Das Thema Gleichheit behandelt der Reader "Communicating equality" aus unterschiedlichen Blickrichtungen. Dieser Artikel thematisiert Ausgangsbedingungen für eine antidiskriminatorische Organisationsentwicklung.
Präsentation am Di, 15. May 2007 um 18:30 in Wien.
Der folgende Beitrag sind Auszüge aus dem Reader:
Initiative Minderheiten u.a. (Hg.): Communicating equality. Wien 2007
Online zu finden auf :: work-in-process.at als :: PDF download (2,9 MB)
Informationen zur Präsentation am Di, 15. März 2007 im Amerlinghaus, 1070 Wien
Gleichstellung starten
Ausgangsbedingungen für eine antidiskriminatorische Organisationsentwicklung
von Andreas Görg
Der nachfolgende Text beschäftigt sich mit den Ausgangsbedingungen und dem ersten Einstieg in eine antidiskriminatorische Organisationsentwicklung (aOE) durch eine Planungsgruppe. AOE wird definiert als prozesshafter Eingriff in eine Organisation bzw. eine Beschäftigung der Organisation mit sich selbst, um das Vermindern bzw. Hintanhalten von laufenden Diskriminierungen sowie Gleichstellung von gesellschaftlichen Gruppen als Prioritäten festzulegen und eine Selbstreflexions- und Handlungsfähigkeit der Organisation in Richtung Gleichstellung zu entwickeln.
(...)
Alle diese Fragen können einer Planungsgruppe dazu dienen, über den Status Quo der Positionsverteilungen in der Organisation einen Überblick zu erhalten. Die Infragestellung der diskriminierenden Positionsverteilungen kann aus der Sicht der bislang Privilegierten als Bedrohung wahrgenommen werden. Alle, die bislang weniger diskriminiert waren oder überrepräsentiert sind, müssen befürchten, im Zuge einer aOE ihre Positionen aufgeben zu müssen bzw. verdrängt zu werden. Dabei fühlen sich die Privilegierten unschuldig an den gesellschaftlichen Strukturen, sind deren Zwängen bezüglich Einkommen, beruflicher Position und daran gebundenem Sozialprestige ebenso unterworfen, fühlen sich aber als vergleichsweise Privilegierte und NutznießerInnen des ungerechten Systems angegriffen.
Die Konsequenz eines solchen Bedrohungsgefühls sind üblicherweise Widerstände: mangelnde Problemwahrnehmung (Normalität, Ignoranz, Unsensibilität), kollektive Problemnegierung (Tabuisierung), Sanktionierung des Tabubruchs, Aufrechterhaltung des Tabus durch Abtun, Drüberfahren, Runtermachen, Abschieben des Unlösbaren, Geheimhaltung gegenüber Außenstehenden, Rückzug in die zerknirschte moralische Schuld ohne Veränderungsperspektive, Fatalismus/ Resignation angesichts der Problemfülle und der aufwendigen Problemlösungspakete, Abtun der Gleichstellungsbemühungen als Luxus und Herbeireden von Opferkonkurrenz.
Antidiskriminierung bedeutet, dass die Privilegierten daran mitarbeiten, Privilegien abzuschaffen. Die Bedrohung durch Antidiskriminierung besteht für Privilegierte darin, Positionen und Ambitionen aufzugeben, auch schlechtere Positionen einzunehmen und andere bislang Diskriminierte vorzulassen. Diese Bedrohung und die damit verbundenen Widerstände gegen aOE können abgebaut werden, indem aOE alternative Wege beschreitet. Eine erste Alternative für die Privilegierten besteht darin, an der Schaffung von mehr guten Positionen mitzuwirken, die für alle ausreichen. Eine zweite Alternative zu Positionsrochaden, die Privilegien letztendlich nicht abschaffen, sondern bestenfalls gleichmäßiger verteilen, besteht darin, das herkömmliche System der ungleichen Bewertung der Positionen generell in Frage zu stellen und die Positionen einander anzugleichen. Aus dem Aufbrechen der diesbezüglichen Normalitäten können sich interessante neue Struktursetzungen in Organisationen ergeben.
