Ende Januar haben Jugendliche in Kappel im Kanton Solothurn ein Heim für AsylwerberInnen angezündet. Der Tat gingen Hinweise voraus, denen niemand Bedeutung beimass. Artikel und Interview aus der WOZ.
Kappel hatte 2652 EinwohnerInnen, eine Hauptstrasse, eine Schule, eine Metzgerei und ein Asylbewerberheim. Doch das wurde Ende Januar von drei Jugendlichen angezündet. Die Täter, zwei Jungs und ein Mädchen, wurden wenige Tage später von der Polizei gefasst. "Hass auf Ausländer", hiess es, habe sie zu diesem Anschlag bewogen. Die drei Jugendlichen waren bislang unauffÀllig. Mofas frisieren, kiffen, auf dem Schulhof rumhängen, mal ein Fenster einschlagen. Teenager halt. Keine Neonazis, keine Schläger.
Und dann der 29. Januar: Um drei Uhr in der Früh, es war eisig kalt, haben sie sich aufgemacht, um ein Haus anzuzünden, in dem sich sechs AsylbewerberInnen befanden. Einer der Täter hatte sein Mofa dabei, ein anderer etwas Brandbeschleuniger. Wahrscheinlich sprachen sie nicht viel, als sie vor dem Haus standen, um nicht entdeckt zu werden. Sie trugen schwarze Wollmützen, vielleicht gegen die Kälte, vielleicht zur Tarnung. Der Jüngste der dreien war dreizehn Jahre alt.
WOZ: Wassili Kassis, Sie sind Privatdozent für Erziehungswissenschaften an der Universität Basel. Ist Kappel ein Sonderfall?
Wassili Kassis: Nein. Es ist zu beobachten, dass rassistisch motivierte Gewalttaten seit einigen Jahren zunehmen. Ausserdem werden die Täter im Schnitt immer jünger, und immer häufiger sind es Frauen.
Sie befassen sich seit Jahren mit Gewalt unter Jugendlichen. Was verursacht diese Gewaltbereitschaft?
Das Mass an Integration in die Familie und die Schule ist entscheidend. Wer keine Akzeptanz erfährt, wer abgelehnt wird, der neigt dazu, jemanden zu suchen, den er dominieren kann, über den er herrschen kann.
Ist jeder gewaltbereite Jugendliche auch ausländerfeindlich?
Nein. Die Gewalt richtet sich nicht zwangsläufig gegen Ausländer und Ausländerinnen, nicht jeder gewaltbereite Jugendliche zündet Asylbewerberheime an. Nur wenn zusätzlich eine ausländerfeindliche Grundstimmung herrscht, richtet sich die Gewalt auch gegen Ausländer. Und diese ausländerfeindliche und auch antisemitische Grundstimmung ist ein Produkt der Gesellschaft. Mal ist sie mehr, mal weniger stark. Momentan ist sie stark.
können Dreizehnjährige aus rassistischen Motiven hassen?
NaTürlich. Der Nationalsozialismus hat das sehr deutlich gezeigt. Niemand ist zu jung, um zu hassen. Das lehrt uns die EuropäischeGeschichte.
Nicht nur die europäische, auch die jüngere Schweizer Geschichte: Im letzten Bericht des Bundesamtes für Polizei über die innere Sicherheit der Schweiz heisst es, die Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund hätten seit 2000 zugenommen, das Alter der gewalttätigen Jugendlichen sei gesunken. 2003 registrierte man laut Guido Balmer vom Bundesamt für Polizei hundert Vorfälle; darunter waren elf AnschlÀge auf Einrichtungen des Asylwesens.
Diese Tendenz bestätigt auch Hans Stutz, langjähriger Beobachter der rechtsextremen Szene, wobei er relativiert, dass Dreizehn- oder Vierzehnjährige auch in Zukunft immer Ausnahmen sein werden.
Das Asylbewerberheim in Kappel wurde vor fünfzehn Jahren am Rande des Dorfes gebaut. Es liegt am Ende einer schmalen Strasse. Einer Sackgasse. "Der klassische Fehler", sagt Wassili Kassis, der Erziehungswissenschaftler. "Dass dies Vorurteile schört und jegliche Integration verhindert, hat man sich offenbar nicht überlegt. Früher wurden auch die Schulen ausserhalb der dürfer gebaut. Wegen des lärms."
Am Tatort riecht es verbrannt, auch Tage nach dem Feuer. Die Dachbalken sind eingesTürzt, die Fenster zersprungen. Ein Kassettenrekorder liegt auf einem Bett, die sechs AsylbewerberInnen hatten das Haus fluchtartig verlassen müssen. Sie wurden mittlerweile woanders untergebracht.
