Die deutsche Bundes- regierung hat mit der Regierung der Republik Kosovo am 14. April 2010 ein Abkommen zur "Rücknahme" von Flüchtlingen aus Deutschland beschlossen. Die Abschiebungen tausender Menschen haben bereits begonnen - begleitet von Widerstand.
Rückübernahmeabkommen dienen dazu, dass sich Herkunfts- bzw. Transitstaaten von Migration und Flucht verpflichten, die für Abschiebungen in ihr Hoheitsgebiet notwendigen Papiere auszustellen. Auf Grund des "Rückübernahmeabkommens" mit dem Kosovo sind ca. 14.000 in Deutschland lebende Menschen, 10.000 Roma/Romnia und 4000 Angehörige anderer Minderheiten von Abschiebung bedroht. Viele leben seit Anfang der 1990er Jahre in Deutschland oder sind nach den NATO-Angriffen auf Jugoslawien 1999 geflüchtet.
Beginn der Massenabschiebungen
Mit dem Abkommen wurde formalisiert, was bereits zuvor vollzogen wurde - die Abschiebungen von Minderheitenangehörigen, die im Kosovo mit extremer Diskriminierung rechnen müssen. Seit Sommer 2009 werden Angehörige der Roma/Romnia-Minderheit in den Kosovo abgeschoben. Dem zuvor gegangen waren Rundschreiben zahlreicher deutscher Innenministerien im Frühjahr 2009 an die zuständigen Ausländer_innenbehörden, noch in Deutschland lebenden Personen aus dem Kosovo, die über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen, die "freiwillige Ausreise" nahe zu legen und die Abschiebung anzudrohen. Am 15. September 2009 erfolgte von Karlsruhe/Baden Baden die erste Charterabschiebung mit zahlreichen Roma/Romnia-Angehörigen an Bord, am 28. September eine zweite von Düsseldorf. Seither starten regelmäßig für Abschiebungen gecharterte Flugzeuge von diesen Flughäfen Richtung Kosovo. Immer wieder kam es dabei zu Protesten und zahlreiche Organisationen haben sich in Kampagnen gegen die Abschiebungen zusammen geschlossen.
In einem Protestaufruf zu den jüngsten Abschiebungen in den Kosovo und nach Serbien am 7. und 9. Dezember 2010 auf :: alle-bleiben.info ist zu lesen: "Wenn ihr mitbekommt, dass in eurer Stadt jemand abgeschoben werden soll, müsst ihr sehr schnell reagieren, Proteste organisieren, die Öffentlichkeit informieren und versuchen durch einen Anwalt [eine Anwältin] die Abschiebung zu verhindern. Auch für die Familie in Göttingen ist nur erst mal die akute Gefahr gebannt aber was nach dieser Duldungsverlängerung weiter geschehen kann ist noch nicht absehbar. Wir müssen weiter kämpfen, für ein Bleiberecht mit uneingeschränkter Teilhabe an der Gesellschaft!"
Nachdem der Familie in Göttingen der Abschiebebescheid zugestellt worden war, schaffte diese es, schnell genug zu handeln und schaltete einen Anwalt ein, der eine Verlängerung der Duldung bis zum 15. Jänner 2011 erreichte. Zahlreiche Menschen sprachen sich für ein Bleiberecht der Familie aus und am 6. Dezember beteiligten sich mehr als 150 Menschen an einer Solidaritäts-Demonstration gegen Abschiebungen. Zusätzlich gab es zahlreiche Proteste aus ganz Deutschland zu diesem Fall.
Abschiebung bedeutet Diskriminierung
Doch in vielen Fällen sieht es anders aus: Im Morgengrauen stehen die Beamt_innen zur Abholung vor der Tür, Kinder werden direkt aus dem Klassenzimmer abgeführt, beim Routinebesuch der Ausländer_innenbehörde zur Verlängerung der Duldung werden Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben, festgehalten und in Abschiebehaft gesteckt.
