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[ 24. Sep 2013 ]

Hunderte von Flüchtlingen werden in der tunesischen Wüste dem Sterben überlassen

Protest der Flüchtlinge aus dem Flüchtlingslager Choucha - sie fordern Sicherheit und einen Platz, an dem sie leben können.

Das Flüchtlingslager Choucha an der tunesisch-libyschen Grenze, das Flüchtlinge aus dem Libyen-Krieg aufnahm, wurde offiziell am 30.6.2013 geschlossen. Die Räumung der verbliebenen etwa 400 Flüchtlinge ist in den kommenden Wochen zu befürchten. Pressemitteilung vom 23.09.2013.

 

Ende August 2013 besuchten Mitglieder des Netzwerks "Choucha Protest Solidarity" das Flüchtlingslager Choucha. Dort leben immer noch ungefähr 400 Flüchtlinge - nach Angaben von IOM (International Organisation for Migration) und UNHCR (Hohes Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) 262 abgelehnte Asylsuchende und 135 anerkannte Flüchtlinge - unter extrem harten Bedingungen, unter ihnen Familien, Kinder und kranke Menschen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischer Hilfe und Strom wurde vom UNHCR, der für das Lager verantwortlichen Organisation, beendet. Flüchtlinge versuchen jetzt verzweifelt, vorbeifahrende Autos anzuhalten und um Nahrungsmittel und Wasser zu betteln. Das Lager sieht aus wie ein Schlachtfeld, da die meisten Versorgungseinrichtungen von den NGOs zerstört wurden, bevor das Camp geschlossen wurde, und Zelte wurden vom starken Wüstenwind zerfetzt. Um etwas Geld zu verdienen, versuchen Flüchtlinge, als Tagelöhner in der nächstgelegenen Stadt Ben Guerdane zu arbeiten, obwohl diese Jobs miserabel bezahlt sind und die Konkurrenz mit tunesischen Arbeitssuchenden sehr groß ist. Ohne die Unterstützung der NGOs werden die verbliebenen Flüchtlinge nicht nur mit allen möglichen Problemen allein gelassen und jeglicher Perspektive für ein normales Leben beraubt, sondern fühlen sich auch unsicher in der einsamen Grenzregion.

Mit ihrem weiteren Aufenthalt im Lager Choucha fordern die Flüchtlinge vom UNHCR, für alle von ihnen eine dauerhafte Lösung in Ländern mit einem wirksamen Asylsystem zu finden, weil die "lokale Integration" in Tunesien, die das UNHCR ihnen anbietet, nicht funktioniert. Abgelehnte Asylsuchende werfen dem UNHCR schwerwiegende Fehler in ihren Verfahren vor, die zu ihrer Ablehnung führten. Weil sie nicht in ihre Herkunftsländer zurück können, hat diese Gruppe keine andere Wahl als im Lager zu bleiben. Sie weisen damit darauf hin, dass es die Verantwortung des UNHCR ist, ihre Verfahren neu aufzurollen und auch für sie dauerhafte Lösungen zu finden.

Aber statt auf die Forderungen der Flüchtlinge einzugehen, scheint sich die Situation zuzuspitzen. Ende August kündigte der Leiter des UNHCR-Büros im Zarzis an, dass das Lager Choucha demnächst vollständig geschlossen werde, weil die tunesische Regierung das Gelände benötige. Im Fall einer Räumung befürchten die Flüchtlinge Gewalt von Seiten des Militärs ähnlich wie im Mai 2011, als Soldaten Schüsse auf sie abfeuerten. Anschließend könnte die Abschiebung der im Camp verbliebenen Flüchtlinge drohen.

