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[ 13. Jan 2012 ]

Menschenrechtsgerichtshof verfügte Abschiebungsstopp nach Ungarn

Seit Jahren gibt es Kritik an den schlechten Bedingungen für Flüchtlinge in Ungarn. Trotzdem wurden viele Menschen im Zuge des Dublin 2 Verfahrens dort hin abgeschoben. Nun stoppte eine vorläufige Maßnahme des EGMR erstmals eine Abschiebung aus Österreich in den Nachbarstaat.

 

"Die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) ist ein weiterer Beweis, dass das Dublin-System sich auf Annahmen stützt, die sich als unhaltbar erweisen," kommentiert Anny Knapp von der asylkoordination österreich die an die österreichische Regierung ergangene Anordnung, einen sudanesischen Asylwerber nicht nach Ungarn abzuschieben. Asylwerber haben eben nicht in allen EU-Staaten die gleichen Chancen auf ein faires und rechtsstaatlich korrektes Asylverfahren und eine menschenwürdige Behandlung. Davon aber geht die Dublin-II-Verordnung aus. In Ungarn werden AsylwerberInnen aber meistens monatelang in Schubhaft genommen, die Haftbedingungen entsprechen jedoch nicht den erforderlichen Standards. Viele erhalten nicht wie vorgesehen ein Asylverfahren in Ungarn, sondern werden auch nach Serbien weitergeschoben. Mitte Oktober letzten Jahres hat UNHCR in einer Stellungnahme an den Asylgerichtshof sich kritisch über die Situation von Asylwerbern in Ungarn geäußert. Der Asylgerichtshof hat daraufhin das Bundesasylamt zu ausführlichen Recherchen der Situation in Ungarn aufgefordert und den Verfahren aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Für den Sudanese, für den das Straßburger Gericht den Abschiebungsstopp erteilt hat, kam diese seit Oktober geänderte Entscheidungspraxis des Asylgerichtshofes zu spät, seine Abschiebung war schon im Mai beschlossen worden. "Die Asylbehörden nehmen kritische Berichte von NGOs oft nicht sehr ernst und vertrauen eher Auskünften, die von Behörden stammen", bemängelt Anny Knapp. Bis der EGMR gleich mehrere einstweilige Abschiebungsstopps nach Griechenland verfügte, wurden NGO Berichte, ja selbst jene des UNHCR, als zu wenig objektiv abgestempelt. Die Aussagen der Flüchtlinge über Mißhandlungen oder schlechte Haftbedingen werden in den Asylverfahren sowieso meistens ignoriert.

Der aktuelle Fall zeigt auch ein rechtsstaatliches Problem auf: wer nach einer negativen Dublin-Entscheidung einen neuen Asylantrag stellt, wird abgeschoben bevor es eine endgültige Entscheidung gibt und damit möglicherweise einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgeliefert.

Beim Dublin-System besteht jedenfalls dringender Reformbedarf. Nachdem bereits auf unbestimmte Zeit keine Überstellungen nach Griechenland mehr stattfinden, steht auch das Asylsystem in Italien und Ungarn in Frage. Deutsche Gerichte haben etliche Überstellungen nach Italien ausgesetzt, der EGMR hat in zwei österreichischen Fällen vor kurzem den Abschiebungsstopp angeordnet.

Das Ziel des Dublin-Systems, die Verantwortung für die Flüchtlinge innerhalb der EU solidarisch zu teilen, ist nicht erreichbar, wenn EU-Staaten mit Außengrenzen die Hauptlast zu tragen haben und sich durch menschen- und EU-rechtswidrige Behandlung von Flüchtlingen dieser Verantwortung entledigen. Es müßten auch die Bedürfnisse der Flüchtlinge besser berücksichtigt werden, indem beispielsweise auf ihre familiären Bindungen, Sprachkenntnisse oder andere Anknüpfungspunkte an ein bestimmtes Aufnahmeland Bedacht genommen wird.

Presseaussendung der asylkoordination vom 13. Jan 2012, :: asyl.at