Die Polizei wollte am Mittwoch, 15. Dezember 2010 den aus Guinea stammenden, politisch engagierten Student Ousmane C. vom Flughafen von Wien- Schwechat aus abgeschieben. Dies wurde jedoch verhindert. Ein Bericht über die Proteste und Blockaden rund um den Schubhäfn in Wien.
Die einzig realistische Chance, dies zu verhindern oder zumindest zu verzögern, konnte vergangene Nacht trotz größter Anstrengungen leider nicht genutzt werden. Die personell zwar schwach vertretene Polizei setzte uns mit einem taktischen Kniff außer Gefecht. Doch bis dahin war es ein langer, ungewöhnlicher, vielfach neuartiger Abend des Protests.
Am Montag, 13.12., gab es eine von etwa 150 Personen besuchte Demonstration zum Innenministerium gegen die Abschiebung von Ousmane, zu der auf Facebook via "Ousmane muss bleiben" aufgerufen wurde. Am nächsten Tag wurde angekündigt, dass es am Abend Aktionen geben soll. Nach einem Treffen einiger AktivistInnen wurde um ca. 21:20 Uhr via Facebook, Twitter und SMS verlautet, dass etwa 50 Personen unterwegs zum PAZ Rossauer Lände zu einer Spontan-Demo seien. Tatsächlich waren gegen 22 Uhr erst 30 Personen dort, die sich über das weitere Vorgehen bei eisigem Wind und Schneetreiben unterhielten.
Was danach geschah ist eine MeisterInnen-Leistung der Vernetzung und Mobilisierung: Eine Stunde später waren es bereits 60 bis 70 Leute. Es kam zu ersten Aktionen: die Ausfahrten des PAZ wurden mit Paletten voller Polizei-Absperrgitter (!) provisorisch blockiert. Via SMS wurden die Ereignisse Richtung Social Community verschickt und weiterverbreitet. Immer mehr Leute trafen ein. Mitverantwortlich dafür auch WienTV, jene zivilgesellschaftliche Online-TV-Community, die nicht nur den allgegenwärtigen "Verfassungsschützern" permanent auf die Finger klopft und dank TV-Kamera die Polizei zu Höchstleistungen der Anständigkeit anspornt, sondern auch Radio Orange auf dem Laufenden hielt, sodass dort um 22 und 23 Uhr über die Spontan-Demo berichtet und mobilisiert werden konnte.
Nach einer weiteren halben Stunde, um Halbeins, befanden sich bereits 120 (!) Abschiebungs-GegnerInnen beim PAZ Rossauer Lände, die meisten davon beim Haupteingang, kleine Gruppen auch bei anderen Ein- und Ausgängen. Diese enorme Mobilisierung unter der Woche, nach Mitternacht, bei den denkbar unfreundlichsten Witterungsverhältnissen, hat eigentlich alle überrascht. Aber nur, da dies geglückt ist, war es überhaupt möglich, an Blockaden zu denken - und diese auch durchzuführen.
Probe
Um 22:30 begannen die (zu diesem Zeitpunkt etwa 40) AktivistInnen, vorbeifahrende Polizeifahrzeuge anzuhalten (!) und nach dem möglichen Insaßen Ousmane C. abzuklopfen. Die auf diese Weise aufgehaltenen PolizistInnen nahmen es gelassen hin. "Des is da foische", kam es aus dem geöffneten Fenster des VW-Busses, aber was solls, "Passt scho, war halt Probe", grinsten sie noch aus dem Wagen und fuhren weiter. Ähnliches geschah an diesem Abend noch mehrmals. Polizei war zu diesem Zeitpunkt noch keine vor Ort im Einsatz. Lediglich zwei Beamte des LVT (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) beobachteten das Geschehen aus "sicherer" Entfernung aus einem weißen VW-Bus mit dem Kennzeichen W 83787B. Dass die Polizei, wie sich bei den letzten Demos bereits abgezeichnet hat, nun vollständig auf eine neue "High Tolerance"-Strategie umgestellt hat, war zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich offensichtlich.
