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[ 25. Oct 2019 ]

Erinnerung an die Gründung von no-racism.net

Ausschnitt aus der Ausstellung von no-racism.net, 24. Oktober 2019

20 ½ Jahre für eine Welt ohne Rassismus - gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

 

Es ist eine Weile her, als im Mai 1999 einige Menschen zusammen kamen, um ihre teilweise vereinzelten Kämpfe gegen Rassismus zu vernetzen. Der Grund dafür war die Ermordung Marcus Omofumas im Zuge einer Abschiebung am 1. Mai 1999. Es waren die Umstände seines Todes, die es den Behörden schwer machten, die Tat dreier Fremdenpolizisten aus Österreich zu verheimlichen. Denn anders als sonst üblich wurden die in zivil reisenden Killer diesmal festgesetzt. Der bei der Zwischenlandung herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den Tod [durch Ersticken] feststellen - Mund und Nase des Toten waren mit mehreren Schichten Paketklebeband verschlossen worden. Die Spuren der Misshandlungen waren eindeutig und es gab mehrere Zeug*innen, die diese bestätigten.

Die Abschiebung Marcus Omofumas sollte eigentlich bis nach Nigeria gehen, doch der Gefangene starb bereits einige Zeit vor der Zwischenlandung am Flug von Wien nach Sofia.

Die Beamten aus dem sich als "fortschrittlich" und die Menschenrechte einhaltend darstellenden Österreich wurden im als "rückschrittlich" gesehenen Osten Europas verdächtigt, am Tod von Omofuma schuld zu sein. Ein Fall, der das Interesse der internationalen Medien hervorrief und in Österreich tagelang die Schlagzeilen der Medien füllte.

Die im Jahr 1998 von der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung initiierte Kampagne 'kein mensch ist illegal' hatte die Website www.illegalisiert.at. Dort wurden anfangs Informationen zum Tod von Marcus Omofuma dokumentiert.

Nach Abschluss der Kampagne wurde illegalisiert.at von der Plattform für eine Welt ohne Rassismus übernommen und in no-racism.net umbenannt. Die alte Adresse blieb 20 Jahre aktiv, ist erst seit kurzem nicht mehr erreichbar.


"Die bringen uns einfach um!"


Bereits in den Jahren und Monaten davor kam es zu zahlreichen rassistischen Polizeiübergriffen in Wien. Die Bilder, die via Medien verbreitet wurden, erzeugten verstärkte Aufmerksamkeit. Schon wenige Stunden nach Bekanntwerden des Todes von Marcus Omofuma gab es erste spontane Proteste in Wien. Viele Leute, Aktivist*innen aus diversen antirassistischen Gruppen und vor allem die Schwarzen Communities forderten gemeinsam die Aufklärung des Todes von Marcus Omofuma sowie das Ende von Polizeigewalt und Abschiebungen.

Am Tag nach dem Bekanntwerden traf sich ein bunter Haufen, um zu beraten, was weiter getan werden soll. Viele hatten sich nie zuvor gesehen, doch die Bemühungen aus verschiedenen Richtungen, die diversen antirassistischen Proteste in Wien zu vernetzen, trugen nun ihre Früchte. In anfangs täglichen Plena wurde viel diskutiert und geplant, begleitet von unzähligen kleineren und größeren Protesten, die es sogar auf die Titelseite diverser Tageszeitungen schafften. Die Plattform für eine Welt ohne Rassismus war geboren und diente von nun an für die kommenden Jahre als die zentrale antirassistische Aktionsplattform in Wien - und unterschied sich von vielen anderen vorhergehenden Versuchen. Denn die sonst häufige Trennung zwischen den "Einheimischen" und den "zugereisten" Bürger*innen, zwischen weißen und Schwarzen Aktivist*innen, war weitgehend aufgehoben. Es war ein gemeinsamer Kampf, was den Protesten besondere Stärke verlieh.

Der antirassistische Protest in Wien und darüber hinaus war plötzlich für alle sichtbar und es gelang sogar vorübergehend, den Abschiebekonsens in Frage zu stellen.


