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[ 28. Apr 2011 ]

Prekäre Lebensbedingungen von Flüchtlingen werden ignoriert

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Gefahr drohe durch eine Zunahme von Aggressionen, wenn Flüchtlinge keinen Ausgang erhalten, befürchten Psychotherapeutinnen des Netzwerkes "NIPE".

 

Auf der Pressekonferenz stuften Expertinnen die geplanten Änderungen im Asylrecht zur Anhaltung von Flüchtlingen als sehr gefährlich ein.

"Mit der Asylrechts-Novelle geht man zurück in die Vergangenheit, denn schon damals musste ich in einem geschlossenen 'Quarantänehaus' im Flüchtlingslager Traiskirchen leben", sagt Paulina Wessela, die 1989 als Flüchtling aus Tschechien nach Österreich kam. "Damals wurde eine Einsperrung der Flüchtlinge noch als Gesundheitsfürsorge und nicht als Sicherheitsfrage behandelt." Heute ist Wessela die Leiterin der Flüchtlingsbetreuung der Volkshilfe Oberösterreich. Sie weiß genau, wovon sie spricht. "Man unterschätzt, wie sich das auswirkt, denn die Gefahr ist, dass das Aggressionspotential unter den Geflüchteten gegen sich selbst oder andere steigt, wenn die Flüchtlinge nicht einmal spazieren gehen dürfen und miteinander auf engem Raum leben müssen. Man ist mit entwurzelten Menschen eingesperrt, die schlimme Erlebnisse hinter sich und eine ungewisse Zukunft vor sich haben." Die Asylrechtsnovelle 2011 erhöhe die Verzweiflung und damit die Suiziditäts-Gefahr.


Tod durch Scharlach


Bei der Pressekonferenz des "Netzwerks für Interkulturelle Psychotherapie nach Extremtraumatisierung" anlässlich der Fremdenrechts-Novelle, über die morgen im Parlament entschieden wird, ist der Abgrund zwischen der offiziellen Politik und den Psychotherapeutinnen, die täglich mit den Auswirkungen dieser Art Gesetze zu machen auf echte, lebendige Menschen kämpfen, deutlich zu spüren. Aber auch die Distanz zu den Medien, die von vielen Todesfällen erst spät oder gar nicht erfahren, ist unübersehbar. So erzählt Ursula Weixler, Psychotherapeutin des Projektes "Sintem" der Caritas, von einer tschetschenischen Frau, die sie betreut und die in Österreich noch einmal traumatisierende Ereignisse erfahren musste: Als der vierjährige Sohn der Tschetschenin Scharlach bekommt, sperrt man die ganze Flüchtlingsfamilie in Quarantäne. Sie dürfen den Raum nicht verlassen. Das Kind hat 41 Grad Fieber. Die Bitten nach Arzt oder Rettung werden einfach überhört. Die Mutter läuft verzweifelt in dem Zimmer hin und her, schließlich stirbt das Kind wirklich in ihren Armen. Dieser Todesfall ist drei Jahre her und gelangte nie an die Öffentlichkeit. Niemand wurde jemals dafür zur Verantwortung gezogen, es ist auch unklar, ob das Innenministerium oder "European Homecare" für die gesundheitliche Fürsorge des Kindes in Traiskirchen zuständig war. Als besonders demütigend empfand die Familie, dass ihnen erst nach dem Tod Hilfe in Form von 2000 Euro für das Begräbnis angeboten wurden. Die Familie zahlte das Begräbnis ihres Kindes selbst und wartet bis heute auf ihr Asyl.


Dolmetscher gesucht


Eine andere Klientin der Trauma-Therapeutin Weixler lebte auf der Flucht mit ihrem Sohn viel im Freien in einer Höhle. Als die Flüchtlingsfrau in Österreich ins Gefängnis gesperrt wird, lässt man den verängstigten Siebenjährigen einfach alleine in der Unterkunft zurück. Später entschuldigte sich eine Richterin im Asylverfahren für das Vergehen Österreichs in diesem Vorfall - die offizielle Anerkennung ihres Leidens hatte auf die Therapie der Frau positive Auswirkungen.

Nervliche Zusammenbrüche bei Asyl-Interviews oder durch stressige Lebensbedingungen können im Flüchtlingslager Traiskirchen nicht behandelt werden. Nach Selbstmordversuchen erhalten Flüchtlinge in der psychiatrischen Abteilung in Baden nur Medikation und werden allein ambulant behandelt. "Man kann die eh nicht behandeln, wird gesagt, denn man spricht ihre Sprachen nicht. Es gibt keinen Dolmetsch. Selbst im AKH gibt es nicht einmal einen Russisch-Dolmetsch", erzählen dann die anwesenden Therapeutinnen durcheinander. Früher zahlte anscheinend der Fonds Soziales Wien die Dolmetschtätigkeit, doch die seien nun der Meinung, dass die Krankenkassen diese Kosten übernehmen sollten. In Zukunft wird eine "Dienstleistungs Agentur" zur Grundversorgung der Flüchtlinge, die an die Sicherheitsdirektion angeschlossen ist, diese Kosten übernehmen, geht das Gerücht.

"Bei Trauma kann man allein durch Therapie integrationsfähig werden. Die ist auch bei AMS-Zuweisungen von Flüchtlingen an Hemayat notwendig", betont Cecilia Heiss, Geschäftsführerin des Wiener Psychotherapiezentrums Hemayat, einer Organisation mit 200 Traumatisierten auf der Warteliste. Aber ohne Basisfinanzierung. Den engagierten TherapeutInnen können ihre Honorare bis zu acht Monate nicht ausgezahlt werden. "Das Innenministerium schafft Mehrbedarf an Therapieplätzen von Klienten durch diese Gesetze und drohende Retraumatisierungen, gleichzeitig ist es Fördergeber der Hilfsorganisationen, denn Östereich ist völkerrechtlich zu dieser Aufgabe verpflichtet", schüttelt Marion Kremla von der "asylkoordination" den Kopf über einen politischen Spagat, der hoffentlich unter der neuen Innenministerin leichter wird.

Artikel von Kerstin Kellermann, zuerst erschienen auf :: m-media.or.at, 28. Apr 2011.