInnen in Europa trügen zur Armutsbekämpfung in ihren Herkunftsländern bei. Von mehreren TeilnehmerInnen wurde Migration als etwas Normales in der Geschichte der Menschheit dargestellt.

Am Nachmittag wurde dann in vier "thematischen Versammlungen" diskutiert, u.a. zu Grundrechten, Bewegungsfreiheit und Rehabilitierung des Asylrechts, zur Sicherheitspolitik und ihren Konsequenzen, zur Entwicklung und Aufteilung des Reichtums, zu Aufnahme- und Integrationspolitik und den Rechten der ArbeitsmigrantInnen.

In meiner Arbeitsgruppe ging es zunächst um die Frage "Welche Bewegungsfreiheit wollen wir?" Mit Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde die Freiheit, sein Land zu verlassen und demzufolge auch, sich in einem anderen Land niederzulassen, als Grundrecht definiert. Vor Einführung der Visapflicht war es für AfrikanerInnen üblich, dass jeweils einer aus der Familie für eine bestimmte Zeit nach Europa ging und später durch einen anderen ersetzt wurde - heute ist das kaum noch möglich, und die Beantragung eines Visums (das meist abgelehnt wird) ist zu einer Geldfrage geworden. Im Gegensatz dazu sehen es EuropäerInnen als ihr selbstverständliches Recht, überall hinzureisen, zu arbeiten, Häuser zu kaufen und die Reichtümer der Länder Afrikas auszubeuten. Gegen diese Ungleichheit wurde die Abschaffung aller Visa für den kurzzeitigen Aufenthalt gefordert - auf der Basis einer "positiven Gegenseitigkeit", statt, wie auch von einigen gefordert wurde, ein Visum für ganz Afrika auch für EuropäerInnen. Als Perspektive wurde von vielen die Abschaffung aller Visa bzw. die Einführung eines "globalen Passes" und Öffnung aller Grenzen gefordert.

Im zweiten Teil der Diskussion, in der es u.a. um die Aushöhlung des Asylrechts ging, kam insbesondere von kongolesischen und ivorischen Flüchtlingen in Marokko heftige Kritik am dortigen UNHCR. Die meisten dieser Flüchtlinge haben zwar wegen der Bürgerkriegssituation in ihren Ländern Papiere vom UNHCR bekommen, die ihnen den Flüchtlingsstatus zuerkennen - im Gegensatz zu Flüchtlingen/MigrantInnen z.B. aus Mali, Senegal, Gambia u.a., die bereits massenhaft abgeschoben wurden. Aber zum einen interessieren diese Papiere die marokkanischen Behörden nicht und werden bei Razzien und Kontrollen einfach zerrissen und die Betroffenen festgenommen und mit Abschiebung bedroht. Zum andern erhalten die Flüchtlinge keinerlei materielle Unterstützung, müssen in überteuerten, heruntergekommenen Häusern oder auf der Straße vom Betteln, Müll oder Prostitution leben, bekommen keine Arbeit, Behandlung bei Krankheit wird ihnen verweigert, und sie sind mit immer stärker werdendem Rassismus auch in der Bevölkerung konfrontiert. Die Flüchtlinge beklagen, dass der UNHCR ihnen weder juristische noch physische Sicherheit garantiert und die MitarbeiterInnen des Büros, die über Überforderung klagen, auch nicht gewillt seien, das zu tun. Stattdessen schlugen sie vor, mit Geld vom UNHCR am 20.6. ein Fest zum "Tag des Flüchtlings" zu organisieren, was die Flüchtlinge empört ablehnten und forderten, von diesem Geld lieber Kranke zu behandeln.

