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[ 29. Dec 2000 ]

Umstrittene Reisen in der "Deportation Class"

Abschiebungen auf dem Luftweg bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone. Die Vereinigung Cockpit hat Flugkapitäne daher aufgefordert, nur noch Passagiere mitzunehmen, die freiwillig fliegen. Eine Kampagne von Flüchtlingsinitiativen verstärkt noch den Druck auf die Lufthansa.

 

Wer morgen von Hamburg aus Deutschland verlässt und in die Sonne fliegt, wird sie kaum übersehen können. Die Flüchtlingsinitiative Kein Mensch ist illegal hat auf dem Airport eine Protestaktion gegen die Beteiligung der Lufthansa bei Abschiebungen angekündigt. Die Demonstranten werden an den Tod von Aamir Ageeb und Kola Bankole erinnern, die während ihrer Abschiebung auf Lufthansaflügen ums Leben kamen.

Der Nigerianer Bankole hatte sich am 30. August 1994 so heftig gegen seine Abschiebung gewehrt, dass er gefesselt und medikamentös ruhig gestellt wurde. Das überlebte der Herzkranke nicht. Auch Aamir Ageeb starb während seiner Abschiebung. Am 28. Mai 1999 drückten Beamte des Bundesgrenzschutzes in Frankfurt beim Start der Maschine nach Kairo den Kopf des gefesselten sudanesischen Flüchtlings nach unten. Als er wieder aufgerichtet wurde, gab er kein Lebenszeichen mehr von sich. Beide Todesfälle haben eine rechtliche Grauzone deutlich gemacht, die Gegnern
der Abschiebepraxis Munition gegen die Lufthansa liefert.

Unstrittig ist, dass im Flugzeug der Pilot die so genannte Bordgewalt innehat. Bundesgrenzschätzer, die zwei Prozent der jährlich etwa 30000 abgelehnten Asylbewerber begleiten müssen, weil diese die Bundesrepublik nicht freiwillig verlassen, haben nicht mehr Vollmachten als jeder andere Passagier. Das Bundesinnenministerium hat dies bis zum vergangenen Jahr auch so gesehen und dabei offensichtlich übersehen, dass damit völlig unklar ist, wer eingreifen darf, wenn Abzuschiebende sich wehren. Seither bemüht das Innenministerium das so genannte Delegationsmodell, wonach der Pilot einen Teil seiner Bordgewalt an die Grenzschätzer delegieren kann.

Jetzt proben die Piloten den Aufstand: "Das Delegationsmodell ist nicht mehr tragbar", sagt Georg Fongern, der Pressesprecher der Pilotenvereinigung Cockpit. Unterstützung erhält er von Karsten Baumann, einem Experten für Luftverkehrsrecht an der Universität Münster. Selbst wenn das rechtliche Konstrukt auf deutschem Territorium noch nachvollziehbar sei, so seien Grenzschutzbeamte spätestens ohne Hoheitsgewalt, wenn die Grenze überflogen werde. "Das", so Baumann, "ist bei jedem Abschiebeflug der Fall." In Österreich und Belgien stehen derzeit zwei Piloten vor Gericht, weil sie für die Verletzungen zweier abgelehnter Asylbewerber auf ihrem Flug verantwortlich gemacht werden. "Wir wollen uns nicht in diese Bredouille bringen lassen", sagt Fongern, weswegen man jetzt "die kooperative Haltung gegenüber dem Innenministerium nicht aufrechterhalten" werde. Selbst nach dreimonatigen Verhandlungen scheine "von Seiten des Innenministeriums kein Interesse zu bestehen"", eine tragfähige Lösung zu finden.

Die Gewerkschaften ?TV und DAG legen nach. In einer Resolution fordern sie ihre Mitglieder beim Kabinen- und Bodenpersonal der Lufthansa auf,
"sich nicht mehr an Abschiebungen zu beteiligen"". Auch die Lufthansa hat freilich größtes Interesse daran, der gegen das Unternehmen gerichteten Protestkampagne unter dem wenig werbeträchtigen Titel "Deportation Class" die Grundlage zu entziehen. Solange nämlich ihre Piloten - durch rechtlich dünne Luft fliegend - sich wehrende "Schüblinge" mitnehmen, wird sie weiter mit Demonstrationen und Protestaktionen überzogen werden. So kursiert etwa in ReiseBüros und Abflugschaltern ein Flugblatt. "Hier bieten wir Ihnen bis zu 30 Prozent Preisnachlass auf alle Flüge, weil ein abgetrennter Bereich der Maschinen für Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern reserviert ist." Wer die angegebene Info-Hotline anwählt, landet tatsächlich bei
der Lufthansa. Doch das Flugblatt stammt von einem anonymen Absender, gegen den die Lufthansa Anzeige erstattet hat.

Im Sommer hat es ein Treffen zwischen Lufthansa-Vorstandschef Jörgen Weber und Innenminister Otto Schily gegeben, bei dem es ausschließlich um die Abschiebungen mit dem Kranich ging. Zum Unmut der Fluggesellschaft ist dabei laut Pressesprecher Thomas Jachnow aber nur vereinbart worden eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Der Pilotenvereinigung Cockpit geht das zu langsam. Sie will nicht länger auf die von ihr favorisierte "rechtssichere Lösung" warten und hat daher ihre Mitglieder aufgefordert, sich davon zu überzeugen, dass die "Abschiebekandidaten" freiwillig fliegen. Sei dies nicht der Fall, werde man die Passagiere in Zukunft nicht mehr mitnehmen. Dann wird es nicht bei den 200 fällen bleiben, in denen die Lufthansa-Piloten 1999 den Mitflug verweigerten. Die bisherige deutsche Abschiebepraxis stünde praktisch vor dem Aus.

Artikel in der Stuttgarter Zeitung, 29.12.2000 von Christopher Ziedler