Dabei spielt es für die Abschiebebeamt_innen keine Rolle, ob die Menschen, die sie in den Kosovo "rückführen" wollen, überhaupt schon mal dort gewesen sind. Die geplanten Abschiebungen von Minderheitenangehörigen in den Kosovo betreffen tausende Menschen, die in Deutschland geboren und in die Schule gegangen sind - und die noch nie im Kosovo waren. Viele, die bereits abgeschoben wurden, gaben an, dass sie sich plötzlich in einer für sie völlig unbekannten Situation wiederfanden, die alles andere als sicher ist. Die Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung gehören zum Alltag von Minderheiten im Kosovo, einem Land, das sich bis vor kurzem im Kriegszustand befand und wo die Diskriminierung von "ethnischen Minderheiten" auf der Tagesordnung steht.
Die Lebenssituation für Roma/Romnia im Kosovo ist trotz aller möglichen Beteuerungen von Politiker_innen und Abschiebebehörden in keinster Weise akzeptabel. In einem 2009 von Pro Asyl veröffentlichten Bericht (:: hier als pdf) ist zu lesen:
"Freiwillige und zwangsweise Rückkehrer[innen] aus Ländern Westeuropas werden im Kosovo mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die das kleine Land auf eine Stufe mit zahlreichen Entwicklungsländern stellt: verbreitete Armut, vor allem auf dem Land, eine dominierende informelle Ökonomie, grassierende Arbeitslosigkeit, staatliche Strukturen, die aus notorischem Geldmangel heraus grundlegende Leistungen nicht oder nur defizitär erbringen können, eine Entlohnung öffentlicher Angestellter, deren geringe Höhe zu Korruption und »Under-Desk-Payment« einlädt. (...)
Die Situation der Minderheiten ist gekennzeichnet durch eine weitgehende ethnische Separierung und Enklavenbildung. Innerhalb der Minderheiten gibt es eine deutliche Unterscheidung zwischen serbischen und RAE (Roma, Ashkali, Egyptian) Minderheiten. Die Aufmerksamkeit internationaler Organisationen wie auch kosovarischer Einrichtungen gilt in der Hauptsache den Belangen und Ansprüchen der serbischen Minderheit. Die zentrale politische Rolle der serbischen Minderheit in den Statusverhandlungen um den Kosovo spiegelt sich hier auf Regierungs- und Verwaltungsebene, sowohl bei den internationalen Organisationen als auch der kosovarischen Regierung wider. (...)
Die alltägliche und auch von internationalen Organisationen nicht hinreichend zur Kenntnis genommene Diskriminierung hat bei den Roma ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber kosovarischen wie auch internationalen Strukturen hervorgerufen. Dies hat dazu geführt, dass sich Minderheiten in Enklaven zurückziehen und eine zunehmende Segregation entlang ethnischer Zugehörigkeiten stattfindet. Diese Segregation setzt Minderheiten außerhalb ethnischer Enklaven Übergriffen schutzlos aus und verhindert zusätzlich, dass Roma-Angehörige ihre Rechte wahrnehmen können."
Die Studie kommt zur Schlussfolgerung, dass Roma/Romnia in den meisten Fällen in eine Situation latenter und manifester Unsicherheit abgeschoben werden. Sie bekommen so gut wie keine staatliche Unterstützung, bestehende, von EU-Staaten finanziert Projekte, eröffnen keine Perspektiven. Der Zugang zu grundlegenden Rechten ist verstellt. Um überleben zu können, sind die Abgeschobenen auf soziale Netzwerke angewiesen.
Trotz dieser Perspektivlosigkeit für Angehörige der im Kosovo diskriminierten Minderheiten starten laufend Massenabschiebungen von den Flughäfen Düsseldorf und Baden-Baden Richtung Kosovo.
Recht auf Familienleben
Nicht unproblematisch ist die Berufung auf den Schutz von Ehe und Familie. Dieses Menschenrecht und wird in Deutschland durch das Grundgesetz (Art. 6 GG) und die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) garantiert.