Sowohl die abgelehnten als auch die anerkannten Flüchtlinge bekamen Aufenthaltserlaubnisse für Tunesien angeboten, obwohl diese Information nicht jeder einzelnen Person im Lager vermittelt wurde und einige Flüchtlinge uninformiert blieben. Sowohl das Programm für die abgelehnten als auch das für die anerkannten Flüchtlinge wurden in einem unklaren rechtlichen Rahmen angekündigt. Bisher ist nicht sicher, wann und ob überhaupt diese Aufenthaltserlaubnisse ausgestellt werden und ob sie tatsächlich vor Polizeiübergriffen und Abschiebung schützen würden.

Darüber hinaus haben lokal integrierte Flüchtlinge kein Recht auf Familiennachzug. Versprochene Leistungen wie die Unterstützung im täglichen Leben und kostenlose Unterkunft wurden nicht gewährt, so dass die Flüchtlinge selbst Wohnraum finden und von dem wenigen Geld, das sie bekommen, bezahlen müssen. Außerdem wird die finanzielle Unterstützung in den kommenden Monaten beendet. Dies sind einige der Gründe, warum die meisten der anerkannten Flüchtlinge und abgelehnten Asylsuchenden die angebliche Bleibeperspektive in Tunesien ablehnen. Weil sie verzweifelt nach einem besseren Leben suchen, haben einige von ihnen der lokalen Integration zugestimmt, aber das Geld, das sie vom UNHCR bekamen, dazu verwendet, eine "illegale" Bootsüberfahrt über das Mittelmeer zu bezahlen und damit ihr Leben zu riskieren. Andere organisieren seit dem 26. März 2013 ein Sit-in vor dem UNHCR-Büro in Tunis, um damit gegen die lokale Integration zu protestieren und der Forderung nach Resettlement (Ansiedlung in einem sicheren Land) für alle verbliebenen Menschen Nachdruck zu verleihen.

Die Situation in Tunesien ist weiter instabil. Politisch motivierte Morde und fehlende ökonomische Entwicklung vermischen sich mit Misstrauen und Unzufriedenheit gegenüber der Regierung und führen zu einem Mangel an Sicherheit für Tunesier_innen und noch mehr für Ausländer_innen, von denen viele zusätzlich mit der täglichen Erfahrung von Rassismus konfrontiert sind. Die politischen Eliten sind weit davon entfernt, einen Konsens über eine Verfassung zu erzielen und noch viel weniger über Gesetze zum Schutz von Flüchtlingen. Deshalb kann lokale Integration für Flüchtlinge und Asylsuchende nicht als eine dauerhafte Lösung betrachtet werden, wie das UNHCR glauben machen will!

Am 5. September 2013 traf eine Delegation des Netzwerks "Choucha Protest Solidarity" zusammen mit den protestierenden Flüchtlingen in Tunis Vertreter_innen des UNHCR und der EU-Delegation in Tunis, um mögliche Lösungen für die verbliebenen Flüchtlinge zu diskutieren. Währenddessen fand eine Protestkundgebung vor der EU-Delegation statt.

Nach Angaben des UNHCR wurden die meisten Flüchtlinge aus Choucha von den USA (1.717) und Norwegen (485) aufgenommen. Die EU stellte nur sehr wenige Resettlementplätze zur Verfügung. Deutschland nahm auf Druck von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen am meisten auf (201), Großbritannien nur drei, Frankreich nur einen Flüchtling.

Wir fordern von den Regierungen der EU-Staaten, ihre Verantwortung zu übernehmen aufgrund des Libyenkriegs und die verbliebenen Flüchtlinge und Asylsuchenden aus Choucha aufzunehmen! Flüchtlingsschutz muss wichtiger sein als das politische Interesse an der Vorverlagerung der EU-Grenzen!

Presseaussendung des Choucha Protest Solidarity Netzwerks.

Weitere Informationen: http://chouchaprotest.noblogs.org

Aktuelle Informationen und ein Video von August 2013: http://la.terre.est.pour.tous.over-blog.com

Informationen der akzeptierten Flüchtlinge, die vor dem UNHCR in Tunis protestieren: https://www.facebook.com/refugees.shousha

Kontakt in Deutschland: +49-(0)173-4108642