Beispiel: Die Initiative Minderheiten hat nach längerer Diskussion für ihr laufendes EQUAL-Projekt ein einheitliches Gehaltsschema (gleiches Gehalt pro Arbeitsstunde) für alle MitarbeiterInnen von der Projektleitung bis zum Sekretariat eingeführt. Dabei werden Teilzeitanstellungen bis zu 20 Wochenstunden besser bezahlt als darüber hinausgehende Anstellungen bis 40 Wochenstunden, um den Vorteil an Einkommenssicherheit und -höhe, der im höheren Anstellungsausmaß liegt, ebenfalls etwas auszugleichen. Dieses Modell wurde aus Gleichstellungserwägungen vorgeschlagen, war letztlich aber intern durchsetzbar, weil es angesichts der bürokratischen Zwänge der Personalabrechnungen die größte Flexibilität bezüglich möglicher Personal- und Stundenrochaden gewährleistet hat, wodurch den Unwägbarkeiten in der Planungsphase die Bedrohlichkeit genommen werden konnte. Verantwortungshierarchien drücken sich in diesem Schema im Anstellungsausmaß (Stundenausmaß) aus. Begleitend gibt es auch das Regulativ der flexiblen Stundenaufstockung nach Maßgabe des Projektbudgets, falls sich herausstellt, dass ein Arbeitsbereich zu knapp kalkuliert wurde.
(...)
Antizipative vs. forcierte aOE
Die Gruppe der InitiatorInnen wird nicht umhinkönnen, die Machtverhältnisse in der Organisation und ihre eigenen Durchsetzungsmöglichkeiten einzuschätzen. Antidiskriminierung in der Organisation als Ziel zu verankern und in Teilbereichen umzusetzen, erfordert Macht, weil mit offenen und verdeckten Widerständen zu rechnen ist. Eine in den internen Machtverhältnissen relativ starke Gruppe kann aOE forcieren, während eine eher schwache Gruppe gut beraten sein wird, wenn sie den Weg einer antizipativen aOE einschlägt, also aOE quasi von schräg unten betreibt.
Antizipative aOE besteht darin, dass Vorbereitungen zum Ergreifen von Gelegenheiten getroffen werden. Forcierte aOE besteht demgegenüber im Herbeiführen von Gelegenheiten und benötigt daher eine stärkere Machtposition. Sie muss von einer starken Leitung getragen werden. Forcierte aOE kann Brüche mit der bestehenden Struktur, Umorganisation, Zuweisung neuer Funktionen und Positionen, Zusammenlegungen und Spaltungen bzw. Auflösungen von Abteilungen, Kündigungen, Neueinstellungen, externe Auftragsvergaben, Bildungsprogramme etc. bewirken, um die Positionen in der Organisation vergleichsweise kurzfristig neu zu verteilen. Forcierte aOE hat ihre Grenzen in bestehenden Verträgen. Forcierte aOE ist kurzfristig teuer, denn es muss mehr in den Veränderungsprozess selbst investiert werden und die Kosten der forcierten Destabilisierung sind aufgrund des gesteigerten Koordinationsaufwandes ebenfalls hoch.
Viele Organisationen (insbesondere NGOs) haben nicht die Ressourcen, die als Investition notwendig sind, um eine aOE zu forcieren. Bzw. haben viele Organisationen andere Prioritäten, sodass die Mobilisierung von Ressourcen für antidiskriminatorische Bemühungen ausbleibt oder nur bei Gelegenheit funktioniert, die InitiatorInnen also auf eine antizipative aOE zurückgeworfen werden. Eine Konzentration auf die Möglichkeiten, die sich im Rahmen einer antizipativen aOE bieten, sind ein pragmatischer Weg, um Antidiskriminierung in der Organisation umzusetzen.
