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[ 07. Oct 2004 ]

Subversion und Intervention

European Homecare in Traiskirchen

Im Rahmen eines Seminars an der Uni Wien hielten musikbegeisterte StudentInnen Ende Jänner ein Referat zum Thema "Privatisierung und ökonomisierung von Gewalt" und wählten als Praxis bezogenes Beispiel den privaten Dienstleistungsbetrieb für Flüchtlingsbetreuung European Homecare.

 

"Man muss diese versteinerten verhältnisse dadurch zum Tanzen bringen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt." (Karl Marx)

Die verhältnisse zwar nicht zum Tanzen aber doch ein wenig aus dem Takt gebracht haben StudentInnen jene Firma, die seit gut einem Jahr das Flüchtlingslager Traiskirchen verwaltet.

Im Rahmen eines Seminars am Institut für Politikwissenschaft Wien hielten musikbegeisterte StudentInnen Ende Jänner ein Referat zum Thema "Privatisierung und ökonomisierung von Gewalt" und wählten als Praxis bezogenes Beispiel den privaten Dienstleistungsbetrieb für Flüchtlingsbetreuung European Homecare (EH). Neben einer politikwissenschaftlichen Analyse der Arbeit von EH wurde dessen Unternehmensphilosophie in Form eines Rollenspiels dargestellt. Sowohl das Rollenspiel als auch der Arbeitsbericht wurden auf der Homepage des Seminars veröffentlicht. Die Reaktion des Objekts der Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Im April kontaktierte EH das Institut für Politikwissenschaft und forderte die Rücknahme der Veröffentlichung. Sollte dies nicht geschehen, so die Botschaft der Intervention würden rechtliche Schritte unternommen werden. An einer Gegendarstellung auf der Seminarhomepage, welche vom Institut angeboten wurde, war European Homecare nicht interessiert.

Die Angst vor dem eigenen Spiegelbild


Nun zu den Gründen welche zur Intervention von EH führten. Zuerst sorgte das Rollenspiel für große Verstimmung, da hier der Eindruck entstehen könnte, es handelte sich hier um ein tatsächliches Interview. Offensichtlich trafen damit jene StudentInnen mitten ins Schwarze, denn wie sonst könnte das Unternehmen auf die Idee kommen, dass der in der überschrift deutlich als Rollenspiel gekennzeichnete Text ein reales Interview wäre. Die Angst vor Verwechslung scheint aus der frappanten Ähnlichkeit mit der Realität zu resultieren, einer Realität, in der Kritik sofort als Rufschädigung halluziniert wird.

Die rechtliche Haltbarkeit eines Rollenspiels scheint tatsächlich eine unbestimmbare Grüße zu sein wie eine Rückfrage bei rechtskundigen Menschen ergab. Eine klare und eindeutige Stellungnahme wollte niemand abgeben, da sie sich das Rollenspiel bzw. den Sachverhalt ganz genau ansehen müssten, was einige Zeit in Anspruch nehmen würde und es sich bei einem Rollenspiel wirklich um einen Grenzfall handelt, der allerdings zu einer sehr interessanten Gerichtsverhandlung führen hätte können.
Angesichts der Unterschiede, hier florierendes Unternehmen im Sold der Regierung und dort ein von eben dieser zur Weltklasse kaputt gespartes Institut wird die abstrakte Gleichheit schnell zur realen Ungleichheit. Die Frage, ob nun dieses Rollenspiel irreführend sei oder nicht, von einem Gericht, entscheiden zu lassen, wäre sicherlich interessant gewesen. Dass das Institut hier dieses zweifellos vorhandene Risiko nicht eingehen wollte, ist ebenso bedauerlich wie verständlich.

Allerdings bleibt die Tatsache, dass kritische Berichte über EH in anderen (meist dezidiert linken) Medien nicht mit derlei Interventionen belangt werden, die Tatsache der Intervention, das Referat und das Rollenspiel können seit Mai auf "no-racism.net" nachgelesen werden. Daher ist zu vermuten, dass Kritik an EH aus dem wissenschaftlichen Kontext gedrängt werden soll. Die Wissenschaft und ihre Lehre sind daher nur frei, insofern sie nicht in einer Kritik an EH und dessen Arbeit "ausartet". Wer also aus der Reihe tanzt oder dagegen seine/ihre Stimme erhebt, muss damit rechnen zu Recht gewiesen zu werden.

