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[ 29. Oct 2011 ]

Zweifelhafte Gutachten zum Tod von Oury Jalloh

Der Porzess in Magdeburg wird von Protesten begleitet.

Nach dem Freispruch gegen die beiden angeklagten Polizisten im Prozess um den Tod von Oury Jalloh im Dessauer Landgericht, wird ein weiterer Prozess im Oberlandesgericht Magdeburg gegen den Angeklagten Schubert verhandelt. Ein Bericht über zwei Prozesstage und die Rolle von Gutachten.

 


Vorgeschichte


Oury Jalloh aus Sierra Leone wurde im Januar 2005 wegen angeblicher Belästigung von Frauen von der Polizei in Gewahrsam genommen. Eine Anzeige von Seiten der Frauen erfolgte nicht. Nach Angaben der Polizei zufolge hätte Oury Widerstand geleistet und wurde deshalb in der Zelle auf einer Matratze gefesselt. Danach kam es zu dem bisher ungeklärten Brand welcher zum Tod von Oury Jalloh führte.

Der Dienstgruppenleiter Schubert und ein weiterer Polizist wurden am 08. Dezember 2008 vom Landesgericht Dessau vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Der Prozess zeigte viele Widersprüche und vor allen Dingen den völlig fehlenden Aufklärungswillen von Seiten der Polizei auf.

Da Staatsanwält_innenschaft und die Nebenkläger_innen Revision einlegten, hob der Bundesgerichtshof am 07. Jänner 2010, also exakt fünf Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh, den Freispruch gegenüber dem Dienstgruppenleiter auf. Seit dem 12. Jänner 2011 läuft der neue Prozess am Landesgericht Magdeburg gegen den Dienstgruppenleiter Schubert.


Zum Revisionsverfahren


Der Prozess wird begleitet von vollkommen übertriebenen "Sicherheitsmaßnahmen" wie dem durchsuchen von allen Zuschauer_innen sowie dem abkopieren der Personalausweise. Eine seltsame Demonstration der Wichtigkeit von deutschen Dokumenten - ohne deutschen Ausweis kann der Prozess nicht beobachtet werden, womit gerade viele derer ausgeschlossen werden, die das Opfer persönlich kannten. Wenn man dazu bedenkt, dass es wahrscheinlich nur zum Tod von Oury Jalloh kam, weil er selber keinen deutschen Personalausweis besaß, wegen seinem Status als "Asylbewerber". Neben diesem Hohn ist die Ausweiskopie ein starkes Einschüchterungsmittel. Prozessteilnehmer_innen aus Magdeburg selbst werden durch die Kommentare der Polizist_innen, auf die sie im Alltag jeder Zeit treffen könnten, genug eingeschüchtert. Durch die Ausweiskopie wird nun auch Besucher_innen aus anderen Bundesländern Angst gemacht. Die Prozessteilnehmer_innen sind in einer Situation gefangen, in der sie von mindestens fünf bewaffneten Polizist_innen überwacht und beobachtet werden, während sie zeitgleich durch den Verlauf des Prozesses demonstriert bekommen, wie vollkommen hilflos und vogelfrei sie in diesem Land sind. Der Prozess selbst wird damit selbst zur Drohung gegen alle unabhängigen Beobachter_innen!


Zweifelhafte Gutachten


Der Hauptgutachter für das Brandgutachten Steinbach wurde am 22. September 2011 einen ganzen Prozesstag lang vernommen und noch einmal am 13. Oktober, wobei insgesamt wenig Neues ans Tageslicht kam.

Immer wieder machte er deutlich, wenn er auf Schwächen seiner Versuchsreihen und Messungen hingewiesen wurde, dass er nur den klaren Vorgaben des Innenministeriums und des Kammergerichts folgte. Diese sahen vor, dass der an beiden Händen gefesselte Jalloh, die schwer entflammbare Hülle des Bettes öffnete und dann diese und damit sich selbst, mit einem in die Gefängniszelle geschmuggelten Feuerzeug in Brand setzte. Kein einziger Versuch beinhaltete andere Möglichkeiten der Feuerentfachung, wie z.B. mit Brandbeschleuniger. Die Versuche wurden schließlich auch immer nach einem gewissen Zeitraum gelöscht ohne das Feuer die Matratze und den darauf befindlichen Dummy (es wurde kein Fleisch oder ähnliches verwendet) ganz abbrennen zu lassen. Somit war es natürlich nicht möglich zu sehen, dass die vorgestellte Variante im Ergebnis nicht dem in Jalloh Zelle aufgefundenen Zustandes entsprechen konnte.

Auf den vorgeführten Videos war deutlich zu erkennen, dass die für einen Brand ausreichende Fläche auf der Matratze nur von zwei Leuten aufgerissen werden konnte. Noch mehrere Details blieben im Dunkeln oder mussten auch vom Gutachter selbst als reine Fiktion zugegeben werden.

Bei der Befragung durch die Mediziner_innen, welche wiederum auch als Gutachter_innen fungieren, wurde schnell deutlich, dass ihre Gutachten eindeutig auf dem Gutachten von Steinbach basieren und damit auf dessen falschen bzw. unbewiesenen Annahmen.