Antizipative aOE zeichnet sich durch das vorbereitete Erwarten von Gelegenheiten aus. Gelegenheiten sind Situationen und Konstellationen, in denen die Widerstände gegenüber Veränderungen geringer sind. Sich eröffnende Gelegenheiten können z. B. sein: neue Projekte, anstehende Personalentscheidungen, neue Kooperationen, neue Schwerpunkte, durch Abgänge frei werdende Stellen, anstehende Novellierung der Betriebsvereinbarung, Diskussion über die Corporate Identity, laufende Verfahren zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit etc. Eine antizipative aOE überlegt sich, welche Gelegenheiten sich in nächster Zeit im Rahmen der Organisation aus dem Tun der einzelnen Arbeitsbereiche ohne besonderes Zutun der InitiatorInnen ergeben werden. Die gezielten Vorbereitungen sind je nach angepeilter Gelegenheit verschieden.
Antizipative aOE braucht Verankerungen, um die sich bietenden Gelegenheiten nutzen zu können. Ohne solche Verankerungen kann nicht von einem geplanten Entwicklungsprozess gesprochen werden. Ohne Verankerungen entspinnt sich bei jeder Gelegenheit zur Veränderung in antidiskriminatorischer Hinsicht wiederum ein Machtspiel, das so oder so enden kann. Antizipative aOE forciert die Beseitigung dieser Kontingenz. Antizipative aOE besteht insbesondere in der Verankerung von Normen, die in den sich bietenden Gelegenheiten schlagend werden und effektiv eingemahnt werden können. Die Einführung von Normen ist vergleichsweise billig, und zwar nicht nur in finanzieller, sondern auch in sozialer Hinsicht. Es braucht keine unmittelbare Beschneidung angestammter/ gewachsener Interessen, weil keine unmittelbare Umverteilung forciert wird, sondern nur die neuen und frei werdenden Positionen in Richtung Gleichstellung genutzt werden.
In unseren gesellschaftlichen Normalitäten ist jedoch trotz in Richtung Antidiskriminierung zielender Normen die Tendenz angelegt, dass diskriminatorische Verhältnisse reproduziert werden. Antizipative aOE besteht daher nicht zuletzt in einer konstanten Reflexion diskriminatorischer Verhältnisse. Ohne eine solche Reflexion kommt es tendenziell dazu, dass Gelegenheiten für eine antizipative aOE auch trotz entsprechender Verankerungen versäumt und von der diskriminierenden Normalität einfach überspült werden. Ambitionierte Normen allein schaffen noch keine Fakten. Es braucht handelnde Personen, welche die Gelegenheiten ergreifen, sich im entscheidenden Moment gegen das Einsickern der Normalitäten zu wehren und gleichstellungsorientierte Maßnahmen einzumahnen.
Beispiel: Im Rahmen des Gesellschaftsvertrages einer sogenannten Entwicklungspartnerschaft zur Durchführung eines größeren Projektvorhabens haben die Partnerorganisationen u. a. unterschrieben, dass sie bezüglich der neuen Anstellungen, die für die Umsetzung des Projektes notwendig sind, Equality Targets setzen werden. Konkret bedeutete das, dass jede der 10 beteiligten Organisationen prioritär MigrantInnen und subsidiär Personen aus anderen systematisch diskriminierten Gruppen für die Arbeit im Rahmen des Projekts einstellen sollte, sofern die Arbeit nicht mit dem gegebenen Personalstand zu erledigen sein würde. Bei einem ersten Plenum aller Partnerorganisationen zeigte sich bei der Vorstellung der neuen MitarbeiterInnen, dass die beteiligten NGOs die Equality Targets erfüllt hatten, während die beiden wissenschaftlichen Partnerorganisationen nicht auf diese geachtet hatten. In dieser Situation hat eine Mitarbeiterin, die für Öffentlichkeitsarbeit und gar nicht für die Organisation und Koordination zuständig war, den Mut gefunden, diesen Bruch der Vereinbarung zu thematisieren. Es hat tatsächlich Mut erfordert, denn dies bedeutete eine Konfrontation mit 2 wichtigen Partnerorganisationen und auch für die vollkommen unschuldigen, designierten, neuen MitarbeiterInnen der wissenschaftlichen Organisationen war es eine sehr unangenehme Situation. Wäre das Treffen ohne die Artikulation der Kritik und die Einmahnung der Equality Targets zu Ende gegangen, dann wäre es definitv zu spät gewesen, um an den Anstellungen noch etwas zu verändern. Im beschriebenen Fall hat eine Partnerorganisation sofort reagiert und die designierte Mitarbeiterin durch eine Migrantin ersetzt. Die andere wissenschaftliche Partnerorganisation war etwas zögerlicher, wollte an den bestehenden Anstellungen nichts mehr ändern, hat aber dann zusätzlich noch eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund eingestellt, die in geringerem Umfang an den Projektarbeiten beteiligt war.