Offenkundig gilt dieser grundrechtliche Schutz jedoch nicht für alle in Deutschland lebenden Familien gleichermaßen. Nach dem deutschen Ausländerrecht können familiäre Interessen bei der Abschiebung berücksichtigt werden, müssen es aber nicht. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Behörde. Das Auseinanderreißen ausreisepflichtiger Familien offenbart somit nicht nur eine Schutzlücke im Gesetz, sondern auch die Unmenschlichkeit deutscher Behördenpraxis. So liegt die Verantwortung für das Leid der betroffenen Familien in vielen Fällen bei den zuständigen Behörden, die dann oft Familientrennungen durch Abschiebungen anordnen. Auch Menschen mit ungesichertem Aufenthalt haben ein Recht auf eine angemessene Berücksichtigung ihrer familiären Bindungen.
Die Sicht der Abschiebebehörden
In einem Erlass des Landes NRW vom 1. Dezember 2010 wird angeordnet: "Die zwangsweise Rückführung von Angehörigen der ethnischen Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter in die Republik Serbien und die Republik Kosovo wird bis zum 31. März 2011 ausgesetzt."
Der nächste Satz beginnt mit den Ausnahmen von dieser Regelung: Menschen, "die wegen einer oder mehrerer im Bundesgebiet begangener vorsätzlicher Straftaten verurteilt worden sind." Wer eine Strafe von mehr als 50 Tagessätzen aufgebrummt kommt, kann trotz des "Wintererlasses" abgeschoben werden.
In Stellungnahmen von Schreibtsichtäter_innen, mit denen sie die Zustimmung zu ihren Abschiebeplänen erhöhen wollen, ist oft davon zu lesen, dass es sich bei den Abgeschobenen um "Straftäter_innen" handle. Dabei wird einerseits auf rassistische Stereotype zurückgegriffen und ganze Gruppen kategorisiert. Andererseits wird vermittelt, Straftäter_innen hätten nichts anderes verdient. Denn selbst wenn die Strafe vollständig abgesessen wurde, droht Menschen die Abschiebung. Dies muss schon deshalb als Ungleichbehandlung gesehen werden, weil Menschen aufgrund ihres Aufenthaltsstatus einer weiteren Sanktion unterzogen werden. Der Kriminalitätsdiskurs in Verbindung mit Abschiebungen führt zwangsweise zu einer Verstärkung rassistischer Stereotype, wenn Menschen ohne Aufenthaltstitel kriminalisiert und als "kriminell" definierte Menschen abgeschoben werden. Solange es Abschiebungen giebt, ist dieses Stereotyp nicht auzulösen, da es immer der Rechtfertigung von Abschiebungen dient.
Dies rechtfertigt dann auch eine Ausnahme vom Grundgesetz, wie im Erlass aus NRW folgendermaßen formuliert:
"Führt die zwangsweise Rückführung eines Straftäters zu einer vorübergehenden Aufteilung der Familie, kann dies hingenommen werden, wenn die Betreuung der Kinder durch den anderen Elternteil oder durch einen anderen nahen Angehörigen gewährleistet ist. Dem steht wegen des lediglich vorübergehenden Charakters dieser Regelung Artikel 6 GG grundsätzlich nicht entgegen."
