Ende Juni 2011 wurde in Wien ein neues Prostitutions- gesetz beschlossen, das den Straßenstrich im Wohngebiet praktisch verbietet. NGOs kritisieren diese Regelung, die mehr den Interessen der AnrainerInnen diene als jenen der Sexarbeiterinnen.
Artikel von Gabi Horak, erschienen in :: an.schläge - das feministische Monatsmagazin, Juli/August 2011
Einzelne "Erlaubniszonen"
Ende Jänner urteilte die Wiener Frauenstadträtin Sandra Frauenberger noch, dass ein Verbot der Straßenprostitution nicht zielführend wäre. Denn wo Verbote sind, fänden Menschen Wege, sie zu umgehen. Viele Gespräche mit Sexarbeiterinnen, ExpertInnen aus NGOs und vor allem mit AnrainerInnen später haben sich dann aber doch andere Interessen durchgesetzt: Am 1. November wird das neue Wiener Prostitutionsgesetz in Kraft treten, das Straßenprostitution zwar nicht völlig verbietet, aber de facto in allen Wohngebieten untersagt. Erlaubte Zonen sollen Gewerbegebiete, Ausfallstraßen und der Prater sein. NGOs und Sexarbeiterinnen halten das Gesetz einerseits für nicht exekutierbar, andererseits fürchten sie einen weiteren Anstieg gewaltsamer Übergriffe gegen Frauen auf dem Strich: Ein Gewerbegebiet am Stadtrand oder eine einsame Straße bieten weder Infrastruktur noch Schutz für Sexarbeiterinnen.
Gescheiterter Feldversuch. Anfang 2010 präsentierte die Stadt Wien ein Sieben-Punkte-Programm zur Prostitution, um endlich Lösungen für die Konflikte in einigen Wohngegenden mit Straßenstrich zu finden (vgl. an.schläge 10/2010). Das Programm startete dann im Mai 2010 mit einem halbjährigen Feldversuch im 15. Bezirk, wo AnrainerInnen sich bereits zu BürgerInneninitiativen zusammengeschlossen hatten, um gegen die ihrer Meinung nach unhaltbaren Zustände mobil zu machen. Keine einfache Situation für alle Beteiligten. Im Rahmen dieses Versuchs wurde der Straßenstrich auf der Felberstraße komplett verboten und stattdessen zwei andere Straßenzüge angeboten. Sexarbeiterinnen waren in diesen abgelegenen und dunklen Straßen jedoch selten zu finden - die Arbeit verlagerte sich wohl in Privatwohnungen und andere ähnlich unsichere Orte.
Eine Maßnahme, die gut angenommen und deshalb nun auch bis Ende September 2011 verlängert wurde, war das Projekt "SOPHIE mobil". Mitarbeiterinnen des SOPHIE BildungsRaums für Prostituierte betreiben professionelles Beschwerde- und Konfliktmanagement vor Ort sowie eine Hotline. Die persönlichen Gespräche mit AnrainerInnen haben einen wichtigen Beitrag zur Deeskalation geleistet.
Gewaltprävention. Ein anderes Projekt im Rahmen des Programms war jenes des Vereins LEFÖ, der Beratung für Migrantinnen in der Sexarbeit anbietet. Dabei wurden migrantischen Sexarbeiterinnen Expertisen zur Gewaltprävention und zum Schutz gegen Frauenhandel vermittelt. Auch dieses Projekt wird bis Dezember 2011 weitergeführt.
Gewaltprävention ist ein wichtiges Thema für Sexarbeiterinnen. LEFÖ berichtet von einem "erschreckenden Anstieg" der Gewalttaten seit Beginn des Versuchs in der Felberstraße. Die ohnehin harten Arbeitsbedingungen wurden durch die Ausweitung der Verbotszonen, Aggressionen durch AnrainerInnen und repressive Polizeikontrollen weiter erschwert. "Die Polizei wurde bedingt durch ihre starke Präsenz weniger als Schutzeinrichtung vor Gewalt und Frauenhandel erlebt, sondern als Kontroll- und Bestrafungsinstanz", sagt eine Mitarbeiterin von LEFÖ. Deshalb beurteilt sie auch die faktische Abschaffung des Straßenstrichs im gesamten Wohngebiet als sehr problematisch. "Diese Maßnahme widerspricht der Heterogenität von Sexarbeiterinnen und bringt gleichzeitig ein erhöhtes Potenzial an Gefahren: Sexarbeiterinnen werden wohl an Orten arbeiten müssen, wo es keine ausreichende Infrastruktur gibt, keine Hygieneeinrichtungen und unsichere Arbeitsbedingungen, die sie großen Gefahren aussetzen."
