Redebeitrag auf der Demonstration gegen Abschiebungen am 1. Mai 2000 in Jena, BRD, im Rahmen des Flüchtlingskongresses "united against deportations".
Am 1. Mai 2000 jährt sich zum ersten Mal der Todestag Marcus Omofumas. Wie ein Paket verschnürt wurde er gegen seinen Willen in ein Flugzeug gezerrt. Er wurde abgeschoben. Nigeria erreichte er nie. Marcus starb im Gewahrsam jener Beamten, die für seine "Sicherheit" zuständig waren. Marcus wurde der Mund verklebt - niemand sollte ihn hören. Doch seine Schreie waren so laut, dass sie gehört wurden. Es waren die Schreie nach Freiheit. Die Schreie eines Menschen, der bis zum letzten Atemzug um sein Leben kämpfte, der nie aufgab. Es kam zu zahlreichen Protesten, die immer noch andauern. Von Anfang an setzte der Staat alle möglichen Repressionsmittel ein, um den Widerstand zu kriminalisieren. Die Verantwortlichen erkannten, dass die Proteste gegen sie gerichtet waren, sie erkannten, dass es diesmal etwas Besonderes war. Flüchtlinge, MigrantInnen, AfrikanerInnen und ÖsterreicherInnen kämpften gemeinsam.
Von Anfang an sollte Marcus für seinen Tod selbst verantwortlich gemacht werden: hätte er doch nicht geschrien, hätte er sich doch nicht gewehrt. Und genau das ist es, was sie erreichen wollen: Dass wir uns nicht mehr zur Wehr setzen. An Marcus Omofuma führten sie uns vor, was uns droht, wenn wir den Mund zu weit aufmachen. Marcus wurde bereits vor seinem Tod für schuldig erklärt und eingesperrt, ohne ihn wegen eines sogenannten Verbrechens zu verurteilen. Das war nicht notwendig, denn Marcus war heimlich in Österreich eingereist und stellte einen Asylantrag. Noch vor Ende des Verfahrens über die Anerkennung seines Asylantrages wurde er abgeschoben. Doch dann machten sie einen Fehler: Nicht sein Tod selbst sorgte für den Skandal - täglich sterben Menschen durch die Politik der Festung Europa. Marcus starb auf einem internationalen Flug und sorgte so für internationale Aufmerksamkeit. Plötzlich mußte die Abschiebemaschinerie gerechtfertigt werden. Marcus wurde unterstellt, er habe vom Drogenhandel gelebt. Er kam aus Nigeria. Und dann warnten sie die Menschen vor der Gefahr, die aus Nigeria droht: Drogenhändler, die nach Österreich kommen, um Geld zu verdienen. Und nebenbei noch "unsere" Frauen wegnehmen. Und "unsere" Kinder gefährden. Der Innenminister wurde zum Handeln aufgefordert. Und er setzte seinen Apparat in Bewegung. Am 27. Mai 1999 fanden Österreichweit Razzien statt, die vorgeblich das Ziel hatten, einen vermeintlichen Drogenring zu zerschlagen. über 100 Personen wurden an diesem Morgen verhaftet. Unter ihnen waren auch Leute, die sich an den Protesten gegen Rassismus beteiligt hatten. So wurde der Widerstand der AfrikanerInnen niedergeschlagen, die Widerstandsbewegung insgesamt denunziert. Der Einsatz selbst wurde als großer Erfolg verkauft. Das angekratzte Image der Polizei sollte wieder aufpoliert werden. Zum ersten Mal wurde ein großer Lauschangriff offiziell durchgeführt. In den Prozessen gegen vermeintliche Drogendealer werden Leute aufgrund der Aussage eines anonymen Kronzeugen verurteilt. ProzessbeobachterInnen werden massiv behindert. Mehr als 400 Personen wurden bisher verhaftet. Mindestens 140 sitzen zur Zeit in Untersuchungshaft. Einige wurden bereits verurteilt, andere nach mehreren Monaten Gefängnis abgeschoben. Auch wenn mittlerweile klar ist, dass der anfangs groß in den Medien präsentierte Drogenboss doch nur ein Schriftsteller ist, wird am Konstrukt des Drogenringes festgehalten. Denn Drogendealer dürfen ja schließlich auch ermordet werden, nicht wahr? Auf diese Weise soll der für die Verantwortlichen immer noch ohne Konsequenzen gebliebene Mord an Marcus Omofuma legitimiert werden. Der Polizei ist es möglich, ungestört Menschen aus U-Bahn-Waggons auszusondern und zu durchsuchen. Oder frühmorgens zu Hause zu überfallen und mitzunehmen. Der ehemalige Innenminister gibt jetzt sogar zu, dass KritikerInnen eingeschüchtert werden sollten. Und dass unabhängige HaftrichterInnen beeinflusst wurden. Und dass gezielt Meldungen in den Medien platziert wurden.
Ziel dieser Aktion war, die zaghaft aufgetretenen kritischen Stimmen, die die zahlreichen rassistischen Übergriffe der Österreichischen Polizei kritisierten, zum Verstimmen zu bringen. So wie sie Marcus den Mund verklebten, um ihn zum Schweigen zu bringen. Der Mord und die Schreie Marcus Omofumas sollen vergessen werden. So zumindest haben sich die PlanerInnen dieser Aktion das wohl vorgestellt, aber diese Freude dürfen und werden wir ihnen nicht machen. Wir werden alles in unserer Macht stehende unternehmen, um ihren Plan zu vereiteln.
Zum Abschluss ein paar sätze von Ceija Stojka, die von den Nazis in Auschwitz interniert wurde:
"Es hat sich nichts geändert. (...) Wer in Österreich lebt und sich ein wenig mit dieser Geschichte befasst, weiss, wie die Sache läuft. Seid`s schön ruhig, tut`s nicht mucksen, jetzt wart`s im KZ, kriegt`s eh eine Rente. Seid`s noch immer da, wieso seid`s da? War Auschwitz wirklich? Oder sind das Träume von jemand? Auschwitz ist aber da, das kann man angreifen. Heute müssen ausländische Menschen wieder einen Ausweis haben, ohne den dürfen sie nicht auf die strasse, damit sie hier arbeiten dürfen und angenommen sind. Ohne diesen Pass kann man sie mitnehmen und (...) einsperren. Das ist wie damals, als der Judenpass und der Judenstern rausgekommen sind. Ich muss heute schon Angst haben, dass wir wieder eine Pass mittragen müssen. Ein Mensch kann sich nicht frei bewegen in Österreich. Ist das nicht demütigend? Sind wir nicht wieder dort, wo für uns die schlimme Zeit begonnen hat?"
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