Antizipative aOE ist ein vergleichsweise langsamer Prozess, der nur langfristig zu einer signifikanten Neuverteilung der Positionen in der Organisation führen kann. Allerdings wird mit dieser langzeitorientierten pragmatischen Vorgangsweise der Samen der Antidiskriminierung in die Organisation eingeführt und so verankert, dass jede durch die antidiskriminatorischen Maßnahmen bewirkte Verschiebung der Machtverhältnisse für einen weiteren Ausbau der Antidiskriminierung genutzt werden kann. Rückschritte auf diesem langen Weg sind zu verhindern, indem Antidiskriminierung zum Teil der Corporate Identity gemacht wird, d. h. als Good-Practice-Beispiel dokumentiert und nach außen kommuniziert wird, Leitfäden und Mustertools für andere Organisationen zur Verfügung gestellt werden. Normen wie z. B. eine antidiskriminatorische Betriebsvereinbarung können als Richtlinien und Verankerungen für eine antizipative aOE dienen. Solchermaßen wird die Glaubwürdigkeit der Organisation an weitere antidiskriminatorische Maßnahmen gebunden.
Die Realität der aOE wird sich in den meisten Organisationen und Organisationsbereichen zwischen forcierter und antizipativer Vorgangsweise bewegen.
Präsentat/ Diskuss/ ion:
COMMUNICATING EQUALITY
und
HANDBUCH ZUM CURRICULUM FÜR ANTIRASSISTISCHE BILDUNGSBERATUNG
Dienstag, 15. Mai 2007, 18:30 Uhr
Amerlinghaus, Galerie, 1. Stock (Stiftgasse 8, 1070 Wien)
MitarbeiterInnen der Schwarzen Frauen Community, von Peregrina und Initiative Minderheiten haben sich im Reader :: COMMUNICATING EQUALITY dem Thema Gleichheit mit unterschiedlichen Schwerpunkten angenähert. Rassistischer Sprachgebrauch, Sinn und Unsinn des Chancengleichheitsjahres, Unsichtbarmachung der Beiträge von Schwarzen Menschen zum gesellschaftlichen Fortschritt, antidiskriminatorische Organisationsentwicklung und Mobbing aus linguistischer und antidiskriminatorischer Sicht bilden diese Schwerpunkte. Die Arbeit fand im Rahmen der EQUAL-Module :: "equality mentoring für Schwarze Frauen" und :: "MobSTOP" statt.
maiz widmete sich im EQUAL-Modul :: "Empica" dem Bereich der Bildungsberatung für Migrantinnen. Beabsichtigt wurde eine Bereicherung klassischer Bildungsberatungskonzepte in Theorie und Praxis durch die Perspektive des politischen
Antirassismus und der feministischen Bildungsarbeit. Ergebnis dieser Arbeit ist eine Publikation unter dem Titel HANDBUCH ZUM CURRICULUM FÜR ANTIRASSISTISCHE BILDUNGSBERATUNG.
Einstiegsstatements zu den Diskussionen erfolgen von Andreas Görg, Ariane Sadjed, Beatrice Achaleke, Philomina Asase, Rubia Salgado und Vlatka Frketic.
Moderation: oou
Für ein kaltes Buffet wird gesorgt, Getränke gibt's an der Bar.
Weitergehende Infos und downloads der Publikationen sind zu finden auf http://work-in-process.at