Das neue Schengener Informationssystem SIS II soll für "polizeiliche Informationszwecke im weitesten Sinne" genutzt werden, aber noch ist vieles ungeklärt, nicht zuletzt der Datenschutz.
von Florian Rötzer
Das neue Schengener Informationssystem SIS II soll für "polizeiliche Informationszwecke im weitesten Sinne" genutzt werden, aber noch ist vieles ungeklärt, nicht zuletzt naTürlich der Datenschutz.
Mit der Erweiterung der EU wird auch die größte polizeiliche Datenbank Europas erweitert. Weil das Schengener Informationssystem (SIS) technisch nur für 18 Mitgliedsstaaten ausgelegt und zudem technisch überholt sei, soll im Jahr 2006 SIS II in Funktion treten. Noch ist unklar, wie das System - geschätzte Entwicklungskosten 157 Millionen Euro - genau aussehen wird, doch sicher ist, dass es gegenüber dem Vorgängermodell erheblich erweitert werden soll. überdies soll es nicht mehr nur als Informationssystem dienen, sondern auch als Ermittlungssystem.
Nach dem 11.9.2001 wuchsen allerorten die Begehrlichkeiten nach mehr überwachung und weniger Datenschutz. Auch in der EU suchte die Kommission die Gelegenheit zu nutzen, das bereits länger geplante neue SIS entsprechend auszuweiten. Und wie auch anderen Orts geht es nicht nur um die Bekämpfung des Terrorismus, sondern sollen neuen Befugnisse auch auf andere Zielgruppen Anwendung finden. Bislang enthält SIS etwa 11,3 Millionen Datensätze, darunter fast 900.000 über Personen, die gesucht werden, sowie fast 800.000 Hinweise auf Personen, die nicht einreisen dürfen.
Schon letztes Jahr wurden die Erweiterungspläne der Kommission bekannt. Neben einer Terroristendatenbank sollen auch Daten über Menschen eingegeben werden, die den Schengen-Raum nicht verlassen dürfen, die als Unruhestifter gelten oder als politische Aktivisten aufgefallen sind. Zudem sollen neue Daten wie biometrische Merkmale einbezogen, eine Verbindung zu anderen Datenbanken hergestellt werden und mehr Behörden, einschließlich Kraftfahrzeugregistrierungsstellen, Europol und Geheimdienste, Zugriff erhalten - auch zu anderen Zwecken als denjenigen, für sie erhoben wurden. Auch bei Ermittlungen im Rahmen des Europäischen Haftbefehls soll SIS eingesetzt werden. Erwägt wird zudem die Öffnung von SIS für nichtstaatliche Organisationen wie Kreditinstitute. An neuen Daten will insbesondere die spanische Regierung einbeziehen: "Art des Verstoßes; Boote, Flugzeuge und Container, industrielle Ausstattung, Aufenthaltsgenehmigungen und Reisedokumente, Kraftfahrzeug- Registrierungs-Zertifikate, Kreditkarten, Wertpapiere usw., die gestohlen wurden oder verlorengegangen sind."
Am letzten Montag (6.10.03) machte EU-Kommissar Antonio Vitorino während einer Anhörung vor dem Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der bürger, Justiz und innere Angelegenheiten noch einmal deutlich, dass das gegenwärtige Informationssystem veraltet sei und SIS II mehr Daten enthalten und mehr Informationen verarbeiten können soll. Eingeschlossen werden sollen biometrische Daten wie Fingerabdrücke und Lichtbilder, zudem soll es Zugriff auf bestimmte Informationen von Europol und Eurojust geben. Antonori stellte heraus, dass SIS II "keine einfache Datenbank mehr wie SIS" sein werde: "Die neue Version muss stärker auf die Belange der Sicherheit und der grenzüberschreitenden Kriminalität ausgerichtet sein."
Carlos Coelho, der Berichterstatter des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, monierte, dass bislang weder genau mitgeteilt wurde, welche neuen Datengruppen erhoben werden und welche Behörden auf SIS II Zugriff haben sollen. So sei etwa im Fall von Europol noch nicht vom Rat entschieden worden, ob Europol bei der Verwendung der SIS-Daten auch den Datenschutzbestimmungen des Schengener übereinkommens erfüllen muss und ob der Behörde verboten wird, Daten an Drittländer weiter zu geben. Auch für Eurojust sei dies noch nicht geklärt. Das ist besonders deswegen interessant, weil auch bei der Weitergabe von Flugpassagierdaten an die USA die Beachtung der Europäischen Datenschutzbestimmungen nicht gegeben ist und noch geklärt werden muss. In den USA fließen die Daten dann in deren großen Datenbankprojekt CAPPS II.
Coelho wirft Kommission und Rat vor, die Entwicklung von SIS II weitgehend hinter verschlossenen Türen zu diskutieren und zu entscheiden und fordert, dass die weitere Entwicklung auf transparente und demokratische Weise geschehen soll. Zudem müsste eine öffentliche Debatte über das SIS und die damit verfolgten politischen Ziele stattfinden. Bislang verfolge man eine undurchsichtige "Salamitaktik", bei der auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert und entschieden werde:
Diese Vorgehensweise ist zunächst sehr undurchsichtig, sogar für Experten schwer nachzuvollziehen und für Normalsterbliche vollkommen unverständlich. Zweitens ist sie nicht sehr demokratisch, da offizielle Legislativvorschläge erst nach Jahren der Diskussion in den einzelnen Arbeitsgruppen des Rates und nur dann, wenn ein Konsens unter den Mitgliedstaaten erzielt wurde, an die Öffentlichkeit gelangen. Der Berichterstatter ist der Auffassung, dass diese Vorgehen in Zukunft vermieden werden sollte.
Eine öffentliche Diskussion sei um so wichtiger, weil SIS grundlegend verändert und für "polizeiliche Informationszwecke im weitesten Sinne" eingesetzt werden solle. Ungeklärt sind vor allem viele Fragen des Datenschutzes. Coehlo fordert daher, dass bei der Weiterentwicklung die Gemeinsame Kontrollinstanz (GK) und die nationalen Datenschutzbehörden einbezogen werden müssen. Die GK müsse zudem besser finanziell und personell ausgestattet werden. Den Zustand der Kontrollinstanz und damit deren Bedeutung kann man schon anhand ihrer sehr rudimentären Website erkennen. Auf jeden Fall müsse gewährleistet werden, dass die Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie erhoben wurden.
übernommen von telepolis - Magazin der Netzkultur, 09.10.2003