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[ 18. Jan 2007 ]

Im Namen des Polizeistaats, Sie sind verurteilt! Wo Unrecht zu Recht wird...

Wieder einmal endete in Graz ein Polizeiübergriff gegen einen Nicht-Österreicher vor Gericht, und wieder einmal war es das Opfer, das angeklagt war. Die Unverschämtheit jedoch, mit der der zuständige Richter Buchgraber am Straflandesgericht dieses Mal die Realität zurechtbog, war selbst für Grazer Verhältnisse neu.

 


Pfefferspray wegen Radfahrens ohne Licht


Am 31. Juli 2006 geriet ein indischer Wissenschaftler, der an der TU Graz beschäftigt war, in eine Polizeikontrolle: Zwei BeamtInnen hielten ihn wegen Radfahrens ohne Licht an und verlangten seinen Ausweis. Innerhalb kürzester Zeit eskalierte die Amtshandlung: Der junge Mann, der sich vergeblich versuchte, auf Englisch zu verständigen, wurde zu Boden geworfen und mit Handschellen gefesselt. Ein Polizist sprühte ihm Pfefferspray direkt ins Gesicht. Wie hoch die eingesetzte Dosis gewesen sein muss, zeigt sich daran, dass der Wissenschaftler vorübergehend das Sehvermögen verlor und nicht einmal das Ausspülen mit Wasser die Wirkung milderte.

Der Mann habe sich aggressiv verhalten und sei auf die Polizei losgegangen, gaben die BeamtInnen zur Rechtfertigung ihres brutalen Vorgehens an. Doch zwei unbeteiligte Zeuginnen bestätigten die Darstellung des Betroffenen: Die beiden Frauen waren stehengeblieben, weil sie, wie sie vor Gericht aussagten, das Gefühl hatten, den verängstigten Mann schützen zu müssen. Sie sagten klipp und klar aus, dass der Wissenschaftler sich nur defensiv verhalten habe und mit erhobenen Händen zurückgewichen sei, der Polizist hingegen habe ihn grundlos angegriffen und das Pfeffergas in die Augen gesprüht. Die Zeuginnen bewiesen eine erstaunliche Zivilcourage: Sie drückten dem Verletzten einen Zettel mit einer Kontaktmöglichkeit in die Hand und schickten eine Darstellung an das Innenministerium.


Vom Wegschauen und Hinschauen


Zwei Verhandlungen im Oktober und November waren die Folge dieses Polizeieinsatzes: Vor dem "Unabhängigen Verwaltungssenat" (UVS) ging es um die Rechtmäßigkeit des Pfeffergasangriffs, nachdem der Wissenschaftler Beschwerde gegen die Beamten eingereicht hatte. Am Straflandesgericht hingegen musste sich der junge Inder selbst wegen angeblichen "Widerstands gegen die Staatsgewalt" verantworten - wie meistens, wenn die Polizei über die Stränge schlägt.

Für den UVS hatte die Behörde einige Anrainer als Zeugen nominiert, die sich zufällig in der Nähe aufgehalten und Teile des Zwischenfalls mitbekommen hatten. Allerdings bestätigten auch ihre Aussagen die Darstellung des Wissenschaftlers, was nicht nur der Polizei, sondern auch den drei Männern sichtlich Unbehagen bereitete. Ihre Erklärungen offenbarten eine bemerkenswerte Mischung aus Gleichgültigkeit, Ängstlichkeit und dem Bemühen, bei der Wahrheit zu bleiben: Nein, der Inder habe nicht getreten, er sei auf niemanden losgegangen. Er habe aber laut gesprochen, meinte einer, und das sei schon ein wenig "verhaltensauffällig" gewesen. Warum "verhaltensauffällig", wollte der UVS-Vorsitzende wissen. So spreche man nicht, wenn die Polizei etwas von einem wolle, antwortete der Zeuge.

Ein anderer erklärte: "Als er am Boden gelegen ist, war für mich die Sache unter Kontrolle. Da habe ich nicht mehr hingeschaut." Selbst dem UVS-Vorsitzenden entfuhr: "Was, als der Mann gefesselt dalag, haben Sie weggeschaut?" Was die braven Bürger sich damals vermutlich gedachten hatten, zeigte eine weitere Aussage: "Da ist dann der Polizeiwagen mit der Hundestaffel gekommen und da hab ich gedacht, Drogen." Ausländer und Drogen? Nüchtern-rassistisch analysiert. Der "Krone" sei dank...

Außerdem kamen bei der UVS-Verhandlung noch Fakten ans Licht wie, dass als angeblicher Beweis für einen Fußtritt ein Schuhabdruck auf einer Polizeihose präsentiert wurde, der unmöglich vom jungen Mann stammen kann, der an diesem Abend Badeschlapfen trug...

Kurz vor Weihnachten fällte der UVS eine Entscheidung: Die gesamte Festnahme sei rechtswidrig gewesen, der Einsatz des Pfeffersprays und der Handschellen ein Verstoß gegen die Menschenrechte, so der Bescheid des "Unabhängigen Verwaltungssenats".


"Es hat Sie nicht zu interessieren, was die Polizei macht!"


Vor dem Straflandesgericht nützte dem Wissenschaftler die für ihn günstige Beweislage allerdings nichts: Unter dem Vorsitz von Richter Buchgraber lief dort ein Verfahren ab, das jeder Rechtstaatlichkeit Hohn spricht. Der Beschuldigte wurde von Buchgraber wiederholt unterbrochen. Als sein Anwalt protestierte und um einen fairen Prozess bat, drohte ihm der Richter mit dem Ausschluss von der Verhandlung. Den zwei Zeuginnen warf Buchgraber wörtlich vor: "Es hat Sie nicht zu interessieren, was die Polizei macht!" Als eine Zuhörerin auf eine falsche Protokollierung hinwies, wurde sie aus dem Saal gewiesen.

Das Urteil stellte schließlich die Realität vollkommen auf den Kopf: Buchgraber sprach den Angeklagten schuldig und verurteilte ihn wegen "Widerstands" und "Körperverletzung" zu einer Geldstrafe. Seine Begründung: Die beiden Frauen hätten den Vorfall nicht von Anfang an beobachtet (tatsächlich waren sie ab dem Zeitpunkt dabeigewesen, ab dem laut Polizei der angebliche Widerstand des Wissenschaftlers begonnen haben soll). Buchgraber berief sich dafür auf die schriftliche Erklärung einer Ärztin im Spital, die angab, der Verletzte habe sich gegenüber der Polizei aggressiv verhalten (also nachdem er schmerzhafte Angriff mit dem Pfefferspray bereits stattgefunden hatte).

Welche Motivation Richter Buchgraber dazu gebracht hat, alle rechtsstaatlichen Grundsätze über Bord zu werfen - ob Rassismus, ob bedingungslose Ergebenheit gegenüber der Polizei, das bleibt Spekulation. Sicher ist allerdings eines: Ein Gericht, das eine solche Rechtssprechung duldet, legitimiert bereits den nächsten Akt willkürlicher und brutaler Polizeigewalt.

Dieser Artikel von :: MayDay2000 Graz erschien zuerst im :: enterhaken Nr. 08 vom Dez 2006 (pdf). Hier in einer aktuallisierten Version, da kurz nach Redaktionsschluss des Enterhaken die :: Entscheidung des UVS kam.
Quellen: Der Standard vom 3.10.06, 10.10.06, 18.10.06, 11.11.06 und 17.11.06; öffentliche Verhandlungen.