Am 17. März 2010 starb ein 29jähriger abgewiesener Asylwerber im Zuge der angewendeten Zwangs- maßnahmen bei einer sog. Level 4 Ausschaffung. Mit zahlreichen Protesten und in Stellungnahmen wird ein sofortiges Ende von zwangsweisen Abschiebungen gefordert.
Solidarité sans frontières (Sofs) fragt in einer :: Medienmitteilung vom 18. März "Wieviele Tote braucht es noch?" und fordert den dauernden Verzicht auf Zwangsausschaffungen: "Zwangsausschaffungen führen - nicht nur in der Schweiz - immer wieder zu Todesfällen. Die Schweiz soll grundlegend auf Zwangsausschaffungen verzichten."
Mit einer Mahnwache auf dem Bundesplatz in Bern wurden am Freitag, 19. März die Forderungen von Sofs vor dem Parlament in die Öffentlichkeit getragen (siehe :: sosf.ch).
Amnesty International zeigte sich bestürzt und übte Kritik am Tod bei der Zwangsausschaffung, konnte sich aber nicht dazu durchringen, ein generelles Ende von Zwangsausschaffungen zu fordern. Stattdessen fordert die Menschenrechtsorganisation in einer :: Medienmitteilung vom 18. März "den Zürcher Regierungsrat auf, umgehend eine unabhängige und unparteiliche Untersuchungsinstanz einzusetzen. Zudem dürfen keine Zwangsausschaffungen mehr durchgeführt werden, solange diese nicht von unabhängigen Beobachtungspersonen begleitet werden."
Dazu ein Beispiel aus Österreich. Dort werden seit mehreren Jahren sogenannte Problemabschiebungen mit Charterflugzeugen in Begleitung von Menschenrechtsbeobachter_innen durchgeführt. Die Anwendung von Zwangsgewalt verschwindet jedoch nicht, sie wird lediglich unter Ausschluss der Öffentlichkeit exekutiert. Ein ministeriumsnaher Menschenrechts-Funktionär brüstet sich auf der Homepage seiner Organisation damit, bei derartigen Abschiebungen dabei gewesen zu sein. Er kritisiert die Praxis nicht, sondern versucht sie mit zu gestalten, wird so Teil der Abschiebemaschienerie und profitiert davon auch noch finanziell.
Eine Firma, die in der Schweiz am Geschäft mit Abschiebungen beteiligt ist, wurde laut :: ch.indymedia.org Ziel einer direkten Aktion: "ORS - scheiben kaputt :: In der Nacht von Donnerstag auf Freitag, ein Tag nach dem Tod eines Ausschaffungshäftlings in Kloten, sind ca. 5 Fenster beim Hauptbüro der ORS (Privatfirma und Verwalterin des Transit-Gefängnisses) zerschlagen worden."
'Lagebedingter Erstickungstod'
Die Gruppe augenauf zeigte sich in einem :: Communiqué schockiert über den Tod während der Zwangsausschaffung auf dem Zürcher Flughafengelände. "Wie so oft wurde in den ersten Presseberichten als erstes das Bild eines kriminellen, renitenten Asylbewerbers und Drogendealers gezeichnet. Zwar steht in der offiziellen Bekanntgabe der Kantonspolizei, dass der 29 jährige Mann polizeilich lediglich wegen Drogenhandels "verzeichnet" - also nicht verurteilt gewesen sei. Aber der Bericht der KAPO und des Bundesamt für Migration zeigt einmal mehr auf - wie gezielt man ein Opfer zum Täter macht, um damit den gewaltsamen Tod eines afrikanischen Flüchtlings in den Hintergrund zu verdrängen. augenauf weist seit Jahren darauf hin, dass bei Level 3 und 4 Zwangsausschaffungen polizeiliche Zwangsmassnahmen angewendet werden, die sehr schnell zum Tod eines Ausschaffungsgefangenen führen können und die leider auch billigend in Kauf genommen werden."
In einem :: Kommentar auf ch.indymedia.org ist zu lesen, dass die Kapo Zürich in ihrer Pressemitteilung festhielt, dass Gewalt angewendet wurde: "Er konnte nur unter Anwendung von Gewalt gefesselt werden. Kurze Zeit später zeigte er plötzlich gesundheitliche Probleme, worauf die Fesseln gelöst wurden und das Begleiterteam und die sofort beigezogene Sanität Reanimationsmassnahmen einleiteten. Trotzdem verstarb er wenig später auf dem Flughafengelände." Trotzdem behauptet der Herr Direktor des Bundesamtes für Migration, Alard Du Bois-Reymond, laut :: nzz.ch, er sei bei der Fesselung zugegen gewesen und habe "keine Gewalt feststellen" können.