European Homecare und die Gewalt


Derselben Halluzination dürfte EH zum Opfer fallen, wenn es sich um den Begriff der Gewalt handelt. Bei der telephonischen Intervention am Institut wurde, neben dem Rollenspiel, auch die Verwendung des Wortes Gewalt im Referatstitel kritisiert, da EH ja keine gewalttätige Organisation sei. Auf den Hinweis, dass es außer der physischen Gewalt auch noch andere Gewalten wie z. B. die Staatsgewalt gäbe wurde von Seiten European Homecare`s nicht reagiert. Allein die Tatsache, dass die Verbindung EH und Gewalt reflexhaft negiert wird, zeigt die Bedeutung der Realitätsverweigerung als Selbstschutz und Selbstbetrug. Gewalt wird im bürgerlichen Weltbild nur in ihrer physischen Form als solche anerkannt. Doch ohne Gewalt wäre das, was EH gemeinsam mit dem Österreichischen Staat in die Tat umsetzt, nämlich das Asylrecht oder besser gesagt das, was noch davon übrig geblieben ist, ein bedeutungsloser Stapel Papier. EH ist somit privater Teilhaber am staatlichen Gewaltmonopol.

Auftraggeber und damit erster Kunde ist der Staat, die Auftragslage ist "rosig", denn die dafür notwendigen zweiten "KundInnen" des Unternehmens sind Zwangskundschaft. AbnehmerInnen der der Dienstleistungen von EH sind angesichts der herrschenden verhältnisse garantiert. Erster Kunde (Staat) beauftragt Unternehmen zur Verwaltung von Asylbewerber. Kundenservice bei letzteren ist nicht notwendig, da Laufkundschaft, und laufen musste sie sprichwörtlich, nämlich flüchten. EH arbeitet eng mit den zuständigen Behörden, u.a. Fremdenpolizei, zusammen, um den hohen Erwartungen des Auftraggebers, wie gesagt, der Kunde ist Künig, gerecht zu werden.

Menschenverwaltung


Gegründet wurde European Homecare 1989 in Essen und etablierte sich relativ schnell als einer der größten privaten Anbieter von Dienstleistungen im "sozialen Bereich". Das einstige Familienunternehmen betreut heute eigenen Angaben zu Folge ungefähr 6000 AsylwerberInnen und Flüchtlinge in Deutschland und Österreich. Im Oktober 2002 wurde EH vom Österreichischen Innenministerium mit der so genannten Perspektivenabschätzung betraut, die die MigrantInnen über "Zukunftschancen" aufklären soll. Dass diese "Perspektivenabschätzung" vor dem Hintergrund der Österreichischen Asylpolitik de facto nur noch eine humanistisch verschleierte Vorstufe der Zwangsabschiebung ist, zeigt eine interne Information des Innenministeriums an EH, die im November 2002 an die Öffentlichkeit kam. Dort heißt es in Bürokratischer und dennoch eindeutiger Diktion, dass es nämlich nicht schaden würde, "wenn bei den Beratenen [AsylbewerberInnen] der Eindruck eines zügig abgewickelten Asylverfahrens entstünde, an dessen (baldigem) Ende (erwartungsgemäß rechtskräftige Antragsabweisung) die entsprechenden fremdenrechtlichen Verfügungen bzw. Zwangsmaßnahmen stehen".

Seit Juli 2003 ist EH nun auch mit der Flüchtlingsbetreuung in Österreich, d.h. für den Betrieb der vier Bundesbetreuungseinrichtungen in Traiskirchen, Thalham, Bad Kreuzen und Reichenau zuständig. Die Tatsache, dass ein Gewinn orientiertes Unternehmen hier das Angebot eines Konsortiums von Hilfsorganisationen mit einem Dumpingpreis bei weitem unterbot, lässt Furchtbares für die ohnehin katastrophale Situation in diesen Einrichtungen ahnen.

P.S.: Da auch wir uns wissenschaftlichen Kriterien verpflichtet fühlen, möchten wir die LeserInnen noch darauf hinweisen, dass naTürlich zahlreiche Referenzschreiben und Zertifizierungen nach DIN-Norm die Qualität der Einrichtungen und der Arbeit von EH dokumentieren. Und das Essen ist auch gut, denn, keine leeren Floskeln bitte, der Mensch ist immerhin das maß aller Dinge, alles nur halb so schlimm. Noch einmal zur Gewalt, die Entscheidung, ob die angedrohten rechtlichen Schritte gegenüber dem Institut für Politikwissenschaft nun auch ein Akt der Gewalt sind oder nicht, wollen wir dem/der LeserIn überlassen.