Erster Abschiebe-Versuch
Kurz nach 23 Uhr wurde es allmählich ernst. Ein Gefangenen-Transporter fuhr in die Garage des PAZ Rossauer Lände. Als Reaktion darauf wurden besagte Barrikaden errichtet. Auch auf der Rückseite des Gebäudes. Doch im gesamten Verlauf des Abends verließ kein einziges Fahrzeug das PAZ. Die Polizei, so scheint es, hat sich vollkommen eingeigelt. Auch die Barrikaden waren ihnen herzlichst egal. Über Videokameras am Gebäude beobachteten sie das Geschehen von Innen.
Um 23:45 kam es schließlich zum ersten (oder zweiten? --> Transporter, der ins PAZ fuhr und nicht mehr raus kam) Abschiebe-Versuch. Ein Konvoi aus drei Fahrzeugen (sowie weiteren, die nun überall herumschwirrten) näherte sich dem PAZ und wurde auf der Rossauer Lände von etwa 40 bis 50 Leuten blockiert (weitere 20 bis 30 befanden sich an den anderen Gebäudeseiten). Mehrere VW-Busse spuckten 20 Bereitschafts-PolizistInnen (EE Ulan) mit Helmen aus. Die Blockade wurde "einvernehmlich" aufgegeben, es gab keine Konfrontation, außer dem Aufmarsch der Beamten selbst. Der Transporter brauste nun zwei Straßen weiter nach vorne und bog links ab. 20 bis 30 Leute erkannten den Versuch, an die Rückseite des PAZ zu gelangen, und kamen dem Transporter über die Grünentorgasse zuvor. Er steckte nun in der Hahngasse fest: Vorne die AktivistInnen, dahinter mehrere zivile PKWs.
Entweder übermüdet (laut AugenzeugInnen waren schon den ganzen Tag mehrere VW-Busse mit Einsatzeinheiten rund ums PAZ platziert), gelangweilt oder desinteressiert setzten sich die EE-Beamten - etwa 10 Minuten später - erneut in Bewegung, zur Blockade Hahngasse. Der Transporter wurde befreit, fuhr jedoch nicht zur (blockierten) Hinterausfahrt des PAZ, sondern, in Schritttempo hinter einigen, Georg Kreislers "Schützen wir die Polizei" säuselnden Demonstrierenden hinterher. Die EE diente als Eskort für das Fahrzeug. Angekommen an der Rossauer Lände bog der Transporter scharf Richtung Nordwesten ab und ward nicht mehr gesehen. Da war es kurz nach 0 Uhr.
Rätselraten überall: War Ousmane da jetzt schon drinnen? Nach einigen Minuten setzt sich die Erkenntnis durch, dass dieses Fahrzeug nie jemand aus dem PAZ betreten hat. Der zweifache Versuch, ins PAZ einzufahren, war offensichtlich gescheitert. Und er war zu ernsthaft betrieben, um als Ablenkungsmanöver angesehen zu werden. Dieses kam erst später zum Einsatz! (Warum sollten eigentlich 2 Gefangenen-Transporter ins PAZ? Die Antwort darauf finden wir evtl. im Frühjahr 2010: Bei der legendären Blockade am Hernalser Gürtel kamen ebenfalls 2 Transporter zum Einsatz, einer davon leer, um die DemonstrantInnen zu verwirren - sollte derartiges auch für gestern geplant gewesen sein, ist dieser Versuch umso spektakulärer gescheitert)
Rückzug
Doch das Emperium schlägt zurück. Die Polizei lernt rasch und zieht aus dem gescheiterten ersten Versuch folgenden Schlüsse: A) Die Rossauer Lände wird ab der Friedensbrücke für den Verkehr vollständig (Ausnahme Taxis) gesperrt. Offenbar will man nicht nocheinmal mit einem Transporter zwischen PKWs stecken bleiben. B) die Blockaden und die Demo werden nicht aufgelöst, um dem Transporter Platz zu machen - stattdessen zieht sich die Polizei in ihre Fahrzeuge zurück, während die Führung an einem neuen Konzept arbeitet.