Schutzobjekt des neuen Gesetzes seien die Öffentlichkeit, AnrainerInnen und unbeteiligte Dritte, jedoch nicht die Sexarbeiterinnen, urteilen die LEFÖ-Mitarbeiterinnen. Auch Eva van Rahden, Leiterin von SOPHIE, hält sichere und mit Infrastruktur ausgestattete Arbeitsorte für unumgänglich. "In einer Millionenstadt wird es immer eine Anbahnung auf der Straße geben", ist sie überzeugt. Das Gesetz sieht die Möglichkeit vereinzelter "Erlaubniszonen" in Wohngebieten vor. Wo genau die sein könnten und wie praktikabel sie dann in der Praxis sind, muss sich erst weisen. Eva van Rahden ist es ein großes Anliegen, dass diese Fragen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im November geklärt werden. Sie wird, genauso wie Vertreterinnen von LEFÖ, in einer geplanten Steuerungsgruppe sitzen, die sich die Auswirkungen des neuen Gesetzes genau ansehen soll und die Einrichtung etwaiger Erlaubniszonen diskutieren wird.
Positive Neuregelungen. Das neue Gesetz hat aber auch seine Vorteile: So müssen minderjährige Sexarbeiterinnen, die zum ersten Mal erwischt werden, künftig keine Strafe zahlen, sondern werden stattdessen zu einer Beratung der Jugendwohlfahrt geschickt. Für bestehende Verwaltungsstrafen wegen der alten Schutzzonenregelung gilt eine Generalamnestie, und bei der Erstregistrierung von Sexarbeiterinnen wird eine Vertreterin einer NGO dabei sein, um bessere Beratung zu ermöglichen. All das, wie auch die strengeren Auflagen für BordellbetreiberInnen, werden von NGO-Vertreterinnen durchaus positiv bewertet.
Die neu eingeführte Bestrafung von Freiern, die außerhalb der erlaubten Zonen anbahnen, wird hingegen als weiterer Schritt in Richtung Kriminalisierung gesehen. Diese Vorgehensweise entspricht dem schwedischen Modell, wo das Kaufen von Sex seit 1999 verboten ist und die Strafen gerade erst verdoppelt wurden - Freiern drohen in Schweden bis zu sechs Monate Haft. Dieses Modell ist sehr umstritten, zumal es illegale Sexarbeit fördert.
Hauptproblem ungelöst. Neben einer Kampagne gegen Belästigung von Frauen durch Freier und mehrsprachiges Infomaterial für Sexarbeiterinnen präsentierte Frauenstadträtin Frauenberger eine weitere Begleitmaßnahme zum neuen Prostitutionsgesetz: Der Wiener Gemeinderat wird einen Forderungskatalog an die Bundesregierung formulieren, in dem u.a. die Abschaffung der Sittenwidrigkeit eingefordert wird. Dass Sexarbeit in Österreich zwar geduldet ist, aber nach einem Spruch des Obersten Gerichtshofs von 1989 immer noch als "sittenwidrig" gilt, kritisieren NGOs seit langem.
Die Sittenwidrigkeit steht einer Gleichstellung von Sexarbeiterinnen mit anderen Erwerbstätigen wesentlich im Weg. Immer noch haben Sexarbeiterinnen viele Pflichten, müssen etwa wie andere Selbstständige auch Steuern abführen, die gleichen Rechte haben sie deshalb aber nicht. Für die Abschaffung der Sittenwidrigkeit ist die Bundesregierung zuständig - und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek könnte ein Erfolgserlebnis gut brauchen.
Links:
www.lefoe.at
www.maiz.at
www.peregrina.at
Sexualdienstleistungsgesetz in Oberösterreich
Auch in Oberösterreich ist ein neues Gesetz zur Sexarbeit in Arbeit. Erstaunlich daran ist, dass in der Regierungsvorlage der Begriff "Sexualdienstleistung" statt "Prostitution" verwendet wird. Trotzdem sei die Vorlage mit Vorsicht zu genießen, warnt eine Mitarbeiterin von maiz, dem Autonomen Zentrum von und für Migrantinnen in Linz. "Das vorgebliche Ziel des Gesetzes, die Arbeitssituation von Sexarbeiterinnen zu verbessern, bleibt ein Lippenbekenntnis. Zentraler scheint eine erleichterte Kontrolltätigkeit der Behörden." Es entstehe der Eindruck, dass Sexarbeit eher mit Kriminalität verbunden wird als mit "der Problematik der fehlenden Rechte von Sexarbeiterinnen". Auch das Verbot der Wohnungsprostitution sei problematisch, ebenso wie nicht näher präzisierte Auflagen für BordellbetreiberInnen. "Ihnen werden Kontrollfunktionen zugeschrieben, die die Scheinselbständigkeit der Frauen noch mehr verschärfen." Positive Neuerungen des geplanten Gesetzes: Das Berufsverbot für "offenkundig" schwangere Sexarbeiterinnen soll fallen, der bisher verbotene Straßenstrich soll durch Verordnungen der Gemeinden in bestimmten Zonen erlaubt werden.
Quelle: Die beiden Artikel erschienen zuerst in an.schläge Juli/August 2011