Gedanklicher Kommentar von Peter Schörg:


Einfach mal nachgedacht
.
3784 Zeichen über einen Zustand, oder doch über ein verhältnis? Die verhältnisse zwar nicht zum Tanzen gebracht aber ihnen doch auf die Zehen gestiegen, offensichtlich. Zumindest aber einen Zustand ausgelöst. Das verhältnis? privatisierte Flüchtlingsbetreuung. Der Zustand? Intervention des privaten Dienstleisters. Oder ist die Privatisierung und ökonomisierung von Gewalt der Zustand und Interventionen der/ des privaten Gewaltanbieters nur Zubehör des Zustands?
Gewaltanbieter, privat, könnte Teil eines Inserats sein.

"Zu verkaufen?/ mieten/ pachten: Teil eines Monopols, gesucht: privater Gewaltanbieter, gutes Einkommen garantiert da Abnehmer der Dienstleistung in Zwangslage, Kundenservice nicht notwendig da Laufkundschaft"
laufen musste Sie, die Kundschaft, von zu hause weg. Frage: "sind Asylsuchende Kunden?"

der andere, der, der hier einen Teil seines Monopols vermietet, verpachtet, verkauft? auch eine Kundschaft?
Ja?, also doch Kundenservice notwendig?, sogar Stammkundenservice?
Wie weit geht Stammkundenservice?, bis zur übernahme der Rolle des "Intervenators"?
Oder doch nur den eigenen Ruf verteidigt?, obwohl, "ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.", wozu also intervenieren, was soll hier gerettet werden, der eigene Ruf oder der des Monopolverpachters?

der eigene (Selbstanschauung) Ruf: "Familienunternehmen, privatwirtschaftliche Grundsätze, schlanke Verwaltung = kurze Entscheidungswege, betriebswirtschaftliche Erfahrung gewährleistet einen effizienten und verantwortungsbewussten Umgang mit öffentlichen Mitteln."

Referenzschreiben dokumentieren Zufriedenheit, überzeugt davon die Betreuung und Unterbringung anderer sozialer Randgruppen übernehmen zu können, zertifiziert nach DIN und das Essen ist auch gut, denn, keine leeren Floskeln bitte, der Mensch steht im Mittelpunkt.

Mensch, welcher Mensch, wer definiert?, Mensch nur dann wenn Kunde?, wobei, noch immer nicht geklärt, wer ist hier der/die Kunde?, und, ist der, der kritisiert auch ein Mensch?

Was ist "Kritik? Rufschädigung? oder ist Kritik nur dann gültig wenn nach DIN zertifiziert?
Gewalt, was ist Gewalt? Galtung: "direkte, strukturelle, kulturelle",
oder Sloterdyk: " In-der-Welt-sein-heißt-in-der-Gewalt-sein"
warum also die Intervention, warum also dass sich daran stoßen an der Erwähnung des Wortes Gewalt, noch nichts (anscheinend) gehört von Staats-"gewalt", aha.
Rollenspiel, fiktiv, real, Satire, Kunst, kritikwürdig, kritikfähig, Kritikinstrument, kredit- und rufschädigend, rechtsfreier Raum?, Grauzone. Vorspiegelung der Realität?, wenn ja, Kompliment denn dann offensichtlich gut gemacht,
ist Intervention Gewalt?, wenn ja, passt, Auftrag ausgeführt, denn immerhin, einen Teil des Gewalt(monopols) gepachtet,
ist ein Rollenspiel Gewalt?, wenn ja, passt auch, nur so manchem nicht, weil ja nichts gepachtet, also kein Recht, weil Gewalt ja doch Monopol, oder Recht nur dann wenn bezahlt?, der, der zahlt schafft an, schon wieder.

Universität, Orchidee, "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei", frei ist wer erkennt? Intervention eine Freiheit?, Kritik eine Freiheit?, ist Flucht das Resultat der Freiheit des Erkennens der Notwendigkeit?

Intervention als Selbstschutz, der Ruf. verhältnisse müssen bewahrt werden und für die Zustände braucht`s einen Ruf, einen guten. warum?

Kritik als Selbstschutz vor den verhältnissen, nicht vor den Zuständen.
Schon gesagt, Zustand oder verhältnis?, private Gewaltanbieter betreuen private Flüchtlinge = eine horizontale Ebene, weil beide privat?, kann ein Flüchtling nicht privat also staatlich sein? und, kann ein Flüchtling intervenieren?

Universität, Freiraum, Telephon, Intervention, Gegendarstellung keine, rechtliche Schritte (Freiheit des Rechtsstaates), Suchmaschine (=Information), entfernen, Institut guter Ruf, schon wieder


Dieser Text wurde von Peter Schörg und Matthias Falter für die monatlich erscheinende Zeitschrift "Progress" verfasst. Unter dem Titel "Die Gewalt-Verwertung GmbH" ist er dort im Oktober 2004 in einer gekürzten Version erschienen.