In den letzten Wochen sind einige neue Details rund um den Tod von Marcus Omofuma bekanntgeworden. Die Todesursache ist nach der Fertigstellung des Österreichischen Gutachtens plötzlich nicht mehr so klar. Niederländische ZeugInnen berichteten in einem Interview über ihre Einvernahme bei Gericht und ihre Beobachtungen im Flugzeug.
Der Gerichtsmediziner Christian Reiter übermittelte sein Gutachten an die Justiz und schaffte es, dieses so zu formulieren, daß Interpretationen in alle Richtungen möglich sind. Der Satz: " Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Tod und Verklebung ist mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nicht zu belegen" reichte der Kronenzeitung für die Seite 1 Schlagzeile "Omofuma ist nicht erstickt". Der Satz schließt einen Erstickungstod aber auch nicht aus, vor allem dann, wenn mensch beRücksichtigt, daß Reiter die Modalitäten der Abschiebung für "entscheidende Faktoren" für den Tod hält.(1) Das Gutachten von Gerichtsmediziner Reiter ist das zweite, das zum Tod von Marcus Omofuma angefertigt wurde. Das erste erstellte der bulgarische Gerichtsmediziner Stojcho Radanov unmittelbar nach Omofumas Tod. Dieser Arzt hatte die Leiche im Flugzeug gesehen. Sie wies laut Radanov "alle körperlichen Merkmale auf, die beim Tod durch Ersticken auftreten". Das Foto des toten Marcus Omofuma dient Radanov seither bei seinen Vorlesungen als Beispiel für einen "klassischen Erstickungstod". Auch die Obduktion brachte kein anderes Ergebnis. Radanov dazu (ineiner Reaktion auf Reiters Gutachten, in dem von einer Herzkrankheit die Rede ist): "Damit stand fest: Omofuma starb infolge einer mechanischen Erstickung. Selbst wenn er irgendeine Krankheit gehabt haben sollte, war dies nicht die Todesursache. Omofuma starb, weil er verklebt wurde."
Die Vermutung Reiters, Omofuma könnte sich durch seinen körperlichen Widerstand verletzt haben und deswegen gestorben sein (Lungenfettembolie), hält Radanov für ausgeschlossen. "Denn die Klebstoffreste, die wir gefunden haben, belegen eindeutig, daß Omofumas Mund zur GÀnze und ein Nasenloch zumindest zum Teil verklebt war. Und weil diese Anordnung Atemschwierigkeiten verursacht hat, versuchte Omofuma, Luft zu bekommen, und wurde unruhig. Daraufhin wurde er noch mehr verklebt. Dies führte dazu, daß der Blutfluß vom Kopf zum Brustkorb verhindert wurde und so langsam, aber sicher eine Erstickung eintrat. Als sich der Sauerstoffmangel weiter verstärkte, verfiel Omofuma in einen Krampfzustand. Dabei schlugen seine Beine gegen den Vordersitz. Was aussah als würde er sich wehren, war in Wirklichkeit sein Todeskampf."
Farid Rifaat, der Verteidiger der angeklagten Polizisten, versucht alles, Radanovs Gutachten herunterzumachen. Das "bulgarische Papier" weise "erhebliche MÀngel" auf und sei "nicht gleichwertig" mit dem Österreichischen Gutachten. Ob dieser Kritik sah sich Radanov, der seit Jahrzehnten als Gerichtsmediziner arbeitet und eine international anerkannte Kapazität ist, veranlaßt erstmals öffentlich Stellung zu nehmen. Dabei berichtete er nicht nur über sein Gutachten, sondern gab auch bekannt, daß er mehrmals von Österreichischer Seite unter Druck gesetzt worden war. Er wurde des Öfteren von VertreterInnen der Österreichischen Botschaft aufgesucht, die ihn zu Eile mahnten oder ihm Briefe übergaben, die mögliche Todesursachen in den Raum stellten. Reinhard März, der Chefarzt des Innenministeriums, schrieb in einem dieser Briefe: "Die dritte Frage für mich ist, ob Omofuma illegale Drogen genommen hat. Diese Frage wird von uns deshalb gestellt, da die meisten illegalen nigerianischen Leute in unserem Land involviert sind im Verkauf illegaler Drogen. Sollten illegale Drogen nachweisbar sein, ist für uns auch die Beantwortung der Frage, ob aus ihrer Sicht ein Zusammenhang bestehen kann, von wesentlicher Bedeutung." Heute gesteht März ein, daß die Vermutung, Omofuma sei an einer überdosis gestorben, nicht gerade auf der Hand lag.
Neue Details gibt es auch über den Ablauf der Abschiebung. Mit an Bord war damals eine 52-Köpfige holländische Tanzgruppe. Zwei Personen dieser Gruppe wurden, nachdem die Österreichkorrespondentin einer niederländischen Tageszeitung auf die ZeugInnengruppe hingewiesen hatte, von der Untersuchungsrichterin angehört. In einem Interview im Falter nahmen sie zu den Ereignissen Stellung. Kritik gab es von den ZeugInnen auch an den Umständen ihrer Einvernahme. Die Richterin zeigte sich an den Aussagen nicht sonderlich interessiert und konzentrierte sich hauptsächlich darauf festzustellen, ob die Nase Omofumas verklebt war. Die Aussage einer Zeugin darüber fand sich im Protokoll dann jedoch einigermaßen verdreht wieder. Ihre Beobachtung, daß die Nasenflügel durch das straff angezogene Klebeband so angespannt waren, daß nicht mehr die ganzen Nasenlücher frei waren, wurde zu: "Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob nicht vielleicht ein Teil der Nasenlücher verklebt war, es war aber mit Sicherheit zumindest immer ein Teil der Nasenlücher frei." Bei Farid Rifaat wurde daraus: "Eine der holländischen ZeugInnen hat ausdrücklich deponiert, daß die Nasenlücher Omofumas frei von Klebebänder geblieben sind." Die Vorfälle im Flugzeug waren für viele der NiederländerInnen so schrecklich, daß sie noch heute in psychologischer Betreuung sind. Etliche machen sich große Vorwürfe, nicht eingegriffen zu haben. Sie berichten von den Vorgängen im Flugzeug: Omofuma war bereits, als die Polizisten in ins Flugzeug brachten mit mehreren Schichten Klebeband bewegungsunfähig gemacht.
Im Flugzeug wurde er vom Unterleib bis knapp unter die Nase mit dem Klebeband umwickelt und an den Sitz geklebt. Um das Klebeband über das Kinn noch fester anziehen zu könne, drückte ein Polizist den Kopf Omofumas hinunter. Sein Kollege schnÃŒrte den bereits völlig mit Klebeband umwickelten körper noch zusätzlich mit einem Plastikgurt an den Sitz. Beim Anspannen stemmte er sich gegen den Sitz und lachte seinem Kollegen zu. Die ZeugInnen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits das Gefühl, daß Omofuma im Koma ist und fürchteten, daß er stirbt. Die Polizisten wirkten dagegen "stoisch und gefaßt", keine Spur von überforderung. für sie schien die Situation Routine zu sein. Einmal sagten sie: "Wir müssen das leider manchmal machen."
Anmerkung:
(1) Unter der erwähnten Kronen Zeitung Schlagzeile ist übrigens ein großes Bild des an der Pfote verletzten Polizeihundes "Marco" samt zweier PolizistInnen abgebildet. Die Bildunterschrift klärt uns auf, daß sich der Polizeihund bei der Verbrecherjagd verletzt hat.