Die Wut der Flüchtlinge auf den UNHCR äußerte sich sowohl auf der Konferenz gegenüber einem ehemaligen Mitarbeiter, der die mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des UNHCR-Büros angesichts von inzwischen ca. 10.000 Flüchtlingen in Marokko darstellte, als auch bei einer Protestaktion in Rabat, die fast einen Monat nach der Konferenz stattfand: Flüchtlinge belagerten seit dem 24.7.06 anlässlich der Anwesenheit eines Vertreters aus Genf das UNHCR-Büro und 27 besetzten kurzzeitig die Kathedrale von Rabat, aus der sie von Polizei brutal geräumt wurden. Sie fordern ihre Anerkennung als Flüchtlinge und angesichts der Unmöglichkeit einer Integration in Marokko die Aufnahme in Drittländern (siehe :: Flüchtlinge in Marokko: Proteste und Repression vom 28.7.2006).


Manifest, Pressekonferenz und Sit-in vor dem Parlament


Am zweiten Tag unserer Konferenz wurde :: ein Manifest verabschiedet, in das von den BerichterstatterInnen jeder "thematischen Versammlung" die Ergebnisse eingebracht worden waren. Trotzdem gab es im Abschlussplenum noch heftige Auseinandersetzungen darüber, ob Änderungsvorschläge gleich eingearbeitet und noch von allen abgestimmt werden sollten. Aus Zeitgründen wurde die Überarbeitung einer Redaktionsgruppe übertragen. Ein Komitee zur Fortsetzung der Zusammenarbeit wurde gegründet.

Am Nachmittag fand eine Pressekonferenz statt, auf der (vor leider nur wenigen JournalistInnen) die Ergebnisse der Arbeitsgruppen, das Manifest und die unhaltbare Situation der MigrantInnen und Flüchtlinge in Marokko dargestellt wurden. Immerhin wurde in Marokko in einigen Zeitungen über unsere Konferenz berichtet.

Gegen 19.30 Uhr versammelten wir uns mit mehr als 100 TeilnehmerInnen zu einer lautstarken, internationalen Kundgebung vor dem Parlament, das als Ort ausgewählt wurde, weil dort auch die Regierungskonferenz stattfand und weil es sich an einer insbesondere abends von vielen EinwohnerInnen Rabats besuchten Flaniermeile befindet. Eine Woche zuvor wurden am selben Ort bei einer Kundgebung marokkanischer GewerkschafterInnen Moustapha Laarej, ein Gewerkschaftssekretär, von der Polizei getötet, 17 Gewerkschafter verletzt und 30 festgenommen. Unsere Kundgebung blieb - wohl wegen der Teilnahme vieler EuropäerInnen - von der Polizei unbehelligt. Für den 10.7. hat die marokkanische Menschenrechtsorganisation AMDH ebenfalls zu einer Kundgebung vor dem Parlament aufgerufen. Unsere Konferenz beschloss, dass am selben Tag in möglichst vielen Ländern Aktionen gegen die EU-AU-Konferenz stattfinden sollen. (In Hamburg fand bereits am 8.7. eine kleine Aktion mit Straßentheater gegen AusLagerung und einem Redebeitrag zu Rabat statt).

Auf unserer Konferenz wurde auch dazu motiviert, den Aufruf zu einem transnationalen Aktionstag zu Migration, der auf dem Europäischen Sozialforum (ESF) in Athen beschlossen wurde, zu unterstützen und Aktionen in möglichst vielen europäischen und afrikanischen Ländern zu organisieren. Inzwischen haben über 25 Organisationen aus Afrika und ein paar mehr aus Europa :: diesen Aufruf unterzeichnet. Der Aufruf ist in mehreren Sprachen u.a. auf :: fluechtlingsrat-hamburg.de und :: no-racism.net zu finden.

Aktionen am 7.10.2006 sind eine Möglichkeit, die Zusammenarbeit zwischen Gruppen in Europa und Afrika gegen die europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen sind durch die Konferenz viele persönliche Kontakte entstanden, die auch in der Zukunft zu einem fruchtbaren Austausch und evtl. weiteren gemeinsamen Aktivitäten führen können.

Dieser Text stammt von Conni Gunßer, :: Flüchtlingsrat Hamburg und :: nolager-Netzwerk, Kontakt: conni.gunsser (at) sh-home.de