Widerstand
Die Regierung in NRW verhängte einen teilweisen, vorübergehenden Abschiebestopp für im eigenen Hoheitsgebielt aufhältige Personen, gleichzeitig werden Menschen, die in die Zuständigkeiten anderer Länder fallen, insbesondere aus Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, von Flughäfen in NRW abgeschoben. So fanden am 7. Dezember eine Abschiebung in den Kosovo und am 9. Dezember eine Abschiebung nach Serbien statt. In einem Bericht zu Protesten am Flughafen Düsseldorf am 9. Dezember auf :: de.indymedia.org ist zu lesen:
"Heute Vormittag sollten etwa 100 Menschen per Charterflug nach Serbien abgeschoben werden. Im Flieger saßen dann jedoch deutlich weniger Menschen, vermutlich deutlich weniger als 40. Dies lag zum Teil daran, dass einige Abschiebungen durch den Wintererlass der Landesregierung NRW aufgeschoben wurden. Dieser setzt die Abschiebung von nordrheinwestfählische Roma, Ashkali und Ägyptern für die Dauer des Winters aus, sofern diese nicht mit mehr als 50 Tagessätzen vorbestraft waren. Offensichtlich geht die Landesregierung davon aus, dass Tagessätze nachhaltig warm halten oder es ist einfach egal, wenn sogenannte "Straftäter_innen" frieren müssen. Ein anderer Teil der Betroffenen konnte sich der Abschiebung zumindest zeitweise entziehen, indem er untertauchte. Aber jede einzelne Abschiebung ist eine Abschiebung zu viel und so regte sich am Düsseldorfer Flughafen lautstarker Protest. Die Aktivist_innen waren in cognito in den Flughafen eingesickert und traten erst zum vereinbarten Zeitpunkt um 10.30h in Erscheinung. An verschiedenen Stellen wurden Transparente entrollt, Parolen gerufen und Flyer verteilt. Dazu spielten Sambistas, sodass die insgesamt etwa 50 Aktivist_innen das gesamte Terminal erreichten."
Die Polizei versuchte mehrmals, wenn auch zurückhaltend, zu intervenieren. Doch für eine halbe Stunde konnte im Terminal lautstark auf die gerade stattfindende Abschiebung aufmerksam gemacht werden. Danach gab es noch eine Spontandemonstration zum Gate F, von dem die Abschiebungen statt finden. Die Kundgebung löste sich dort auf und soweit bekannt konnten die Aktivist_innen ohne Personalienkontrollen oder Anzeigen abreisen.
Hier, um zu bleiben
Wenngleich die Proteste gegen die Abschiebungen teilweise erfolgreich waren, darf nicht vergessen werden, dass einaml mehr Menschen abgeschoben wurden weiterhin täglich Abschiebungen statt finden. Menschen werden innerhalb von Europa von einem Staat in den anderen "rückgeführt", in verschiedene Länder Afrikas und Asiens "befördert" - nicht selten unter Anwendung massiver Zwangsgewalt. Doch sind auch jene Abschiebungen, die ohne unmittelbarem Widerstand der Abgeschobenen durchgeführt werden, rassistische Gewaltakte. Menschen wird das Aufenthaltsrecht abgesprochen und sie werden - egal wie "integriert" sie angesehen werden - gegen ihren Willen außer Landes geschafft. Selbst die Möglichkeit der "freiwilligen Ausreise", die von den Behörden angeboten wird, ist verbunden mit der Androhung von Gewalt: "Wer nicht geht, wird gegangen!" Jene, die diesen gewalttätigen Job erledigen, versuchen sich oft damit zu rechtfertigen, dass sie "nur" Gesetze exekutieren. Doch ihr Handeln hat einen massiven und unmittelbaren Einfluss auf das Leben von Menschen und kann, wie in vielen Fällen dokumentiert, die Zerstörung von Existenzen bedeuten.
Antirassistische Solidarität bedeutet, sich gegen dieses zerstörerische Vorgehen zu stellen. Für Menschen, die isoliert von der Gesellschaft leben, kann es schwieriger sein, sich erfolgreich einem Abschiebeversuch zu widersetzen. Dabei ist die Isolierung von Menschen bzw. Gruppen ein wesentlicher Teil rassistischer Ausgrenzung; sowohl in Gefängnissen als auch innerhalb der Gesellschaft. Abschiebungen gehen noch einen Schritt weiter: Menschen werden aus der Gesellschaft entfernt. Sie sind plötzlich weg - und es ist nicht klar, ob sie wieder kommen. Doch sie sind hier - um zu bleiben!
Quellen :: de.indymedia.org, 09. Dez 2010 :: alle-bleiben.info, 07. Dez 2010 :: monsters.blogsport.de, 06. Dez 2010) :: proasyl.de, 02. Dez 2010 :: fluechtlingsrat-hamburg.de, 19. Okt 2010 :: migration-boell.de, Juli 2010