Pro Asyl fordert in einer :: Presseerklärung vom 19. März 2010 Aufklärung über den "Tod bei einer sogenannten Level 4-Abschiebung, bei der auf gecharterten Sonderflügen fast alle Zwangsmittel eingesetzt werden", spricht von "tödlicher Routine mit rassistischen Zügen" und fragt: "War es wieder ein lagebedingter Erstickungstod? Welche Rolle haben atembehindernde Hilfsmittel gespielt? So wurde dem Nigerianer zum "Schutz vor Selbstverletzungen" (Behördenangabe) ein Kopfschutz aufgesetzt, wobei er bereits an Händen und Füßen gefesselt war. In welcher Weise haben ggf. Begleitbeamte zusätzlich Zwangstechniken angewendet, die atembehindernd sind bzw. - im Falle des Widerstandes des Abzuschiebenden - auf dessen erhöhten Bedarf an Atemluft nicht Rücksicht genommen?"
Sowohl Schreibtischtäter_innen als auch ausführenden Beamten muss klar gewesen sein, dass der von ihnen letztendlich umgebrachte Mensch versuchen würde, die Abschiebung zu verhindern. Medien berichteten mit Berufung auf die Behörden, dass er aus Protest gegen die bevorstehende Abschiebung in Hungerstreik getreten war. Nicht umsonst wurde eine Level 4 Abschiebung angeordnet. Welche Konsequenzen bei derartigen Abschiebungen billigend in Kauf genommen werden, ist bekannt. Doch führten zahlreiche Tote bei Abschiebungen überall in Europa bislang nicht zu einem Ende der Zwangsgewalt, sondern werden permanent repressivere Gesetze eingeführt, die entsprechend brutal exekutiert werden. Jeglicher Widerstand soll so gebrochen werden. Doch zeigt sich immer wieder, dass dies nicht gelingt. Sowohl hinter als auch vor den Mauern der Abschiebelager und -gefängnisse gibt es permanenten Widerstand.
'Gemeinsam gegen die Repressions- und Ausgrenzungsmaschinerie'
Für Samstag, 20. März um 14.00 Uhr wird schon seit längerem zu einer Bleiberecht-Demo beim Landesmuseum in Zürich aufgerufen. Das Motto lautet "Gemeinsam gegen die Repressions- und Ausgrenzungsmaschinerie". Im Aufruf ist u.a. zu lesen:
"Wir demonstrieren heute, weil wir uns nicht zu «Minderheiten» abstempeln lassen. Wir repräsentieren unterschiedlichste Ideen, Herkünfte und Ziele, aber wehren uns gemeinsam und verstärkt gegen die Isolationsstrategien, die wir erfahren. Wir lassen uns nicht marginalisieren: wir befinden uns mitten in der Gesellschaft und thematisieren aktuellste Probleme, die von der offiziellen Politik verschwiegen werden. Wir leben Solidarität und beleben damit eine neue, andere Welt, in der Menschen mehr zählen als Profit. Wir wollen ein menschenwürdiges Leben für alle, ein Bleiberecht für alle, Lehrstellen für Jugendliche (auch Sans-Papiers!) und günstige Wohnungen überall in der Stadt sowie eine offene und kritische Universität."
Der Tod bei der Abschiebung wird auf der Demonstration sicher thematisiert. Weitere Informationen auf :: augenauf.ch, :: sosf.ch und :: ch.indymedia.org.
Zu einer weiteren Demonstration wird am Sonntag, 21. März in Zürich aufgerufen. Treffpunkt ist um 14 Uhr bei der Tramhaltestelle Central. Unter dem Motto "Ausschaffung ist Mord!" gibt es einen Knastspaziergang zum Flughafengefängnis Kloten. Der Aufruf des Antirassistischen Netzwerks dazu lautet:
"Diesen Mittwoch ist ein 29-jähriger Flüchtling aus Nigeria bei der gewaltsamen Vorbereitung auf einen Sonderflug nach Lagos in Kloten gestorben. Einmal mehr musste ein Flüchtling für seinen Willen hier bleiben zu wollen mit dem Leben bezahlen.
Zur Erinnerung: Khaled Abuzarifa erstickt 1999 jämmerlich, weil ihm von der Polizei der Mund verklebt wurde. Samson Chukwu starb 2001 in seiner Zelle während Beamte ihn mit Gewalt fesselten. Statt die beteiligten Beamten umgehend wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft zu nehmen, stellen die Behörden das Ganze als tragischen Unfall hin und machen das Opfer zum eigentlichen Täter. Es war ja nur ein Drogenhändler...
Um unsere Solidarität mit den gefangenen Flüchtlingen im Ausschaffungsknast zu zeigen und um diese in ihrem alltäglichen Kampf um ein Bleiberecht zu unterstützen, rufen wir zu einem Knastspaziergang nach Kloten auf!
Ihr nennt es Unfall - wir nenne es Mord!
Ihr nennt ihn Drogenhändler - wir nennen euch Mörder!"