... und ein Aufruf. Erschlagen von Eindrücken sind wir aus Ungarn zurück gekommen. In das Lager nahe der slowakischen Grenze kommen stündlich neue Menschen mit dem Bus an, die Lager des Landes werden geräumt und die Geflüchteten in Grenznähe zu Österreich gebracht.
Stündlich ändern sich die Informationen und die Bedingungen, doch es sieht so aus, als sei die Österreichische Grenze durchlässig. Wir shutteln von Vamosszabadi nach Györ, dem nächsten Bahnhof, damit sie weiter kommen, raus aus Ungarn. Viel können wir nicht machen angesichts der Masse an Menschen. Sie sehen so müde und fertig aus, die Kinder wirken erschöpft und es ist schrecklich sich vorzustellen was sie alles durchmachen mussten um hierher zu gelangen.
Wir hören viele Geschichten von der Flucht, "Ungarn war am schlimmsten, das könne man keinem erzählen". Eine Familie floh vor dem IS aber: "...dass Europa noch schlimmer sein würde hätten sie nicht erwartet". Sie wurden in Lager gesteckt, die sie nicht verlassen durften, also Gefängnisse. Dort gab es weder fließend Wasser noch medizinische Versorgung, ein Stück Brot am Tag pro Person war alles. Das ist Hilfsbereitschaft auf europäisch.
Eine Gruppe besteht aus drei 15jährigen Jugendlichen, sie sind alleine unterwegs. Ich blicke in viele Kindergesichter. Sogar eine Familie mit einer Frau im Rollstuhl hat es geschafft aus Syrien, durch die Türkei, übers Meer nach Kos durch die Lager bis hier her, wir nehmen sie mit nach Österreich.
Ich frage mich wie die Menschen diesen Weg geschafft haben, wie sie es aushalten.
Manche sind stumm, andere haben noch Kraft für Witze. Schön ist, dass wir warme Worte füreinander haben.
Schlimm ist, dass sie nicht einfach durchgelassen werden. Schlimm ist, dass sich die Situation seit dem 15. September 2015 in Ungarn noch verschärft, dass auf Familien womöglich hier an europäischen Außengrenzen geschossen wird, ein Notstand ausgerufen wird, was dem Militär noch mehr Macht gibt. Die Menschen die fliehen, werden so kriminalisiert, dass sie durch ihre bloße Anwesenheit mit bis zu drei Jahren Haft zu rechnen haben. Das ist Hilfsbereitschaft auf europäisch.
Schlimm ist, dass Europa und allen voran Deutschland behaupten hilfsbereit zu sein und die Grenzen zu macht. Thomas de Maizére halt die Fresse, mir kommt das kalte Kotzen wenn ich Sachen höre wie: "...auch die Asylsuchenden müssen akzeptieren, dass sie sich den Ort an dem sie Asyl suchen nicht einfach aussuchen können." Vielleicht sollte Deutschland mal aufhören sich aussuchen zu wollen wohin sie Waffen liefern oder Despoten unterstützen. Oder sowas wie: "Die große Hilfsbereitschaft, die Deutschland in den letzten Wochen gezeigt hat, mit seinen Hauptamtlichen aber insbesondere den tausenden ehrenamtlichen Helfern, diese Hilfsbereitschaft darf nicht überstrapaziert werden."
Wie kann er es wagen sowas zu sagen, wie kann er es wagen im Namen der Helfer_innen zu sprechen. Wie kann dieser verschissene Staat überhaupt irgendwas zu Hilfsbereitschaft sagen? Ein Land in dem die Helfer_innen boykottiert werden, in dem an Dublin III und der Registrierung von Menschen festgehalten wird, in dem Angriffe auf Geflüchtete ermöglicht und bagatellisiert werden, das ist die Hilfe die hier zu erwarten ist.
Das Schließen der Grenzen sei ein Signal an Europa, und gleichzeitig wird behauptet, Deutschland stelle sich seiner humanitären Verantwortung. Die Rede von De Maiziére ist das absurdeste, was ich seit langem gehört habe. Schengen soll ausgesetzt werden, angeblich gegen die Schlepper_innen. Ich denke, dass diese Fluchthelfer_innen wohl eher Privatpersonen sind die das Leid nicht mehr ertragen können. Es solle wieder Grenzkontrollen geben, damit alles geordnet ablaufen könne. In dieser Welt, in der überhaupt nichts geordnet, oder gerecht, oder human ist.
Eine Antwort ist, sich praktisch zu wehren, gegen die Grenzen. Ein Auto-Konvoi, der Menschen in Ungarn oder Österreich abholt und über die Grenze bringt war und ist eine Handlungsoption, sie eröffnet neue Räume. Schleusen wurde dieser tage zur Normalität in Österreich und Ungarn.
Ich habe Menschen getroffen, die sich nun schon seit Wochen engagieren, privat organisieren, Schleusen was das Zeug hält! Davon braucht es mehr!
Seid Fluchthelfer_innen, lasst uns gemeinsam kämpfen gegen Grenzen und für ein Miteinander.
Solidarisch gegen die Festung Europa!
Artikel von Fluchthelfer_innen, zuerst veröffentlicht am 16. Sep 2015 auf [urlext https://linksunten.indymedia.org/de/node/153221]linksunten.indymedia.org[/urlint]