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[ 02. Jun 2003 ]

Stellungnahme des Flughafen-Sozialdienst zur Asylgesetznovelle 2003

JuristInnen und juristisch versierte ExpertInnen von UNHCR, NGOs und dem "Netzwerk Asylanwalt" stellen unisono fest, dass der vorliegende Entwurf nicht nur eine drastische Verschlechterung für Flüchtlinge darstellt, sondern wichtige rechtsstaatliche Prinzipien in Frage stellt.

 

Am 30. Mai 2003 endete die vom BMI festgesetzte Frist zur Stellungnahme zur AsylGesetz-Novelle 2003. "JuristInnen und juristisch versierte ExpertInnen von UNHCR, NGOs und dem "Netzwerk Asylanwalt" stellen unisono fest, dass der
vorliegende Entwurf nicht nur eine drastische Verschlechterung für Flüchtlinge darstellt, sondern wichtige rechtsstaatliche Prinzipien in Frage stellt.

Die Novelle stellt einen vorsätzlichen Verstoß des Innenministers
gegen geltendes Recht inklusive des Verfassungsrechts dar. Seine
Implementierung käme einer Gesamtänderung der österreichischen
Bundesverfassung gleich, was eigentlich volksabstimmungspflichtig wäre - soweit zu den Dimensionen, um die es geht.

Die hauptsächlichen Kritikpunkte:

- Die Flüchtlinge sollen in sog. "Erstaufnahmezentren" (EZA) kaserniert werden, in denen das Verfahren im Blitztempo (maximal 72 Stunden) unter Ausschluss der Öffentlichkeit, insbesondere unter Ausschluss von NGOs oder frei gewählten RechtsanwältInnen geführt wird. In diesem "Zulassungsverfahren" soll abgeklärt werden, ob der Asylantrag überhaupt inhaltlich behandelt wird. Wenn nicht, folgt die Ausweisung, überstellung in die Schubhaft und/oder Abschiebung.

- Die einzigen Rechtsbeistände, die Flüchtlinge in dieser exponierten
Situation in Anspruch nehmen können, sind von Strasser persönlich für diese Aufgabe ausgewählte RechtsberaterInnen, "unabhängige" natürlich. Damit soll anscheinend der "Unsitte" ein Ende bereitet werden, dass NGOs für Flüchtlinge Berufung um Berufung in ihren Verfahren schreiben und sich so für das Bleiberecht der Flüchtlinge einsetzen. Ein "Lex-Anti-NGO", wie es Asyl in Not richtigerweise bezeichnete.

- Aktualisiert wird die Regelung betreffend "sichere Drittstaaten": Diese findet sich zwar schon im gegenwärtigen Gesetz, aber sie ist dank der eindeutigen Rechtssprechung des UBAS (Unabhängiger Bundesasylsenat) de facto totes Recht. Der Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich der UBAS die Freiheit herausnahm, immer wieder zu bestätigten, dass Ungarn, die Slowakei oder Tschechien für Flüchtlinge nicht sicher sind, sondern dass sie dort unter Umständen in den Verfolgerstaat abgeschoben werden können, ist offensichtlich. Die Liste der "sicheren Drittstaaten" wird einfach ins Gesetz geschrieben, womit sich der UBAS dann brausen gehen kann, und österreich dank seiner "glücklichen" geographischen Lage, umgeben von lauter "sicheren Drittstaaten", das Flüchtlingsproblem zu einem großen Teil los ist.

- Drastische Einschränkung der Rechtsmittel: Einer Berufung gegen einen negativen Bescheid im Zulassungsverfahren kommt keine aufschiebende Wirkung mehr zu, und die Abweisung des Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" ist mit der Ausweisung zu verbinden. Wenn er/sie recht behält, dann kann er/sie seinen/ihren Sieg ja im Gefängnis in Islamabad feiern.

- "Verpolizeilichung des Verfahrens" (Asyl in Not): Die Sicherheitskräfte sind angehalten, Flüchtlinge beim ersten Kontakt zu durchsuchen und auftauchende Dokumente zu beschlagnahmen. Eine "Verweigerung der Mitwirkungspflicht im Verfahren", die z.B. darin besteht, die Kaserne EAZ zu verlassen, um mit NGOs Kontakt aufzunehmen, wird mit überstellung in die Schubhaft geahndet.