"Diese Hütte sollte man anzünden"
Vierzehneinhalb Jahre ging alles gut in Kappel, zumindest blieb es ruhig. "Leben und leben lassen", wie es Gemeindepräsident Martin Wyss nennt. In den letzten zwei bis drei Monaten hat sich die Stimmung jedoch jÀh verschärft. Die Polizei fand bei Razzien im Asylbewerberheim Drogen, Fahrräder, Laptops und Bargeld. Die Mutter eines drogenabhängigen Jungen behauptete, ihr Sohn beschaffe sich seine Drogen bei den Asylbewerbern, und gab ihnen die Schuld an seiner Sucht. "Man hat begonnen, die Asylbewerber Dealer zu nennen", sagt einer, der nicht namentlich erwähnt werden will. "Und es hat geheissen: "Die machen unsere Jugend kaputt."" Anlässlich einer Gemeinderatsversammlung vom 12. Januar, zwei Wochen vor dem Brandanschlag, kam es erstmals öffentlich zu verbalen Aggressionen. Und dann sei dort der Satz gefallen: "Diese Hütte sollte man anzünden."
An jenem Abend beschloss die Gemeinde, einen Zaun rund um das Asylbewerberheim zu bauen. Man wolle für Ordnung sorgen, der Zaun solle das Dealen verunmöglichen. Mit ein paar Böschen drum herum werde der Zaun auch das Haus optisch aufwerten. Das "Oltner Tagblatt" schrieb zwei Tage später: "Im Minimum e Gummi drum", und verglich den Zaun mit der HIV/Aids-Prävention. Auf Anzeigen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) des Kantons Solothurn stand zu lesen: "Ausländer kommen in unser Land, um auf Kosten der Steuerzahler zu schlaraffen." Und weiter unten: "Unsere Kinder werden nicht mehr gefürdert (...) und müssen sich von Schülern aus anderen ländern die Arbeitsplätze wegschnappen lassen."
Wassili Kassis, der Erziehungswissenschaftler, sagt: "Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus sind stets latent vorhanden. Es braucht nicht viel, um eine gewaltige Reaktion auszulösen. Das trockene Holz ist meist schon gelegt, es braucht nur noch ein paar Funken." Ein paar Funken oder - wie in Kappel - ein paar junge Brandstifter.
"Hier ist es öde", so die Jugendlichen von Kappel. Vor einem Jahr hat die Gemeinde eine BedürfnisabKlärung bei den Jugendlichen vorgenommen. Die Resultate: Es fehle an offiziellen Treffpunkten, an räumen und Plätzen für Jugendliche und an kulturellen Angeboten. Kappel, so wird einer der Befragten zitiert, sei stinklangweilig.
Wochenende auf dem Pausenplatz
Daraufhin wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich der Probleme der Jugend annehmen wollte. Sie reichte bei der Gemeinde ein Gesuch für einen Kredit von 60 000 Franken ein, um die Stelle einer SozialpÀdagogin zu finanzieren. "Die BedürfnisabKlärung hat gezeigt, dass es wichtig ist, für die Jugendlichen in Kappel etwas zu tun. Es braucht nicht nur einen Ort, es braucht auch Betreuung. Denn auch die Jugendarbeitslosigkeit ist ein Thema. Nicht jeder findet auf Anhieb eine Lehrstelle, es herrscht zum Teil massiver Frust", sagt Jörg Stäubli, Kleinklassenlehrer und Mitglied der Arbeitsgruppe. Seine Stimme hallt durch die leeren Gänge der Schule. Sportferien. Die Böden riechen nach Seife, kein Laut, keine Anoraks an den Kleiderhaken. An den Wänden hängen Zeichnungen: Der zwölfjährige Robin möchte Polizist werden, er mag Nudelgratin und Kebab, hasst Zimmeraufräumen und Krieg.
Der Lehrer Stäubli sagt: "In Kappel traf sich die Jugend am Wochenende mangels Alternativen auf dem Pausenhof vor der Schule." Sie tranken, hörten Musik, mal wurde eine Lampe demoliert, mal das Schloss der Schule zugeklebt. "Nichts Gravierendes, doch statt zu reklamieren wollten wir aktiv sein. Deshalb die Arbeitsgruppe. Wir wollten die Situation der Jugendlichen verbessern und ihnen neue Möglichkeiten bieten." Hat man sich in Kappel zu spät um die Probleme der Jugendlichen gekÃŒmmert?
"Kappel ist kein Dorf voll Rechtsextremer", sagt der Gemeindepräsident Martin Wyss. Und nach einer Weile fügt er an: "Kappel ist ein ganz gewöhnliches Schweizer Dorf." Kappel hat 2646 EinwohnerInnen, eine Hauptstrasse, eine Schule und eine Metzgerei.
Dieser Artikel wurde von Sacha Batthyany geschrieben und erschien am 17.02.2005 in der WOZ.