Am 13. Oktober 2011 wurde ebenfalls der zweite Brandgutachter Fiedler angehört. Auch dieser wiederholte hauptsächlich die Angaben aus dem vorigen Prozess in Dessau. Nach Angaben des Gutachters kommt keines der technischen Geräte in der Zelle für den Brand in frage und somit ausschließlich eine offene Feuerquelle. Auch die Feuermelder funktionierten ordnungsgemäß. Diese wurden zuvor in jener Zelle ausgetauscht, da sie angeblich mehrfach Fehlalarm auslösten. An dieser Stelle kam auch heraus, dass diese Feuermelder nach einem Vierteljahr nach der Neuinstallation noch einmal hätten überprüft werden müssen, was nicht geschah.

Auf der Seite der Wand an der sich die Matratze befand wurde dem Gutachter zufolge die stärkste Russbildung gefunden. Zuerst führte er aus, dass dies wohl ein Hinweis darauf wäre, dass dort das Feuer entfacht wurde, also an der Stelle wo angeblich das Opfer die Matratze angezündet haben soll. Nach mehreren Nachfragen revidierte er mehr und mehr diese Aussage. Russ bilde sich besonders an einer großen Feuerstelle, aber nur wenn die Stellen (also hier die Kacheln an der Wand) noch relativ kalt sind. Somit wären die starken Russabbildungen an der Wand ein Hinweis auf den Entstehungsort des Brandes, was er aber aufgrund der räumlichen Größe nicht mit Gewissheit sagen könne. Nach mehreren Klärungsversuchen von Seiten der Anklage wurde deutlich, dass der aufgefundene Russ auch ebenso gut das Gegenteil belegen könnte. So hätte dies der Fall sein können, wenn von einer anderen Stelle der Zelle, wie der Tür, mit Brandbeschleuniger eine Spur bis zu Matratze gelegt und diese dann entzündet worden wäre. Da der Fußboden in seinem aufgefundenen Zustand nicht gesichert wurde, kann auch nichts zu einer möglichen Brennspur gesagt werden. Tests für diese Möglichkeit oder überhaupt über die Russbildung an Kacheln in einer solchen Situation, wurden nicht gemacht, da diese nicht im Auftrag des Gutachtens enthalten waren.

    Dialog aus einem Gedächtnisprotokoll:
    Anwältin der Nebenklage: Ist es möglich Brandbeschleuniger über die Matratze und über den Boden zu schütten und dann von weiterer Entfernung anzuzünden?

    Fiedler: Dann müsste man ja Spuren auf dem Boden sehen!

    Anwältin der Nebenklage: Haben Sie den Boden im unbehandelten Zustand untersucht?

    Fiedler: Nein (War nicht mein Auftrag)

Wohl wissend, dass keine Materialien zum Boden nach dem Brand bestehen, versucht der Gutachter dennoch den Anschein zu erwecken, die Frage wäre absurd weil keine Spuren gefunden worden. Eines von vielen Hinweisen zu der "Neutralität" der Gutachter.

In einem seltsamen Zwiespalt mit dem Hauptgutachter über die Feuermelder könnte schließlich der alles entscheidende Kniff stecken, um für den Angeklagten auch hier einen Freispruch zu erwirken. Angeblich wären die benutzten Feuermelder nicht für eine solche Umgebung geschaffen, in der eine solch kurze Handlungszeit vonnöten ist. Der "Rettungsplan" sei in diesem Fall dafür verantwortlich, dass eine Rettung nicht möglich war. Die hierfür entscheidenden Zeiten entnahm der Gutachter ungeprüft dem Auftrag des Innenministeriums und Kammergerichts. Daraus könnte die Verteidigung (und darauf folgend das Gericht) den Schluss ziehen, dass den Angeklagten keine Schuld trifft, da eine Rettung ohnehin nicht möglich war, auch wenn der mehrfache Alarm der Feuermelder nicht ignoriert worden wäre. Da im selben hier schon einmal eine Person in der Zelle verbrannte, werfen diese Aussagen über die Funktion der Feuermelder und einer notwendigen Rettung unzählige Fragen auf.

Damit wäre die Meinung des Gutachters die Möglichkeit alle weiteren drängenden Fragen um die "seltsamen Geschehnisse" in jener Nacht, wie z.B. das gebrochene Nasenbein des Opfers oder die von Zeugen gesehene Flüssigkeit in der Zelle, aufklären zu müssen. Eine Auflösung dieser Mysterien könnte nur ein neues unabhängiges Gutachten schaffen. Ob dieses nun endlich angefordert wird, wird sich wohl in den nächsten Prozesstagen entscheiden.


Prozess beobachten, Proteste unterstützen!


Der nächste Prozesstermin wurde auf den 03. November 2011 im Magdeburger Landgericht gelegt. Unterstützung und Zuschauer_innen sind gerne gesehen. Von Berlin aus fahren auch Busse, hierfür bitte bei der Initiative Oury Jalloh melden.

Auf deren Blog finden sich weitere Berichte, Pressemeldungen und die kommenden Prozesstermine, siehe :: initiativeouryjalloh.wordpress.com

Chronologie der Ereignisse und Prozesstage in Dessau auf :: prozessouryjalloh.de.

Artikel bearbeitet übernommen von :: de.indymedia.org, 18. Okt 2011.