Damit dieser Angriff auf das Menschenrecht auf Asyl und auf den Rechtsstaat weniger auffällt, wurde er in einer Zeit vorgetragen, in der die Öffentlichkeit mit anderem beschäftigt ist, nämlich mit Pensionen und Streiks. Und damit die Öffentlichkeit auch keine Chance hat, auf diesen Angriff zu reagieren, sofern sie ihn zur Kenntnis genommen hat und sich dafür interessiert, sollte der Beschluss auch in einem Höllentempo noch vor der Sommerpause im Parlament beschlossen werden, sodass er in einem halben Jahr in Kraft treten kann. Nach der "bewährten" Strategie: "Schnell, schnell, vielleicht fällt"s ja niemandem auf?" Und wenn doch: "Na, dann sollen sie sich halt beim VfGH beschweren" - bis der entschieden hat, dauert es sowieso Jahre, und bis dahin ist das Ziel der Novelle vielleicht ja schon erreicht: Die drastische Reduktion der Asylantragszahlen. (In den Niederlanden führte die Einführung eines solchen Schnellverfahrens im Jahr 1994 zu mehr als einer Halbierung der Antragszahlen innerhalb von zwei Jahren.)


Die Schnellverfahren

Die Auswirkungen dieser hinter verschlossenen Türen durchgeführten Schnellverfahren werden dramatisch sein. Man muss bedenken, dass die meisten Flüchtlinge, wenn sie die Grenze dieses gastfreundlichen Landes überschreiten, oft Entsetzliches hinter sich haben: Nicht nur die Verfolgung im Heimatland, die Anlass der Flucht war, sondern auch das traumatische Erlebnis der Flucht an sich. Diese dauerte oft wochen-, ja manchmal monatelang und führte sie durch die unterschiedlichsten Länder und Städte, deren Namen ihnen oft nicht einmal bekannt sind. Auch das Ziel der Flucht ist manchmal nicht klar. Es soll halt in die EU gehen, in die vermeintliche Sicherheit. Dazwischen liegen z.B. ein paar Monate ungewisses Warten in Moskau, in der Illegalität, unter menschenunwürdigen Bedingungen. Dazwischen liegt der Grenzübertritt nach österreich, vielleicht auch noch im Winter, d.h. bei Minusgraden die March durchschwimmen. Wenn die Flüchtlinge hier ankommen, sind sie erschöpft, manchmal krank, auf jeden Fall verängstigt.
Schon jetzt gleichen die Einvernahmen vor dem Bundesasylamt einem Polizeiverhör, in dem die Flüchtlinge unfreundlich bis unverschämt behandelt werden, in dem ihnen von vornherein unterstellt wird, zu lügen, in dem man ihnen deutlich zu verstehen gibt, dass sie hier nicht erwünscht sind. Dieser Tortur müssen sie sich nun zu einem Zeitpunkt höchster psychischer und physischer Belastung aussetzen, in einer Verfassung, in der "Normalmenschen ", sprich österreicherInnen ein paar Wochen Bettruhe verordnet bekämen oder an ein Kriseninterventionszentrum überwiesen würden. Vom Ausgang dieses Verfahrens kann im schlimmsten Fall ihr Leben abhängen, jedenfalls ihre Zukunft. In dieser Situation können sie, die in der Regel nicht der deutschen Sprache mächtig sind und von den komplizierten Asyl- und Fremdengesetzen schon gar keine Ahnung haben, nicht einmal auf einen unabhängigen Rechtsbeistand zurückgreifen, sondern müssen sich mit
denjenigen begnügen, die ihnen der Innenminister genehmigt, dem gleichzeitig die Behörde untersteht, die schon jetzt 90% der Asylanträge negativ bescheinigt. Viel Glück.
Um diese Message "Schleichts euch" zu untermauern, werden Flüchtlinge in Zukunft von Anfang an wie StraftäterInnen behandelt, sprich sofort bei Aufgriff von der Polizei einer Leibesvisite unterzogen, ihre Dokumente beschlagnahmt, sie selber in eine Kaserne (EAZ) überstellt, die sie nicht verlassen dürfen. Sofern sie das "Glück" haben, überhaupt in diese Kaserne überstellt zu werden: Rund um österreich verläuft dann nämlich ein 10 km breiter Grenzstreifen, quasi ein exterritoriales Gebiet. Werden Flüchtlinge innerhalb dieses Gebietes aufgegriffen, dann können sie formlos zurückgeschoben werden. 10 km sind dehnbar, wenn niemand da ist, der nachmisst.