Staatliche Repression


Doch auch die Gegner*innen dieser kollektiven Bewusstseinsverschiebung schliefen nicht: Der Staatsapparat, insbesondere die Polizei und deren Bosse in Politik und Exekutive, wie Innenminister Karl Schlögl, Sektionschef Manfred Matzka, Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Michael Sika, der Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl und Co. Insbesondere die Aktivist*innen der Black Communities gerieten ins Visier der Behörden. Denn deren seit Monaten stattfindende Organisierung "gegen den rassistischen Polizeiterror" in Wien gefiel den wohl durch ein rassistisches Weltbild verbundenen Beamten und Staatsdiener*innen ganz und gar nicht. So wurde ein "großer Lauschangriff" gestartet, in dessen Rahmen auch mehrere Aktivist*innen observiert wurden. Ein angeblich "nigerianischer Drogenring" wurde konstruiert und am 27. Mai 1999 rückten mehr als 800 Polizist*innen zum bisher größten Polizeieinsatz der Geschichte der 2. Republik aus, zur "Operation Spring". Allein an diesem Morgen wurden mehr als 100 Personen verhaftet. Bei späteren Operationen kamen viele weitere Schwarze Menschen dazu, die allesamt des Halndels mit Drogen verdächtigt wurden. Medien und ein Innenminister, der sich weigerte, Verantwortung für den Tod von Marcus Omofuma zu übernehmen und nicht zurücktrat, arbeiteten Hand in Hand bei der Konstruktion des Dealernetzwerkes.

Der politische Widerstand wurde durch die Operation Spring massiv geschwächt. Viele Aktivist*innen waren eingeschüchtert, einige wurden verhaftet. Die rassistische Hetze und die gleichzeitige Distanzierung der vor allem bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit stellten den Abschiebekonsens wieder her. Doch der Kampf für eine Welt ohne Rassismus und gegen alltägliche wie staatliche Rassismen ging weiter - und war immer mit Polizeirepression konfrontiert.

Als im Jänner 2000 zu einem Alarmtrommeln gegen Rassismus am Ballhausplatz aufgerufen wurde, war die Plattform für eine Welt ohne Rassismus auf eine relativ überschaubare, wenngleich aufgrund von Stahlfässern als Trommeln sehr laute und gut vernetzte Gruppe geschrumpft. Nur wenige Wochen später, Anfang Februar 2000, geschah etwas, das den Protesten der Plattform neuen Rückenwind gab und 1000e Aktivist*innen und besorgte Bürger*innen bewegte.


Widerstand


Im Oktober 1999 gab es Nationalratswahlen. Wegen der politischen Verantwortung des amtierenden SPÖ-Innenministers Karl Schlögl für den Tod von Marcus Omofuma war es der SPÖ nicht möglich, sich wie sonst üblich als politische Kraft gegen Rassismus zu positionieren. Stattdessen wurde gegen den SPÖ=ÖVP=FPÖ Rassismus protestiert. Auf Brigitte Ederer, Vertreterin der SPÖ auf der Bühne einer Veranstaltung gegen Rassismus vor dem Parlament wurden Eier geworfen. Die SPÖ war zwar nach den Wahlen weiterhin stimmenstärkste Partei, doch Wolfgang Schüssel mit seiner auf den 3. Platz zurückgefallenen ÖVP entschied sich im Februar 2000 für eine Koalition mit der FPÖ. Von Anfang an war diese Regierung mit massivem Widerstand konfrontiert.

no-racism.net, das nur kurz zuvor online gegangen war, wurde zu einer zentralen Informations- und Vernetzungsplattform gegen die Schwarz-Blaue Koalition im Jahr 2000. Mehr als 20 Jahre verschrieb sich die Online-Plattform dem Kampf für eine gerechte Welt. Zuerst als Website der Plattform für eine Welt ohne Rassismus, nach deren Auflösung als eigenständiges Projekt. Zudem hat no-racism.net stets als Dach für diverse Online-Aktivitäten gegen Rassismus und für zivilgesellschaftlichen Widerstand fungiert.

Es ist an der Zeit für wirkliche Ver-end-erungen, und es ist, wenn auch schweren Herzens, an der Zeit, die Dokumentation von mehr als 20 Jahren Widerstand für die Nachwelt zu erhalten. Ab November 2019 wird es keine neuen Beiträge mehr geben, die Seite bleibt jedoch als Archiv erhalten :: no-racism.net