Was sagt uns das? Die Polizei hat offenbar keine weiteren Einheiten zur Verfügung. Sonst lässt sie sich nämlich keine Gelegenheit entgehen, eine unangemeldete Demonstration unter Verweis auf ihre Illegalität aufzulösen, notfalls auch mit über 100 BeamtInnen und "unter Anwendung von Zwangsmitteln". Man erinnere sich bloß an frühere Aktionen vor dem PAZ, wo illegale Versammlungen einmal bis zum Asylgerichtshof "getrieben" wurden, ein anderes Mal unter Einsatz von vermutlich deutlich mehr als 100 BeamtInnen (darunter ein ganzer Reisebus voller Cops!) wurde die Demo schon beim Schwedenplatz in alle Richtungen zerschlagen. Für derlei Späße scheint der Polizei nun das Geld ausgegangen zu sein. Die jüngste Anti-Abschiebungs-Demo ab dem "Freunde schützen"-Haus in Meidling wurde ganze 40 Minuten (!) lang von der Polizei vollständig ignoriert und erst kurz vor dem Westbahnhof (also 2, 3 Gürtel-Kilometer und einen langen Stau später) stießen mehrere Streifenwägen dazu.
Zweiter Versuch: Taktik Kills
120 Leute verteilten sich mittlerweile rund um das Gebäude. Und trotz aller Skepsis fielen wir auf einen plumpen, wenngleich äußerst gewagten Trick der Polizei hinein: Die 20 EE-Beamten stellten sich erneut als lebende Stoßstangen zur Verfügung und versuchten jene etwa 90 Personen auf der Rossauer Lände abzudrängen und jenes Garagentor freizumachen, in das vor einigen Stunden der erste Transporter gefahren war. Der Versuch scheiterte sehr schnell. Kaum in Formation und 2, 3 Meter vorangekommen, drängte die Überzahl an DemonstrantInnen die PolizistInnen etwa doppelt so weit zurück. Etwas ratlos wirkend zogen diese wenig später zum Garagentor, das nun unter ihrem "Schutz" geöffnet wurde. Darin zu sehen: der Polizeitransporter! Es wird immer lauter, die Menschen stehen Millimeterdicht an den BeamtInnen - doch es bleibt friedlich. Keine Seite ist an einer Eskalation interessiert. Dazu fehlt der Polizei schlicht das Personal, den DemonstrantInnen der Grund.
War es nun Taktik oder eine hilflose Abfolge gescheiterter Versuche, die letztlich doch noch in einem erfolgreichen Transport Ousmanes zum Flughafen mündeten?
Jedenfalls wurde Ousmane, während die Massen auf der Rossauer Lände lautstark mit der Polizei beschäftigt waren, über den Ausgang in der Maria-Theresien-Straße aus dem PAZ und in einen zivilen, grauen Transportwagen gebracht. Es ging zu schnell, als dass jene Hand voll Personen an jener Seite noch Hilfe hätten holen können - ihre Versuche blieben im Lärm ungehört. Währenddessen fuhr der Transporter ungestört davon.
Vermutlich zeitgleich bekamen auch die BeamtInnen an der Rossauer Lände den Befehl zum Rückzug. Das Garagentor schloss sich wieder, die BeamtInnen gingen zurück zu ihren Fahrzeugen, zogen sich um, und 20 Minuten später waren (fast) alle Polizeifahrzeuge wieder verschwunden - eine ratlose 120-Personen-Menge zurücklassend.
Es dauert noch etwa eine Stunde, bis Halbdrei, Drei, bis sich die Versammlung endgültig auflöst. Es gibt allerhand Gesprächsstoff: So eine Polizei hat man hier noch nie gesehen. Lässt sich alles gefallen, so lange sie es bloß irgendwie schafft, "ihren Gefangenen" wegzubringen. Offenbar lautete der besonders gemeine Quest an die Wiener Polizei an diesem Abend: "Schaffen Sie trotz angekündigter Proteste ihren Mandanten um spätestens 2 Uhr zum Flughafen. Zur Verfügung stehen: 2 Streifenwägen, ein "Schwerverkehrs-Kontrolle"-Fahrzeug [sic!], 4 VW-Busse à 20 EE-Beamte (keine WEGA! EE = Einsatzeinheit = Bereitschaftspolizei) sowie 1 Führungsoffizier, 1 Unteroffizier sowie ein gutes Dutzend PolizistInnen in Zivilfahrzeugen." - für Mätzchen mit den DemonstrantInnen bleibt da nunmal wenig Spielraum, ja sogar die Ausfahrten muss man sich mit den eigenen Absperrgittern versperren lassen.
Einige entschließen sich, zum Flughafen nachzufahren. Weitere Informationen darüber folgen...
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