Was tun?

Kurzfristig wird diese Novelle nur durch juristische Intervention, sprich Anfechtung vor dem VfGH, zu Fall zu bringen sein (wenn auch vielleicht zu spät für die vielen Flüchtlinge, denen durch dieses Gesetz ein Entkommen aus ihrer Verfolgungssituation verunmÃöglicht wird). Langfristig ist der Bestrebung, österreich "flüchtlingsfrei" zu machen, nur auf politischer Ebene beizukommen, denn die rechtsstaatliche Verfasstheit einer Gesellschaft ist nun mal nur ein Ausdruck ihrer sozialen und politischen Verfasstheit, und Gesetze können relativ leicht geändert werden, wie man sieht. Eine Auseinandersetzung, die angesichts der Hegemonie der derjenigen Kräfte, denen Flüchtlinge nur mehr ein Klotz am Bein sind oder die sich "nicht zuständig" fühlen, nicht leicht sein wird.

Uns geht es in dieser politischen Auseinandersetzung darum, die
Fluchtursachen sichtbar zu machen, die - vereinfacht gesagt - in den verheerenden Auswirkungen des globalisierten Kapitalismus zu finden sind, also in einem Weltwirtschaftssystem, das von den Staaten des Nordens dominiert wird und diese bevorzugt. Eine Trennung zwischen politischer, religiöser, ethnischer und sozialer Verfolgung auf der einen Seite und ökonomischer auf der anderen, ist zunehmend schwerer zu treffen und fragwürdig geworden.

Einer unserer KlientInnen beispielsweise kommt aus dem Niger-Delta in Nigeria. Sein Grundstück ist durch die Ölförderung der Firma Shell für die Landwirtschaft unbrauchbar gemacht worden; auch das umliegende Land ist verseucht, die Menschen können dort nicht mehr überleben. Er verübte mit anderen gemeinsam Sabotageaktionen gegen die ölpipelines, um sich zu rächen und um sich Benzin zu verschaffen. Später organisierte er sich in einer politischen Partei, die in Opposition zur nigerianischen Regierung steht und von dieser verfolgt wird. Er kommt ins Gefängnis; die Bedingungen in den nigerianischen Gefängnissen sind menschenverachtend; ihm gelingt die Flucht. In österreich, einem Land, dessen BürgerInnen die Produkte von Shell täglich in ihre Autos einfüllen und sich das auch leisten können, weil die Benzinpreise weder die Verseuchung des Niger-Deltas noch angemessene Arbeitslöhne für die nigerianischen Beschäftigten inkludieren, wird sein Asylantrag abgelehnt: Einerseits weil die Vertreibung von seinem Land sowieso nicht zählt, andererseits weil Nigeria ja eine "Demokratie" ist und keine staatliche Verfolgung feststellbar sei. Das meint zumindest das Bundesasylamt - Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und Human Rights Watch stellen regelmäßig fest, dass die Menschenrechtssituation in Nigeria sehr schlecht ist.

Für uns ist klar: Solange österreich und seine Bevölkerung von der Zerstörung des Landes im Niger-Delta profitiert, ist er natürlich als Flüchtling anzuerkennen. Der Zynismus dieser Feststellung liegt auf der Hand, denn natürlich ist nicht die Anerkennung als Flüchtling die Lösung des Problems, sondern die Verhinderung der Zerstörung und Enteignung des Landes. Gleichzeitig muss eine solche "ökonomische Verfolgung" jedoch Eingang in das Asylgesetz finden, denn die BewohnerInnen des Niger-Deltas, um bei o.g. Beispiel zu bleiben, haben wenige Möglichkeiten, diesem Desaster zu entgehen. (Auch wenn im konkreten Fall die politische Verfolgung durch die Regierung Ausschlag gebend für die Flucht war.) Die Asylantragstellung in der OECD ist eine davon. Solange nur das Asylgesetz zur Verfügung steht um Verfolgten den Zutritt zum "save heaven" der reichen Staaten des Nordens zu ermöglichen, muss dieses Gesetz verteidigt und verbessert werden. Eine umfassende Lösung aber ist heute nur mehr global zu denken, und die liegt im Kampf gegen die Weltwirtschaftsordnung.




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