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[ 02. Apr 2011 ]

Dieses Land ist unser Land

1. März-Kundgebung am Viktor-Adler-Markt in Wien

Rede von Ljubomir Bratic anlässlich des transnati- onalen Migrant_innen- streiks am 1. März 2011 am Viktor Adler Markt in Wien Favoriten.
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Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Alle!

Es wird in diesem Land im Zusammenhang mit uns MigrantInnen gesagt, dass die "berechtigten Sorgen der Menschen ernst genommen werden". Nun wenn das so ist, dann möchte ich mal fragen, warum werden die Mieten, die wir alle für Wohnungen zahlen, höher? Warum zahlen wir von Tag zu Tag für die Lebensmittel mehr? Warum sind die Löhne seit 20 Jahren eingefroren und verdienen wir somit immer weniger und weniger? Warum werden die Reichen reicher und die Armen ärmer? Sind das keine Sorgen, die ernst genommen werden sollen?

Nun, die Taktik dahinter ist durchschaubar und wir haben sie längst erkannt. Es geht darum, die Armen zu spalten. Es geht darum, die Solidarität zu verhindern. Und es geht darum, dass die Armen untereinander, innerhalb der Armenviertel, kämpfen. Und die Reichen in ihren Nobelbezirken, von denen wir in Österreich nicht einmal wissen, wie hoch ihr Reichtum ist, reiben sich die Hände. Diese Reichen in ihren Penthauswohnungen behaupten, dass sie die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Und was machen sie dabei? Sie beschließen die "Ausländer-raus!"-Gesetze!

Man wirft uns vor, dass wir nicht integriert sind. Warum denn nicht? Zahlen wir nicht Steuern? Zahlen wir nicht unsere Wohnungen? Erledigen wir nicht die billigsten Jobs? In dieser Hinsicht, als NettozahlerInnen, scheinen wir genug integriert zu sein. Nur, wenn es darum geht, dass wir Gleichheit und Freiheit, dass wir Emanzipation von der rassistischen Gesetzgebung fordern, dann scheinen wir nicht integriert zu sein. Da wird von den Herrschenden "Integration!" gerufen.

Liebe Leute, diese Forderung ist nichts als eine Lüge! Eine Lüge, deren einzige Funktion darin liegt, dass wir als diejenigen, die nach deren Vorstellung "nicht integriert" sind, weiterhin die Drecksarbeiten verrichten.

Glauben denn diese Menschen, dass wir das nicht merken? Glauben sie wirklich, dass wir so dämlich sind, um nicht zu wissen, was in diesem Land vor sich geht? Ich sage mal hier öffentlich und ein für alle Mal: Wir wissen es! Schon längst wissen wir es zu gut und darum haben wir uns in unseren Zusammenhängen, mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, organisiert. So organisiert, dass wir nicht mehr weg geschoben werden können. Zumindest nicht mehr, solange nicht wieder einmal Faschismus Überhang gewonnen hat. Denn dann werden andere Formen der Organisation notwendig sein. Und dieses Land ist ein postnazistisches Land. Die Forderung nach den Zwangsdeutschkursen ist eine, die eine lange Tradition in der Deutschtümelei hat und immer wieder ihr hässliches Haupt erhebt. Der rabiate Antisemit Karl Lueger stellte sie und seine brutale Schwester Maria Fekter stellt sie auch. Wir sind aber hier, und nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem wir den Faschismus besiegt haben, ist das hier kein deutsches Land mehr. Das muss klar sein! Und es wird auch nie mehr eines werden!

Ob die Eliten das wahrnehmen wollen oder nicht - wir alle sind schon längst ein Bestandteil dieser Gesellschaft. Unsere Kinder wachsen hier auf und gehen hier in die Schule, unsere Toten werden am Zentralfriedhof begraben. Und wir werden für immer da bleiben! Dieses Land ist unser Land! Dieses Land ist ein Einwanderungsland! Die Herrschenden sind die, die sich in die neuen gesellschaftlichen Realitäten INTEGRIEREN sollen! Wir sind schon längst darin integriert und ein für alle Mal hier zu Hause! Indem wir das Land über Generationen hinweg ernähren, haben wir die gleichen Rechte erworben wie diejenigen, die meinen, in ihren Adern fließe Ostarrichiblut. Um die Anerkennung dieser Rechte kämpfen wir.

Die neuen Gesetze, die vor ein paar Tagen im Ministerrat von SPÖ und ÖVP - wohlgemerkt, um die Absurdität noch zu vergrößern, auch von einer Gleichstellungsministerin - auf Vorschlag von SozialpartnerInnen, beschlossen wurden, wollen genau diese Gleichberechtigung verhindern. Sie wollen weiterhin verhindern, dass wir auch de jure und nicht nur de facto Teil der Gesellschaft werden. Sie wollen unsere Teilnahme an der Gesellschaft verhindern, in der wir schon längst die ProduzentInnen der Reichtümer sind. Sie wollen uns weiterhin in der Abhängigkeit halten. Dort, von wo wir leicht abgeschoben, leicht ins Gefängnis geworfen, leicht unter Druck gesetzt werden können, von jedem mittelmäßigen Vorarbeiter existenziell bedroht werden können. Das will das neue Gesetz. Darum heißt es darin, dass zukünftig die Menschen wegen eines Verwaltungsdeliktes (z.B. falsch parken, bei Rot über die Straße gehen, usw.) abgeschoben werden sollen. Darum steht drinnen, dass wenn eineR ohne StaatsbürgerInnenschaft sich arbeitslos meldet, das AMS dies automatisch der Fremdenpolizei melden muss. Wenn es dann darum geht, die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern, dann wird diese eben deswegen verweigert. Unsere Arbeit ist eben mit Zwang verbunden. Und Zwang wird ausgeübt, damit es billige Arbeitskräfte gibt. Billig für wen? Wenn wir die Antwort auf diese Frage genau wissen werden, werden wir auch wissen, wer genau hinter den Zwangsinstrumenten steht, um diese Arbeit billig zu halten.

