Andreas Görg 2001 (Diskussion im Rahmen der Kampagne Österreich für Alle gleich)
Which side are you on, now Which side are you on? If you `re not a union man, which side are you on? (amerikanisches Folk/Gewerkschaftslied)
Allianzen für das Gute und schöne sind schnell geknüpft. Alle sind prinzipiell dafür und geben ihren Namen als TrägerInnen von Aktionen und Veranstaltungen her. Es stellt sich nur die Frage: Auf welcher Seite steht welche Gruppe im Konfliktfall. Leicht geknüpfte Allianzen sind leicht zu spalten. Gerade im Bereich Antirassismus gibt es ein breites Spektrum von Organisationen, die prinzipiell und unter anderem (sic!) auch einen antirassistischen Anspruch haben. Dieses Spektrum umfasst kirchliche, gewerkschaftliche, sozialdemokratische, liberale, grüne und vielleicht sogar manche christdemokratische Gruppen ebenso wie die defensiven und die partizipationsorientierten MigrantInnenorganisationen. Sobald die FPÖ einen rassistischen Furz lässt, sind alle diese Gruppen mit einem erbosten Statement zur Stelle. Sobald gleiche Rechte für alle gefordert werden, ist die Allianz schon deutlich kleiner und die politische Forderung dementsprechend deutlich leiser; von Forderungen nach positiver Diskriminierung, equality targets und Gleichstellung aller Menschen unter BeRücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse ganz zu schweigen. Dies hängt damit zusammen, dass die antirassistischen Ansprüche im Konfliktfall sehr bald hinter die etablierten Interessen zurückgestellt werden.
Zur Illustration mag das Beispiel der Allianz zwischen Wiener Wahl Partie und Demokratischer Offensive herhalten: Als sich die Gewerkschaften schon Anfang Februar unausgesprochenermaßen aufgrund des in den Plenas sich herauskristallisierenden Hauptslogans "Gleiche Rechte für Alle" aus der Mobilisierung für die große Kundgebung am Stephansplatz am 16.3.2001 zurückgezogen haben, gab es Impulse innerhalb der Vorbereitungsgruppe, die Kundgebung überhaupt abzusagen. (Es gab sogar eine e-mail-Aussendung mit einer "Absage", ohne einen Beschluss der Vorbereitungsgruppe oder gar des Plenums abzuwarten). Der Konflikt um den Hauptslogan sorgte bis wenige Tage vor der Veranstaltung für regelrechte Zerreissproben innerhalb der Vorbereitungsgruppe bzw. zwischen den beteiligten Organisationen. Symptomatischerweise wurden die Plenumsbeschlüsse zugunsten der Losung "Gleiche Rechte für Alle" nie offen in Frage gestellt und gleichzeitig wiederholt durch eigenmächtige Entscheidungen abseits des Plenums zu unterlaufen versucht. Die Position gegen "Gleiche Rechte für Alle" konnte im Plenum nicht offen vertreten werden. Eine solche Argumentation wäre als zutiefst illegitim empfunden worden und hätte deren VertreterInnen ins Abseits geführt. Daher suchten sich die etablierten Interessen subtilere Bahnen, um den antirassistischen Charakter der "gemeinsamen" Sache hintanzustellen und in dem für die etablierten Kräfteverhältnisse erträglichen Rahmen der unkonkreten und bloß moralischen Anklage (mit dem plakatierten Slogan: "Gesicht zeigen, Stimme erheben!") zu halten. Dabei wurde die gesamte Allianz aufs Spiel gesetzt. (Zum Glück hat die Allianz trotz der undemokratischen Querschläge gehalten und mit der gelungenen Veranstaltung am Stephansplatz rund um den prominent plazierten und artikluierten Hauptslogan einen sehr guten Ausklang gefunden. Wie intensiv die Auseinandersetzungen im Vorfeld waren, davon werden die Beteiligten allerdings noch bei gemeinsamen Heurigenabenden ihren Enkelkindern erzählen ;-)
Interessant dabei ist, wo die Zerreissprobe stattfindet? Wo wird die Spaltungslinie gesetzt? Warum wird der Konflikt z.B. nicht in die Reihen der Gewerkschaft hineingetragen? Sind die Reihen dort wirklich so dicht? Auch wenn ich diese Frage derzeit mit "Ja" beantworten würde, geht es generell darum, die Bruchlinie weiter in Richtung politischer Mitte zu verlagern. Die Allianz der WWP mit der Demokratischen Offensive ist dabei als kleiner Fortschritt gegenüber dem Platzen des Bündnisses im Vorfeld der großveranstaltung der Demokratischen Offensive vom 12. November 1999 beim Parlament und am Stephansplatz zu betrachten. Ein