Über einen sehr heterogenen politischen Kontext, dem eine gemeinsame Gesprächsbasis, eine auch nur ansatzweise emanzipatorische Diskussionskultur und demokratische Strukturen größtenteils fehlen.
Die antirassistische Szene in Wien ist größer als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Zahl der Vereine, Initiativen, NGOs, (Klein-)Parteien, Internetplattformen und Netzwerke, die sich selbst als antirassistisch bezeichnen, ist kaum überschaubar. Das Spektrum reicht von türkisch/kurdischen ArbeiterInnenparteien mit marxistisch/leninistischer Programmatik, autonomen Noborder-AktivistInnen, "Ehe ohne Grenzen", politisch engagierter Flüchtlingsberatung bishin zum moralischen Antirassismus von Organisationen wie "SOS Mitmensch". Die Debatte um Antirassismus wird in akademischen Zirkeln ebenso geführt wie bei den Arbeiterkammerwahlen, wo mit "Bunte Demokratie für Alle" eine eigene Liste mit antirassistischer Programmatik zur Wahl stand. Die einen diskutieren über Weißsein und Postkolonialismus, die anderen über den antiimperialistischen Kampf, wieder andere kämpfen seit Jahren für die Abschaffung der Schubhaft - als AntirassistInnen bezeichnen sie sich alle.
Nachlassende Intensität
Doch das breite Spektrum an antirassistischen Initiativen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine breite antirassistische Mobilisierung während der letzten Jahre kaum auszumachen war , obwohl die österreichischen Verhältnisse tagtäglich dazu Anlass geben würden. Dieses Problem thematisierten auch die InitatorInnen der Diskussionsveranstaltung "Antirassismus in der Krise?", die am 29. April im W23 stattfand. Im Ankündigungstext zur Veranstaltung wird die Situation folgendermaßen umrissen: "In den letzten Jahren hat die Intensität der übergreifenden und öffentlich sichtbaren politisch-antirassistischen Arbeit nachgelassen. Spaltung, Spezialisierung, Rückzug, die Suche nach neuen Formen und die Kontinuität einzelner erfolgreicher Projekte prägen den politischen Antirassismus in der jüngsten Phase."
Tatsächlich kam es anlässlich des 10. Todestages von Marcus Omofuma am 1. Mai 2009, nach längerer Zeit zum ersten mal zu einer breiteren antirassistischen Mobilisierung in Wien. Trotz zeitweiliger Regenschauer nahmen immerhin 2000 Menschen an der Demonstration gegen die alltäglich gewordene rassistische Polizeigewalt teil. Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses breite Bündnis von Organisationen und Einzelpersonen nur deshalb zustande kam, weil viele beteiligten ihre emanzipatorischen Mindeststandards kräftig heruntergeschraubt haben.
Hierarchien, Ausschlussmechanismen, Sexismen
Die Vorbereitungstreffen für den 1. Mai 2009 waren von klaren Hierarchien, sexistischem Diskussionsverhalten und vielfältigen Ausschlussmechanismen geprägt. Immer wieder konnte folgendes Szenario auf den Plena beobachtet werden: Jene, die für die Thematik sensibilisiert sind, tun nichts, weil sie die erstmals seit Jahren stattfindende breite Vernetzung nicht gefährden wollen. Jene, die aufgrund ihrer dominanten und letztlich sexistischen Diskussionskultur kritisiert werden sollten, haben sich über Jahre Machtpositionen in NGOs angeeignet, so dass sie glaubhaft den Eindruck vermitteln, breitere antirassistische Mobilisierungen seien letztlich auf ihren guten Willen angewiesen.
Die Atmosphäre dieser Vorbereitungstreffen übertrug sich auch auf die bereits oben erwähnte "Antirassismus in der Krise?"-Veranstaltung, die direkt im Anschluss an ein solches Treffen in ähnlicher Zusammensetzung stattfand. Endlose Referate der Immergleichen Uralt-AktivistInnen, die auf so ziemlich alles eingingen, nur nicht auf die Fragestellung der Veranstaltung, prägten den Abend. Da die betreffenden Personen auch von der an sich sehr engagierten Moderation nicht zu bremsen waren, lähmten sie die Veranstaltung von Anfang an. Waren am Beginn noch viele an Möglichkeiten zu antirassistischem Engagement interessierte Menschen da, lichteten sich schon bald die Reihen und übrig blieben größtenteils jene AktivistInnen, die sich schon seit vielen Jahren nicht mehr viel neues zu sagen haben.
Vernetzung um jeden Preis?
Viele BesucherInnen beantworteten die Frage, ob der Antirassismus in der Krise sei, nach dieser Veranstaltung zu Recht mit einem deutlichen "Ja". Auch andere Beobachtungen lassen diesen Schluss plausibel erscheinen. Während Sans Papiers, also papierlose MigrantInnen, in Frankreich Kirchen besetzen und auch anderswo lautstark auf ihre Anliegen aufmerksam machen und mehr Rechte einfordern, spielen sie in Wien als "FC Sans Papiers" Männer-Fußball gegen rassistische Mehrheitsösterreicher. Nur ein Beispiel, aber durchaus ein symptomatisches für den hiesigen Drang zur Institutionalisierung, die jegliche spontane Basisinitiativen kanalisieren möchte und oftmals beängstigende Ahnlichkeiten zur typisch österreichischen Vereinsmeierei aufweist.
Polemisch könnte man sagen, antirassistisches Engagement in Wien, kann nur jenen empfohlen werden, die ausreichend Energie für lähmende, anstrengende, männlich dominierte Diskussionen mit Obmann, ObmannstellvertreterIn und SchriftführerIn diverser antirassistischer Vereine haben. Große Vernetzungsplena sind mitunter sehr mühsam und es muss letztlich jeder und jede für sich selbst entscheiden, ob er/sie sich an einer Vernetzung, die es erfordert die eigenen emanzipatorischen Mindestandards temporär herunterzuschrauben, beteiligt.
Im Bereich Antirassismus gibt es durchaus Möglichkeiten aktiv zu werden. Eine Gesellschaft, die von einem durch alle Parteien gehenden rassistischen Konsens geprägt ist, bietet Anknüpfungspunkte genug für politischen Antirassismus - auch abseits nervenaufreibender Vernetzungs-Plena. Es gibt viele kleine Projekte, die auf verschiedenste Weise kreative, radikale und selbstreflexive antirassistische Arbeit leisten. Die werden nur leider im Schaulaufen der etablierten NGOs oftmals kaum wahrgenommen.
Dieser Artikel erschien erstmals in UNIQUE - Magazin der ÖH Uni Wien.