Ein sicheres Bleiberecht für Menschen mit prekärem Aufenthalts- status in Deutschland ist nicht in Sicht. Etwa 20.000 Personen sind davon bedroht, zum Ende des Jahres wieder nur eine Duldung zu erhalten, wenn sie nicht genug Geld verdienen.
Herr D. hat ein schweres Augenleiden, seine Sehfähigkeit liegt bei nur zehn Prozent. Eingereist aus dem Kongo, lebt er seit 1995 in Münster. Einen sicheren Aufenthaltstitel hat er nie bekommen, eine Abschiebung konnte jedoch bislang verhindert werden. Umso bemerkenswerter war, dass D. vorübergehend Arbeit finden konnte. Die Zeitarbeitsfirmen, bei denen er angestellt war, kündigten ihm jedoch regelmäßig nach wenigen Monaten noch in der Probezeit seine schlecht bezahlten Stellen. Die Ausländerbehörde, die ihm eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt hatte, wird daraus ihre Konsequenzen ziehen: Da er keine Arbeit mehr hat, muss D. befürchten, ab dem nächsten Jahr wieder mit einer Duldung zu leben.
D. ist nicht Opfer einer besonderen Behördenwillkür oder einer unvorhergesehenen Lücke des deutschen Ausländerrechts. Im Jahr 2006 lebten mehr als 100.000 Menschen in Deutschland mit einer Duldung. Sie waren damit permanent von einer Abschiebung bedroht. Wenngleich viele von ihnen seit Jahren in Deutschland lebten oder geboren waren und in ihrem "Herkunftsland" niemals eine Perspektive hatten, verwehrte ihnen der deutsche Staat ein sicheres Bleiberecht. Von den Bleiberechtsregelungen, die in den vergangenen Jahren beschlossen wurden, konnten in erster Linie diejenigen profitieren, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und ohne staatliche Unterstützung leben. 2006 hatten zunächst die Innenminister_innen der Länder ein Bleiberecht für die Personen beschlossen, die zum Stichtag am 17. November 2006 bereits seit mehr als acht Jahren beziehungsweise als Familie seit sechs Jahren in Deutschland lebten, überwiegend straffrei geblieben waren und ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern konnten. Auf dieser Grundlage erhielten knapp 24.000 vorher Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis. 2007 wurde durch den Bundestag eine gesetzliche Altfallregelung verabschiedet, die eine "Aufenthaltserlaubnis auf Probe" für zwei Jahre vorsah, wenn zwar noch keine Arbeit gefunden, dies aber aus Sicht der Behörden innerhalb der folgenden zwei Jahre zu erwarten war. Vorausgesetzt wurde ebenfalls, dass die Personen sich zum Stichtag, dem 1. Juli 2007, bereits acht beziehungsweise sechs Jahre in Deutschland aufgehalten hatten. Zwei Jahre später wurde offensichtlich, dass viele die erhoffte gesicherte Erwerbstätigkeit nicht finden konnten. Daraufhin wurde Ende 2009 die Altfallregelung um zwei Jahre verlängert. In wenigen Wochen, am Ende dieses Jahres, läuft die Aufenthaltserlaubnis für zahlreiche Menschen nun abermals ab. Nach Angaben von Pro Asyl droht etwa 20.000 von ihnen der Rückfall in die Duldung, weil sie keinen Arbeitsplatz finden oder zu wenig verdienen. Daneben leben weiterhin etwa 86.000 Menschen bereits jetzt – und 53.000 von ihnen seit mehr als sechs Jahren – nur geduldet in Deutschland, ohne eine realistische Aussicht auf einen gesicherten Aufenthalt zu haben.
Die Innenminister der Länder haben auf ihrer Konferenz in der vergangenen Woche in Wiesbaden den Betroffenen die Unsicherheit nicht genommen. Statt eine eigene Lösung zu präsentieren, verwiesen sie auf einen Gesetzesvorschlag des Landes Schleswig-Holstein, der Ende dieser Woche im Bundesrat verhandelt wird. Im Gegensatz zu den bisherigen Bleiberechtsregelungen enthält dieser Vorschlag zwar keine Stichtagsregelung und kann damit verhindern, dass die Thematik alle Jahre wieder diskutiert wird. Er schafft jedoch wiederum hohe Voraussetzungen für die Gewährung des Bleiberechts und verlangt von den Betroffenen, ihren Lebensunterhalt grundsätzlich eigenständig zu sichern.
Kenan Emini von der Kampagne :: Alle bleiben fordert dagegen, zunächst einmal mehr Unterstützung und Zeit: "Wenn man langjährig geduldet war und sich nicht fortbilden durfte, ist es fast unmöglich, in kurzer Zeit eine sichere Stelle zu finden." Ein Bleiberecht für kranke und alte Menschen sowie Alleinerziehende ist erst recht noch immer in weiter Ferne. Aus Sicht von Tschingis Sülejmanov von der Flüchtlingsorganisation :: Jugendliche ohne Grenzen ist diese Perspektivlosigkeit durchaus gewollt: "Indem die Menschen im Status der Duldung bleiben, werden sie unter Druck gesetzt, das Land zu verlassen. Stattdessen wollen wir endlich eine echte Bleiberechtsregelung, welche die Betroffenen von der ständigen Angst vor ihrer Abschiebung befreit." Umso grotesker mutet es an, dass bereits die bisherigen Bleiberechtsregelungen als "Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen" firmieren. Bernd Mesovic von Pro Asyl kritisiert es denn auch als moralisch höchst problematisch, dass man sich bislang allein an Nützlichkeitskriterien orientiere, und fordert eine pragmatische und vor allem humanitäre Lösung, die ihren Namen verdient.
Ebenso wenig humanitär, sondern vielmehr an der individuellen Verwertbarkeit ausgerichtet ist eine Regelung, die im Juli in das Aufenthaltsgesetz eingefügt wurde und eine Aufenthaltserlaubnis für Kinder und Jugendliche und sodann auch für deren Eltern vorsieht, wenn die Kinder erfolgreich die Schule besuchen. Mesovic sieht durch diese Regelung die Kinder einem erheblichen und inakzeptablen Druck ausgesetzt, denn "indem die Eltern von den schulischen Leistungen der Kinder abhängig sind, haften die Kinder für ihre Eltern."
Ebenfalls in der vergangenen Woche hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur sogenannten "Blue Card" verabschiedet, um die Zuwanderung von akademisch ausgebildeten Fachkräften zu erleichtern. Den neuen Aufenthaltstitel sollen Personen erhalten, die einen Hochschulabschluss sowie einen Arbeitsvertrag mit einem Jahresgehalt von mindestens 44?000 Euro vorweisen können. Die Gültigkeit ist zunächst befristet, erst nach zwei Jahren soll ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erteilt werden.
Ein unwiderruflicher Titel wurde derweil dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann zugesprochen. Im Rahmen der Innenministerkonferenz in Wiesbaden wurde der CSU-Politiker von "Jugendliche ohne Grenzen" als Abschiebeminister des Jahres 2011 ausgezeichnet. Die Wahl begründet Sülejmanov damit, dass Herrmann derzeit Abschiebungen in alle Regionen des Irak besonders forciere und zudem in keinem anderen Bundesland so viele Flüchtlingslager wie in Bayern angesiedelt seien. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern nahm er die Auszeichnung allerdings nicht entgegen.
Zuerst erschienen in: jungle-world.com, 15.12.2011, editiert von no-racism.net.