Einführender theoretischer Text zur Broschüre "Born to be white. Rassismus und Antisemitismus in der weissen Mehrheitsgesellschaft" von Rosa Reitsamer und Jo Schmeiser, die begleitend zur gleichnamigen Ausstellung erscheint.
"Born to be white" beschäftigt sich mit Rassismus, weiss-Sein und Antisemitismus. Wenn von Rassismus gesprochen wird, so ist damit meist nur die Benachteiligung von Männern, Frauen und Kindern nicht-weisser Hautfarbe, nicht-westlicher Herkunft oder außereuropäischer Kultur gemeint. Ausgeblendet bleibt in diesem Verständnis von Rassismus die andere und in ihrer unsichtbaren Normalität viel mächtigere Seite des rassistischen verhältnisses: die Bevorzugung und der Profit von Männern, Frauen und indern weisser Hautfarbe, westlicher Herkunft und europäischer Kultur.
Im Mittelpunkt unseres Projekts steht deshalb die Auseinandersetzung mit weissen Identitäten. weiss-Sein (Anmerkung 1) soll als Privileg benannt und sichtbar gemacht werden. Ziel ist die Kritik an Macht- und Herrschaftsverhältnissen, ihr Abbau und der Entwurf einer egalitären, mehrgeschlechtlichen und transkulturellen Gesellschaft. Die Debatte um weiss-Sein beschränkt sich aber nicht nur auf die Frage nach der weissen Hautfarbe und der westlichen oder Europäischen Herkunft. Sie umfasst auch die Notwendigkeit, weisse Identitäten historisch, ort- und gruppenspezifisch zu verorten. Denn weiss-Sein ist nicht immer, nicht überall und nicht für alle (weissen) gleich. Es gründet stets auf einer spezifischen Geschichte des Rassismus, des Antisemitismus, des Heterosexismus, der Kolonialisierung und des Imperialismus.
In österreich und Deutschland bedeutet eine historische Verortung weisser Identitäten die Beschäftigung mit der Kolonialgeschichte, dem Nationalsozialismus und der Shoah sowie deren Nachwirkungen in der Gegenwart.
Zur Diskussion steht zum Beispiel, wie sich NS-Geschlechterrollen ins Heute tradiert haben, oder wie Sexismus und Antisemitismus derzeit zusammenwirken. Eine Kritik an weissen Identitäten muss auch die Beschäftigung mit unterschiedlichen Formen der Diskriminierung beinhalten. Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie können nicht unabhängig voneinander analysiert werden. Denn sie entfalten oft erst in der überschneidung ihre umfassende Wirkungsmacht.
Das Projekt bedient sich unterschiedlicher Medien und Formen der Auseinandersetzung. Einer Ausstellung. Einer Reihe von Positionspapieren. Und dieser Broschöre, die einen Einstieg in das Thema ermöglichen, wichtige Gedanken festhalten und eigenes Weiterdenken motivieren soll. Wir haben
visuelle und textuelle ProduzentInnen eingeladen, zum Thema weiss-Sein Position/en zu beziehen, streitbare Gedanken zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen. Unser Interesse gilt dabei Arbeiten, die repräsentationskritisch und -politisch sind. Das heißt, Arbeiten, die durch ihre (Bild-)Sprache nicht implizit das wiederholen, was sie eigentlich angreifen wollen, sondern vielmehr das, was sie fordern, bereits als strukturelles Element enthalten.
"Born to be white" ist für uns der Versuch, die privilegierte weisse Mehrheitsposition als Identitätsposition sichtbar und damit kritisierbar zu machen. Dass diese Position als Konstruktion angezweifelt werden kann und muss, ist klar. Dennoch ist die weisse gesellschaftliche Position eine soziale Realität und als solche äußerst wirksam. Auch wenn ich mich nicht als weisse Privilegierte fühle, weil ich doch Feministin bin, queer/lesbisch/schwul bin, seit Jahren gegen Rassismus arbeite, mich mit Antisemitismus auseinandersetze, so werde ich doch als Angehörige/r der weissen, dominanten Mehrheit wahrgenommen. Wir kommunizieren also (nur) ein Bild, mit dem jedoch ganz konkrete Vorteile verbunden sind, wie: auf der strasse nicht ständig angestarrt zu werden, nicht damit rechnen zu müssen, von Neonazis oder rassistischen PolizeibeamtInnen angegriffen zu werden. Identitäten werden zugewiesen, auch wenn wir das nicht wollen. Deshalb gilt es zuallererst, Identitäten zu politisieren, bevor wir uns von ihnen verabschieden können.
Eine kritische Reflexion weisser Identitäten, so sei abschließend festgehalten, ist ohne die Debatte mit den markierten, ethnisierten und rassifizierten "Anderen", den MigrantInnen, Schwarzen Feministinnen und AktivistInnen unmöglich. Das Projekt in der IG Bildende Kunst Wien ist für uns der Anfang einer hoffentlich kontroversiellen Auseinandersetzung zwischen unterschiedlich positionierten AkteurInnen, die bestimmt noch viel Zeit, viele Projekte und viele Debatten in Anspruch nehmen wird.
Anmerkung
(1) Der Begriff des weiss-Seins (whiteness) wurde von feministischen Migrantinnen geprägt, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse analysieren und angreifen zu können. Schwarze Feministinnen und AktivistInnen wie etwa bell hooks, Toni Morrison oder Richard Dyer machten deutlich, dass weisse mittels ihres hegemonialen Status Schwarze markieren und terrorisieren, während sie sich selbst als Norm setzen, die scheinbar außer Definition und Frage steht. Zunehmend beziehen sich heute weisse Feministinnen auf diese Forschungsarbeiten und nehmen die Herausforderung einer Auseinandersetzung von MehrheitsAngehörigen mit ihrer unsichtbaren Machtposition an. So zum Beispiel Ruth Frankenberg in den USA oder Martina Tißberger und Ursula Wachendorfer in Deutschland.