kleiner Schritt, aber immerhin: Das Verhalten der Demokratischen Offensive ist ein Gradmesser für die Stimmung im intellektuellen Vorfeld der Sozialdemokratie. Die Konzeption von "Österreich für Alle gleich" stellt einen neuen Anlauf der Allianzenbildung dar. Angefangen hat dieses Kampagnendach mit 3 Säulen: Antirassismus (Art. 7), Soziale Absicherung und Steuergerechtigkeit. Vor dem Sommer gabs die Bestrebung, Verbindungen zu anderen diskriminierten Gruppen zu suchen und weitere "Säulen" zu implementieren. für das frühe Zustandekommen einer "Frauensäule" fehlte es zunächst noch an der trägerinnenorganisation. Mittlerweile gibts konkrete Mitarbeitszusagen. Am letzten Plenum war auch eine Erwerbsarbeitslosenorganisation vertreten. Bisher nicht funktioniert hat der BRückenschlag zu den Behinderten, die sich in einer ersten Reaktion eher am Volksbegehren "Österreich Sozial" interessiert gezeigt haben. Ob eine Kontaktaufnahme mit Homosexuellen-Initiativen oder mit Selbstorganisationen von anderen systematisch diskriminierten Gruppen stattgefunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Sog des gerade voll anlaufenden Volksbegehrens "Österreich Sozial" und der intensiven Vernetzungsarbeit durch Asyl in Not im Bereich der MigrantInnenorganisationen hat es sich ergeben, dass das Kampagnendach Österreich für Alle gleich derzeit v.a. durch die Aktivitäten in der Antirassismus-Säule getragen wird, während sich die VertreterInnen der Säulen 2 und 3 - wenn ich das richtig mitgekriegt hab - ressourcenmäßig fürs Erste mal dem Sozialstaatsvolksbegehren zugewendet haben.
Deshalb und aus Gründen der autonomen Konzeption des Volksbegehrens unabhängig von einem Kampagnendach hat Österreich Sozial für Unsicherheit bei Österreich für Alle gleich gesorgt. Diese Unsicherheit ist aber auch ein Resultat des Mangels an einer grundsätzlichen Diskussion über die Konstruktion, Sinnhaftigkeit und mögliche Funktionsweise eines Kampagnendachs selbst. Diese Diskussion muss jetzt geführt werden und sich in der Organisation der weiteren Vorgangsweise niederschlagen, bevor sich Österreich für Alle gleich zu sehr auf eine Säule konzentriert und ebenfalls "autonom" unter Verzicht auf die Ursprungsidee zu laufen beginnt. Der Verzicht auf die Allianzenbildung würde die AktivistInnen im Antirassismusbereich auf die schon bestehenden Kreise beschränken und die Perspektive einer tragfähigen selbstbestimmten politischen Veränderung verbauen; bis zum nächsten hoffnungsfrohen Anlauf einer Allianzenbildung in einem neuen organisatorischen Rahmen. Umgekehrt muss uns bewusst sein, dass ein Kampagnendach nicht der Stein der Weisen ist und dass wir aus der Perspektive des Antirassismus wie auch aller anderen "Säulen" realistischerweise nur erwarten können, dass wir ein stückchen in Richtung unserer Gleichstellungs-Ziele weiterkommen. Dieses stückchen bemisst sich genau daran, wieweit es uns gelingt, die Bruchlinie der Allianzenbildungen, die politisch-diskursive Wasserscheide weiter in Richtung politischer Mitte zu verschieben.
Wie aber ist diese Verschiebung zu erreichen? Die historische Erfahrung, die wir aus dem Lichtermeer von 1993 ziehen können, ist jene, dass es geradezu kontraproduktiv ist, in die Allianz aller Guten gegen das rechtsextreme Böse einzusteigen. An der politisch-diskursiven Wasserscheide gegen Rechtsaussen mitzuarbeiten, bedeutet indirekt die Befestigung des Mainstream. Es resultiert eine Zementierung der vorherrschenden rassistischen (ebenso wie sexistischen, homophoben, behindernden, usw) Strukturen. Kritisch-emanzipatorischen Positionen werden angesichts der moralisch überfrachteten medial verstärkten Auseinandersetzung mit dem (personifizierten) BÃŒsen/Haider im Gewirr der sonstigen Diskurse nicht mehr gehört, oder gar als lÀstige QuerulantInnen wo möglich "geschnitten". Das haben wir im Anschluss an das Lichtermeer ja erlebt. Erst Ende der 90er Jahre hat sich die antirassistische Szene langsam erholt und ist wieder aus ihrer Ecke gekommen. Die Gesetzgebung in dieser Zeit war aus antirassistischer Perspektive fürchterlich. Alle Forderungen des F-Ausländervolksbegehrens sind von SPÖVP umgesetzt worden.
