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[ 14. Jun 2009 ]

Guinea: Abschiebepolizisten verprügelt

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Euro-afrikanische Kollaboration in der Migrationspolitik und Widerstand:
Sechs französische Polizisten wurden am 16.08.2007 in Guineas Hauptstadt Conakry am Flughafen von Abgeschobenen, Passagieren und zwei guineischen Polizisten verprügelt, als sie dort zwei aus Frankreich deportierte Guineer ablieferten.

 

Nach einem Polizeibericht hatten Passagiere, die über Misshandlungen der Abgeschobenen empört waren, per Handy ein "Empfangskomitee" am Flughafen Conakry organisiert. Hinterher seien die Franzosen auf einer Polizeiwache beschimpft worden.
Welche Hintergründe hat dieser Vorfall? Im folgenden Artikel sollen die Zusammenhänge mit den jüngsten Entwicklungen im westafrikanischen Guinea und der EU-Migrationspolitik, insbesondere den Machenschaften französischer und deutscher Abschiebebehörden sowie von Frontex, untersucht werden.

Diplomatische Kontroversen zwischen Frankreich und Guinea


Der Vorfall am Flughafen löste heftige Kontroversen auch auf Regierungsebene aus. Der Vorwurf aus Frankreich ist, die guineische Regierung habe sich nicht entschuldigt, sondern nur ihr Bedauern ausgedrückt. Die guineische Regierung klagt, dass Frankreich als einziges Land Abschiebungen nach Guinea durchführe, ohne die dortige Regierung im voraus darüber zu informieren.
Bei einem Treffen des französischen Ministers für "Einwanderung, nationale Identität und Entwicklung" und dem guineischen Premierminister am 28.8.07 ging es neben der Erörterung von Fragen der Entwicklungspolitik um diesen Vorfall. Der guineische Minister versicherte, dass die guineischen Polizisten sich nicht gegen ihre französischen Kollegen gewandt, sondern im Gegenteil diese in Sicherheit gebracht hätten. Es wurde sich darauf geeinigt, die guineischen Behörden im Vorfeld einer Abschiebung zu informieren und künftig Rückführungen besser zu koordinieren.
Vorangegangen waren diesen Ereignissen Auseinandersetzungen über einen seit dem 15.6.07 andauernden Hungerstreik von ca. 60 "sans papiers" in Lille sowie ähnliche Aktionen in Rennes und Toulouse. Auch die beiden Abgeschobenen gehörten zu diesen "sans papiers".
Der französische Einwanderungsminister hatte am 13.8.07 den zuständigen Konsul der guineischen Botschaft aufgefordert, mit Hilfe eines nach Lille geschickten Dorfältesten die guineischen "sans papiers" zur Beendigung ihres Hungerstreiks zu bewegen. GuineerInnen aus einer bestimmten Region seien die Rädelsführer von Aktionen gegen die Regierung von Sarkozy. Wenn dies nicht beendet werde, gebe es keine Visa und keine Legalisierungen mehr für GuineerInnen. Am 30.8.07 wurde nach Aushandlung eines Kompromisses der Abbruch des Hungerstreiks in Lille gemeldet.

Entwicklungen in Guinea


Die aktuellen Auseinandersetzungen müssen im Zusammenhang mit der Geschichte Guineas und den politischen Entwicklungen seit Jahresbeginn 2007 gesehen werden. Guinea wurde 1958 als erstes westafrikanisches Land von Frankreich unabhängig und wandte sich unter Präsident Sekou Touré scharf von der ehemaligen Kolonialmacht ab und dem "sozialistischen Lager" zu.
Nach Sekou Tourés Tod 1984 gelangte durch einen Militärputsch Lansana Conté an die Macht, der sich in fragwürdigen Wahlen als Präsident bestätigen ließ. Unter seiner Herrschaft öffnete sich Guinea dem Westen und entwickelte sich trotz (oder gerade wegen?) seines Rohstoffreichtums (u.a. Bauxit) zu einem der ärmsten und korruptesten Länder der Welt. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung fand zum einen in zunehmender Auswanderung, zum andern in einer traditionell starken und inzwischen auch politisch oppositionellen Gewerkschaftsbewegung ihren Ausdruck.
Auf einen am 10. Januar 2007 ausgerufenen Generalstreik antwortete Präsident Conté am 9.2.2007 mit der Verhängung des Kriegsrechts. Auf Demonstrationen und bei willkürlichen Hausdurchsuchungen wurden ca. 150 Menschen getötet und Tausende verletzt. Durch Vermittlung der ECOWAS wurde Ende Februar ein neuer Premierminister, der gewerkschaftsnahe Lansana Kouyaté, ernannt. Präsident Lansana Conté blieb jedoch im Amt, gestützt vor allem auf Teile des Militärs und korrupte Beamte.