Dieses neue Gesetz steht in der Tradition anderer früherer Gesetzeswerke. Deren einziger Zweck war und ist die Erhaltung der Ungleichheit. Wir sollen arm, abhängig, untertan sein. Und wir sollen dazu noch lächeln und unsere Zufriedenheit und Begeisterung kundtun. Das wird dann eine gelungene Integration genannt. Das will das neue Gesetz fortsetzen. Nicht allein das Gesetz, sondern das wollen diejenigen, die hinter dem Gesetz stehen.

Wir lassen uns aber nicht täuschen. Wir wissen, worum es geht. Wir sprechen die Sprache derer, die uns solche Gesetze bescheren, und kennen die Verhältnisse hier unten auf der Straße, auf der Produktionsebene besser als sie. Sie wollen entweder, dass wir von hier verschwinden oder da bleiben und uns mit den uns zugeteilten, entrechteten Positionen zufrieden geben. Die rassistischen Gesetze sind ein Instrument dafür.

Es geht natürlich auch darum, dass diejenigen unter uns, die nicht mehr nützlich sein können, abgeschoben werden. Insofern ist dieses Gesetz auch ein Instrument, das gegen die Armen in der Gesellschaft gerichtet ist. Einerseits das Gesetz und andererseits die Hetze. Die Hetze der gutbürgerlichen Schichten gegen die AnalphabetInnen aus Anatolien, gegen die "Kameltreiber" und gegen die von Natur aus aggressiven Menschen, die dem Aufklärungsideal nicht entsprechen. Einem pervertierten Aufklärungsideal, dem es nicht um die Emanzipation, nicht um die Freiheit und Gleichheit geht, sondern nur um die Disziplinierung und Ordnung. Ich liebe mein anatolisches Dorf und ich liebe meine anatolischen Bekannten und Verwandten und es wird mich niemand auf der Welt davon abhalten, sie zu lieben und zu unterstützen.

Zu den Ärmsten in unserer Gesellschaft gehören die Kopftuch tragenden Frauen. Wie wollen die IntegriererInnen diesen Frauen helfen? Indem man ihnen im Namen der Aufklärung die Kopftücher runter reißt. Nicht indem man ihnen einen sicheren Arbeitsplatz, erschwingliche Möglichkeiten zu wohnen, genug bezahlte Arbeit, Stipendien für die Kinder usw. anbietet, nein, sondern indem man den Islam zum Hauptfeind stilisiert und so die Tatsache der gesellschaftlichen Armut mit einer Kreuzritter-Ideologie verdeckt.

Das war in der Geschichte immer so: Immer wurde versucht, die soziale Ungleichheit durch die Behauptung der Rückständigkeit der Betroffenen zu rechtfertigen. Aber es gibt auch eine andere Regel, die genauso gilt: Immer wieder ist es den Unterdrückten gelungen, diese Lügen zu durchbrechen und sich zu emanzipieren. Die Emanzipation im Bereich Migration heißt nicht die Emanzipation von rückständigen mitgebrachten Traditionen, sondern eine Emanzipation vom Herrschaftssystem des Rassismus, dessen Hauptinstrument die Fremdgesetzgebung ist. In diesem Sinne: Die Emanzipation kann nur eine bedingungslose Abschaffung der gesamten Fremdengesetze bedeuten. Erst dann können wir über die Möglichkeiten und Wirklichkeiten reden.

Unser Kampf geht also in zwei Richtungen: Einerseits geht es um die Abschaffung der Unterdrückungsinstrumente und andererseits um die Erreichung der demokratischen, uns schon längst zustehenden Rechte. Denn eines muss klar sein: Solange Gesetze beschlossen werden, die auf die Migrantinnen und Migranten wirken, ohne dass diese die Möglichkeit haben, diese mitzubeschließen, handelt es sich um undemokratische Gesetze. Wir Migrantinnen und Migranten, die kein Wahlrecht haben, leben nicht in einer Demokratie. Da können die ideologischen Bedienstete der Herrschaft behaupten, was sie wollen. Wir leben in einem System, das über uns entscheidet, ohne dass wir die Möglichkeit haben, mitzuentscheiden. Wir leben also in einem System, das unsere Emanzipation verhindert.

Aber, wie schon gesagt, die ArbeiterInnen haben es in der Geschichte immer wieder geschafft, diese Art von Unterdrückungssystem zu durchzubrechen, den Frauen ist das auch gelungen und es wird uns auch gelingen. Darum haben wir uns hier und in Amerika, Italien, Frankreich, Griechenland, usw. versammelt. Und darum werden wir diese Aktionen fortsetzen. Denn wir sind trotz allen Widrigkeiten, wir sind trotz aller Anfeindungen und trotz aller ungustiösen primitiven Beamten hier geblieben und wir werden weiterhin hier bleiben. Es ist unser Land. Es ist kein schönes Land, aber unser Land.

Und wir kämpfen dafür, dass wir in einem Land ohne Rassismus, in einem Land ohne antiislamischen Rassismus, in einem Land ohne Antisemitismus, in einem Land ohne patriarchalen Verhältnissen, in einem Land ohne Homophobie und in einem Land ohne Klassen leben.

Dieses und jedes andere Land wird durch diese Kämpfe besser!

Danke!