Wir sollten aus dieser Geschichte lernen, dass wir uns nicht gegen Rechtsaussen instrumentalisieren lassen und in dieser Richtung unsere Kräfte vergeuden dürfen. Vielmehr gilt es, gemeinsam an einer anderen politisch-diskursiven Wasserscheide für die Allianzenbildung zu arbeiten und die diskursiven Kräfte genau dorthin zu fokussieren. Die Positionen der Wasserscheide für oder gegen strukturelle Veränderungen in Richtung Gleichstellung sind jene Punkte, an denen die Auseinandersetzungen stattfinden müssen. Diese Auseinandersetzungen werden nicht mit Rechtsaussen sondern mit potentiellen Verbündeten geführt. Es geht um das Schmieden von stabilen Allianzen gegen den Status Quo und damit um ein Bekenntnis zur politischen Radikalität. Es geht um das Entdecken von Einbruchstellen in den Reihen der etablierten Interessenpositionen. Es geht darum, dem Mainstream das Vorfeld und der Hegemonie die Gefolgschaft abzugraben. Längerfristig geht es um die Entwicklung einer starken diskursiven Position, die als counterveilling power das Staatshandeln und die allgemeinverbindlichen Struktursetzungen deutlich in Richtung Gleichstellung drängen kann.
Wiewohl wir die Auswirkungen der 90er Jahre noch nicht überwunden haben, sondern sie gegenwärtig gerade in Form von Schwarzblau quasi ultimativ zu spüren bekommen, ist auch festzustellen, dass sich die antirassistische Szene aus dem Koma der 90er Jahre erholt hat und sich seit 1998 im Aufwind befindet. Die schrittweisen Erfolge in der Arbeit der letzten Jahre im Rahmen der Bunten, von ANAR, der Plattform für eien Welt ohne Rassismus, der wiener Integrationskonferenz, der BDFA, der WWP und jüngst im Rahmen der antirassistischen Säule von Österreich für Alle gleich basieren auf 2 einander ergänzenden Momenten: Einerseits wird die Vernetzung der kleineren Organisationen der Marginalisierten gesucht, um als Netzwerk mit den mainstreamnäheren Organisationen auf einigermaßen gleichberechtigter Basis in einen kritischen Dialog eintreten zu können. Die zentrale Frage in diesem kritischen Dialog ist stets: Auf welcher Seite steht ihr, wenn es um strukturelle Veränderungen gegen Diskriminierungen geht? Diese Aufforderung, eindeutig und unmissverständlich Stellung zu beziehen, muss an den politischen Aussagen der Aufgeforderten selbst festgemacht werden, damit sie nicht auf ihre Verbindungen zu den etablierten Interessengruppen schielend von Fall zu Fall herumlavieren.
Diese klare Positionierung zu erreichen und die Hin- und Hergerissenen mit unklaren Loyalitätsbeziehungen zu sicheren Verbündeten zu machen, darin besteht die politische Geschicklichkeit. Das wichtigste Instrument, das den systematisch diskriminierten Gruppen in diesem kritischen Dialog zur Verschiebung der politischen Wasserscheide zur Verfügung steht, ist jenes der delegitimierenden Kritik. Die authentische legitimationsentziehende Kritik seitens der Organisationen der Diskriminierten wirkt v.a. bei jenen, die ihr politisches Tun genau als Streben gegen Diskriminierungen legitimieren. Wiederum erfordert es politische Geschicklichkeit, neben der Kritik auch soweit diplomatisch zu bleiben, dass nicht persönliche Beziehungen so schwer beschädigt werden, dass eine Zusammenarbeit in einer Allianz später aufgrund der geschehenen Kränkungen nicht mehr möglich erscheint. Die Gräben, die durch die Kritik aufgerissen werden, müssen durch eine ausgestreckte Hand später wieder zu überwinden sein. Oft sind mit der politischen Auseinenandersetzung auch persönliche Grenzerfahrungen verbunden, die schmerzvoll sein können. Gerade wenn das eigene politische Engagement in tiefem Abscheu vor Ungerechtigkeit und Diskriminierung wurzelt, ist eine diesbezügliche Kritik nicht leicht zu ertragen und provoziert zunächst meist entrüstete Ablehnung oder beleidigten Rückzug. Reflexartig werden die eigenen Verdienste in der politischen Arbeit gegen den Vorwurf in die Waagschale geworfen, ohne auf den Vorwurf selbst einzugehen und die Auseinandersetzung an sich heranzulassen. Daher ist es auch notwendig, eine vom Moralischen entlastete Kultur des dialogischen Umgangs mit unseren ansozialisierten und unaufgearbeiteten diskriminatorischen Tendenzen zu entwickeln, damit so etwas wie solidarische Kritik möglich wird.
