Lange Monate war es ruhig um die Mittelmeerinsel Lampedusa, nun spricht alles reisserisch vom "biblischen Exodus", "einem Erdbeben". Grund sind die über 5000 Ankünfte von Flüchtlingen in den letzten Tagen. Der italienische Staat reagiert wie üblich - abwehrend und angstmachend. Ein Kommentar von Judith Gleitze, borderline-europe, vom 14. Februar 2011.
Es ist sicher nicht einfach, auf über 5000 Flüchtlinge aus Tunesien in nur wenigen Tagen zu reagieren. Lampedusa, näher an der tunesischen als an der sizilianischen Küste, hätte jedoch alles tun können, die Flüchtlinge von Anfang an unterzubringen. Doch die Linie des Innenministers Maroni hieß: wir eröffnen das Auffanglager nicht wieder, schließlich wollen wir kein Zeichen der Aufnahme geben. Folge: Hunderte von Flüchtlingen mussten in der kalten Nacht, manchmal auch mehrere Nächte, auf der Hafenmole verbringen. Die vom Priester der Insel zur Verfügung gestellten Räume durften auf obersten Befehl nicht benutzt werden. Sie sollten spüren, dass sie nicht willkommen sind. Dass das jedoch gegen jede Menschlichkeit verstößt, musste dann auch Maroni einsehen, am Sonntag Abend wurde das Lager, das im Übrigen seit Monaten bereit steht und in dem Angestellte bezahlt werden, wieder eröffnet.
Doch die Finanzierung eines Lagers, das nicht benutzt, aber von den Steuerzahler_innen unterhalten wird, steht auf einem anderen Blatt. Nur so viel: es gab auch schon im Januar 2011 Ankünfte, meist aus Tunesien. Konnten sie nicht umgehend ausgeflogen oder mit der Fähre weggebracht werden, so wurden Hotels bezahlt! Das sollte allerdings einmal vom Rechnungshof überprüft werden.
Die tunesischen Flüchtlinge, die nun ankommen, waren gestern noch die Held_innen des Umsturzes, heute sind sie Kriminelle, Terrorist_innen. So jedenfalls die populistische Medienmache Maronis: wir müssen das stoppen, wir holen uns die Terrorist_innen ins Haus.
Fakt dürfte wohl sein, dass die meisten jungen Männer und Frauen, die nun die gefährliche Überfahrt wagen, auch schon vorher gefahren wären, hätte es nur eine Möglichkeit gegeben. Doch die tunesischen Behörden haben die Grenzen des kleinen Landes gut überwacht. Illegale Ausreise ist strafbar. Viele Tunesier_innen trauen der Ruhe nicht, und bis sich tatsächlich etwas im Lande für sie ändert wird sicher noch eine lange Zeit vergehen. Also haben sie sich aufgemacht, jetzt ihre Zukunft zu suchen. Auch aus dem eigenen Land trägt ihnen das natürlich Kritik ein, aber verdenken kann man es ihnen nicht.
Italien hat derweil die Europäische Union beschimpft, nicht zu helfen, was EU-Kommissarin Cecilia Malmström dann aber am heutigen Tag (14.02.2011) entschieden zurückwies. Erstmal solle Italien doch einen Notfallanforderungsplan vorlegen, es gebe ja keinerlei Angaben, was das Land denn brauche. Am Abend des 14. Februar verkünden die italienischen Nachrichten, dass Italien 100 Millionen Euro gefordert hat, damit die Flüchtlinge verpflegt und untergebracht werden können. Bezahlt werden laut italienischer TV-Nachrichten aber nur 17 Millionen. Auch über einen Frontexeinsatz werde nachgedacht. Maroni sprach auch erst von einer neuen Rechtsverordnung, die eine sofortige Abschiebung möglich machen würde, denn das, so Maroni wörtlich, wolle er. Schließlich hat Italien die europäische Richtlinie zur Rückführung noch nicht in nationales Recht umgesetzt, und am liebsten würde die Regierung das auch nicht tun, denn diese verbietet massenhafte Inhaftierungen und Zurückschiebungen ohne individuelle Prüfung des Falls.
Derweil werden die Flüchtlinge, unter ihnen waren auch immer mal wieder Schwarze(*) zu sehen, in die Auffanglager in Sizilien, Apulien und Kalabrien verteilt. Doch das geht langsam, immer noch befinden sich über 2000 Menschen im Auffanglager Lampedusa, Platz im Notfall gibt es für gut 800. Diese Überfüllung hat 2009, als das Lager ebenso voll war, zum Aufstand geführt. Sicher auch um dieses zu verhindern sind die Flüchtlinge nun nicht eingesperrt, sie können das Lager verlassen, was viele aber gar nicht in Anspruch nehmen, glaubt man den Pressemeldungen, da sie auf einen Transfer nach Italien warten und nichts verapssen wollen. Mitarbeiter von UNHCR, IOM und Save the Children kümmern sich derweil um die Ankommenden.
Der Beauftragte für die Flüchtlingsfrage in diesem Notfall, der palermitanische Präfekt Giuseppe Caruso, teilte heute mit, dass Sizilien schon alle aufnehmen könne, es wurden bisher zwei Notstandslager in den sizilianischen Städten Pozzallo und Rosolini eröffnet.
Doch was wird nun wirklich aus den Flüchtlingen? Haben sie eine Chance? Was wird aus den bisher mindestens hundert Minderjährigen? Außenminister Frattini ist nach Tunis gereist, um dort zu verhandeln, wie man die Flüchtenden aufhalten kann. Die tunesischen Behörden scheinen auch schon wieder die Arbeit aufzunehmen, denn vor der tunesischen Küste scheint es mindestens zwei Unfälle gegeben zu haben, bei dem einmal 22 und das andere Mal fünf Flüchtlinge zu Tode kamen, ihre Boote scheinen von denen der Küstenwache gerammt worden zu sein. Das wuerde bedeuten, alles geht so weiter wie es aufgehört hat. Italien, das den alten Diktator Ben Ali bis zum Schluss die Stange gehalten hat, wird es freuen. Wenn schon der gute Handelspartner verloren gegangen ist - und mit ihm auch noch Mubarak in Ägypten - dann muss doch zumindest die Abschottung wieder hergestellt werden.
Anmerkung no-racism.net:
(*) Der rassistische Begriff "schwarzafrikanisch", der mittlerweile als Ersatz fuer das N-Wort dient, wurde hier von no-racism.net geändert. Wir richten uns gegen die Verwendung von rassistischen Begriffen in der Sprache und kritisieren insbesondere Leute mit antirassistischen Absichten für die Reproduktion von Rassismus über Wörter.
Artikel bearbeitet übernommen von :: borderline-europe.de, 14. Feb 2011.