Dubiose Delegationen und korrupte Beamte als Abschiebehelfer


Ein Beispiel für Korruption und Kollaboration guineischer Staatsbediensteter mit europäischen Abschiebebehörden sind die Besuche dubioser Delegationen aus Guinea, die seit 2005 mehrfach in Deutschland, der Schweiz, Frankreich, auf den Kanarischen Inseln – dort zusammen mit Frontex-Ermittlern aus Deutschland (FAZ 29.3.07) - und wahrscheinlich auch in weiteren EU-Ländern stattfanden und meist von Protesten begleitet waren. Zweck der Reise von jeweils vier hohen BeamtInnen des guineischen Innen- und Außenministeriums ist die "Identifizierung" afrikanischer Flüchtlinge als guineische Staatsangehörige und Ausstellung von Papieren für die Abschiebung. Eigentlich ist dies die Aufgabe der Botschaft, die aber nicht genug "Kooperationsbereitschaft" zeigte, sprich: nicht jedem afrikanischen Flüchtling, den europäische Behörden zum/r Guineer/in erklärten, entsprechende Papiere ausstellte. Nun wurden korrupte Beamte eingeflogen, die neben Reisekosten Tagegelder und "Gebühren" pro Reisepapier in unbekannter Höhe erhalten und Hunderte von AfrikanerInnen in Ausländerbehörden "interviewten".
Pikanterweise stellte sich beim dritten Besuch der Delegation in Deutschland heraus, dass ihr Leiter als Chef der Visaabteilung im guineischen Außenministerium sich auch als so genannter "Schleuser" betätigt und ausreisewilligen GuineerInnen für horrende Beträge Visa und Flugtickets nach Europa besorgt hatte. Nach Zeugenaussagen betroffener Flüchtlinge ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund seit Sommer 2006 in dieser Angelegenheit.
Aufgrund von Protesten betroffener GuineerInnen und einer Oppositionspartei erklärte das guineische Außenministerium in einem Communiqué vom 1.8.07 den Stopp jeder Mission zur Identifizierung und Abschiebung. Vorher müsse ein Abkommen abgeschlossen werden, das die Sorgen Guineas berücksichtige. Nach Mitteilung des BMI vom 08. November 2007 haben inzwischen Gespräche mit dem guineischen Botschafter stattgefunden. Identifizierungen und Passersatzbeschaffung sollen zukünftig in enger Zusammenarbeit mit der guineischen Botschaft erfolgen. "Rückführungen" nach Guinea sind laut BMI grundsätzlich wieder möglich, zur Zeit akzeptiert Guinea allerdings nur Abschiebungen im Linienverkehr.
Die guineische Regierung zeigte im übrigen auch "einen positiven Geist der Kooperation" (EU-Justizkommissar Frattini lt. FAZ vom 29.3.07) bei der Rückübernahme von 350 asiatischen Flüchtlingen eines von Frontex-Booten vor der westafrikanischen Küste gestoppten Schiffs sowie afrikanischer Flüchtlinge eines im Februar 2007 vor Mauretanien in Seenot geratenen Frachters.

Migration als umkämpftes Terrain


All diese Vorfälle zeigen, dass Migration ein Bereich ist, in dem widersprüchliche Interessen eine Rolle spielen: Zuerst das berechtigte Interesse der Flüchtlinge und MigrantInnen, selbst entscheiden zu können, wo sie in Sicherheit leben und Geld auch für ihre Verwandtschaft verdienen wollen. Interesse an den Rücküberweisungen (die inzwischen weltweit offiziell fast das Dreifache der "Entwicklungshilfe" ausmachen) haben nicht nur die Familien der MigrantInnen, sondern ebenfalls die Regierungen der Herkunftsländer. Diese müssten sonst mehr soziale Unruhen fürchten oder die Grundversorgung der Bevölkerung auf andere Weise finanzieren. Auch korrupte Staatsbedienstete haben ein Interesse an Migration, da sie für entsprechendes Geld Ausreisewillige passieren lassen. Dem stehen die Interessen von Regierungs- und Verwaltungsmitgliedern an Geldern der europäischer Regierungen für Rückübernahmeabkommen und entsprechende Dienstleistungen bei Abschiebungen entgegen. In den EU-Ländern gibt es nicht nur das Interesse der Regierungen, sich unerwünschter Flüchtlinge zu entledigen, sondern auch das Interesse bestimmter Wirtschaftszweige an rechtlosen und damit optimal ausbeutbaren Arbeitskräften. Welche Interessen sich jeweils durchsetzen, hängt nicht zuletzt von politischen Kämpfen ab – z.B. von Opposition und Gewerkschaften im Herkunftsland, aber auch von Flüchtlingen, MigrantInnen und ihren UnterstützerInnen in den Zielländern der Migration. Und hier bleibt noch einiges zu tun.

Dieser Artikel ist dem :: Camp08 Reader entnommen