Für das Kampagnendach Österreich für Alle gleich liegt hier eine Menge an Arbeit vor uns. Die Auseinandersetzung mit dem Volksbegehren Österreich Sozial ist bereits angelaufen. Aus antirassistischer Sicht ist ein kritischer Dialog und eine eventuelle Allianzenbildung mit zumindest einem Teil des breiten Zusammenschlusses, der dieses Volksbegehren tragen soll, durchaus wünschenswert, insbesondere zumal damit ein weiterer diskursiver Schritt zur Ausrichtung einer künftigen Regierung (Sozialdemokratie, Gewerkschaften, Grüne) verbunden werden kann. Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob sich Österreich Sozial unter das Kampagnendach von Österreich für Alle gleich einordnet. Das Kampagnendach kann und soll Koordinationsfunktionen nicht für sondern nur parallel und ergänzend zu den bedeutenderen laufenden politischen Aktivitäten übernehmen. Einzelne Kampagnen sollen sich nicht unterordnen und auf die Geschwindigkeit des Kampagnendachs oder der anderen Säulen Rücksicht nehmen müssen. Vielmehr ist es die Aufgabe des Kampagnendachs, die Aktivitäten in den jeweiligen Säulen in Richtung der anderen Säulen zu kommunizieren und zu verflechten. Gerade aus dieser Kommunikation und (personellen) Verflechtung erwächst die Möglichkeit der solidarischen Kritik und der lenkenden Einflussnahme durch das Kampagnendach. Ein erster Erfolg in dieser Richtung war die rechtzeitige Änderung der Basistexte für Österreich Sozial zugunsten der Position der MigrantInnen. Was allerdings noch fehlt, ist eine ausgereifte Positionierung der antirassistischen und der anderen Säulen zu den Anliegen des Sozialstaatsvolksbegehrens. Ob sich daraus allerdings noch eine fruchtbare Diskussion angesichts der vorgelegten Geschwindigkeit von Österreich Sozial entwickeln kann, das wird wahrscheinlich durch kritischen Dialog erst zu erwirken sein.
Es gab auch den Versuch seitens einer Delegation der antirassistischen Säule, eine formelle Verknüpfung der Bemühungen rund um die Änderungen des Artikel 7 B-VG ("Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich") mit den von Österreich Sozial angestrebten Veränderungen des Art. 1 B-VG ("Österreich ist ein Sozialstaat") zu erwirken. Eine solche Verknüpfung wurde seitens Österreich Sozial abgelehnt, wohl aus dem Kalkül heraus, dass mit diesem großen Schritt eine vorschnelle Abstandnahme von Gewerkschaften und Sozialdemokratie von Österreich Sozial riskiert worden wäre. Eine solche Abstandnahme wäre auch nicht in unserem Interesse gewesen, weil es immer wieder auch um die Verwicklung von uns fernerstehenden Gruppen in Auseinandersetzungen geht, was nur nach deren Involvierung in ein gemeinsames Aktionsfeld möglich ist.
Die Frage, die sich jetzt aus antirassistischer Perspektive stellt, ist: Wie können sich die Organisationen der MigrantInnen ihrerseits erfolgreich in dieses Aktionsfeld involvieren, nachdem der Zug Österreich Sozial schon gehörig in die Gänge gekommen ist. Dasselbe gilt für andere Interessengruppen. Wenn uns dieser Zug davonfährt, wäre das nicht nur eine verpasste politische Chance. Vielmehr würde das bedeuten, dass sich rund um Österreich Sozial Allianzen bilden, bei denen der Antirassismusbereich nur durch fürsprecherInnen vertreten wäre. Die Bildung von solchen Allianzen ohne die Organisationen der MigrantInnen würde für letztere einen Rückschritt bedeuten. Wenn eine dem Status Quo näherstehende Allianz zustandekommt, wäre diese sogar als aktives politisches Hindernis in der Zukunft zu betrachten. Entsprechende Tendenzen müssen so früh wie möglich ganz offen kritisiert und bekämpft werden. Dabei sollten sich die Organisationen der MigrantInnen ihrer Legitimationsmacht bewusst sein und auch von ihr Gebrauch machen.