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[ 15. Jun 2005 ]

Innen und aussen

Vor zwanzig Jahren wurde das Schengener Abkommen unterzeichnet. Nach dem Referendum vom Wochenende wird ihm auch die Schweiz als letzter westeuropäischer Staat beitreten.

 

Schengen steht "unmittelbar für die Festung Europa", sagt Roland Röder von der "Aktion 3. Welt Saar". Bei dem Namen des Abkommens, durch den das luxemburgische Dorf Schengen in ganz Europa berühmt wurde, denkt er weniger daran, dass die Grenzkontrollen für die bürger des Schengen-Raumes wegfielen. Im Vordergrund stehen für ihn die Folgen aus der Abschottung der aussengrenzen. "Nachdem es in Kraft getreten war, sind die ersten Flüchtlinge an den aussengrenzen umgekommen."

"Abschiebung ist Mord", stand auf dem Transparent, das Röder im Juni 1985 am Ufer der Mosel den Regierungsvertretern entgegenhielt, die damals auf der "Princesse Marie-Astrid" tagten. Auf dem einzigen luxemburgischen Ausflugsschiff diskutierten die Mitglieder der Schengen-Kommission über die Realisierung des Abkommens. An der Anlegestelle der "Marie-Astrid" hatten sich etwa zwanzig Demonstranten aus Deutschland und Luxemburg zu einer Mahnwache versammelt. Unter dem Motto "Europa grenzenlos - unbegrenzt asylfeindlich?" richtete sich der Protest vor allem gegen die "Harmonisierung des Asylrechts auf niedrigstem Niveau".

Als am Donnerstag vergangener Woche in Schengen der 20. Geburtstag des Abkommens gefeiert wurde, störten keine Transparente oder Flugblattverteiler die Zeremonie. Zur feierlichen "s"©ance acad"©mique" erschienen neben dem großherzog Henri und dem luxemburgischen Justizminister Luc Frieden auch der EU-Kommissar Franco Frattini sowie die Luxemburger Militärkapelle.

"Kein Grund zum Feiern", kommentiert Karl Popp von der Organisation Pro Asyl knapp in einer Presseerklärung. Innerhalb des Schengenlandes sei die Freizügigkeit mit einem hohen Preis bezahlt worden: "über 5 000 Flüchtlinge starben in den letzten zehn Jahren an den hochgerüsteten Europäischen aussengrenzen."

Dabei begann auf den ersten Blick alles ganz harmlos. Am 14. Juni 1985 beschlossen Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten, ihre Binnengrenzen für den Personenverkehr zu öffnen. Damit war allerdings eine ganze Reihe von maßnahmen verbunden, mit denen sich die betreffenden Staaten gegen unerwünschte Einwanderer abschotten wollten. "Es war schwierig, die Dimension des Abkommens zu vermitteln", erinnert sich Röder. "Wir versuchten rechtzeitig zu begreifen, was da auf uns zukam." Innerhalb der Aktionsgruppen gab es durchaus unterschiedliche Vorstellungen über die Kampagne gegen das Schengener Abkommen.

"Beispielsweise sorgte die Forderung "Grenzen auf für alle" für Diskussionen", berichtet Richard Graf von der "Action Solidarit"© Tiers Monde" aus Luxemburg. Er koordinierte 1988 die Vorbereitungen zur ersten grenzüberschreitenden Aktion. "Diesen Grundsatz wollten nicht alle mittragen." Manche lehnten das Schengener Abkommen prinzipiell ab, andere wollten es entschärfen, um das Schlimmste zu verhindern.

Die Regierungen stritten derweil über das, was offiziell als "polizeiliche Kompensationsmaßnahmen" für den Wegfall der Grenzkontrollen bezeichnet wurde. Gemeint waren damit die Visa- und Asylbestimmungen, die länderübergreifende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz sowie die gründliche Sicherung der aussengrenzen. für diese verbesserte Kooperation hatte die Arbeitsgruppe I, bestehend aus Polizei- und Sicherheitsexperten, das Konzept des ersten transnationalen Verbundnetzes für den polizeilichen Datenaustausch in Europa ausgearbeitet, das unter dem Namen "Schengener Informationssystem" Bekanntheit erlangen sollte.

Der Mauerfall und die Unklarheiten über den Charakter der deutsch-deutschen Grenze und den Status der DDR-bürgerInnen erschwerten die Verhandlungen. Die Öffnung des Schengenraumes wurde ein ums andere Mal verschoben; trotz großspuriger Ankündigungen blieben die Grenzen weiterhin geschlossen. 1990 wurde schließlich das "übereinkommen zur DurchFührung des Schengener Abkommens" (Schengen II) unterzeichnet.

Bis zur so genannten Inkraftsetzung dauerte es noch einmal fünf Jahre. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich außer großbritannien alle EU-Staaten dem Abkommen angeschlossen. Die zehn neuen EU-Staaten werden frühestens im Jahr 2007 dem Schengener Informationssystem angeschlossen sein. Die Voraussetzung ist auch hier in erster Linie die Abschottung. Sie müssen bis dahin nachgewiesen haben, dass die neuen aussengrenzen ausreichend abgesichert sind.

In den alten EU-Staaten ist Schengen längst Alltag und trifft kaum noch auf Widerstand. Das liegt auch, meint Richard Graf, an der zunehmenden Arbeitsteilung zwischen den NGO. "Die speziellen Hilfsorganisationen" seien heute "mit den realen Problemen der Flüchtlinge, etwa den Abschiebungen" beschäftigt. "Natürlich sind das Probleme, die das Schengener Abkommen mit sich bringt, doch sie werden nicht mehr als solche angesehen."

Die große Opposition gegen das Schengener Abkommen raufte sich indessen außerhalb der EU-Grenzen zusammen. Vergeblich, denn die Mehrheit der Schweizer, die am Referendum teilnahmen, stimmten am Sonntag dafür, dass die beiden bilateralen Abkommen mit der EU, "Schengen" und "Dublin", in Kraft treten sollen. Mit 54,6 Prozent lag die Zustimmung deutlich höher, als die Umfragen prognostiziert hatten. Mit populistischen Sprüchen wie: "Schengen bringt mehr Kriminelle und mehr Arbeitslose", hatte beispielsweise die rechte Schweizerische Volkspartei vor einem Beitritt gewarnt. Diese Parolen scheinen vor allem in der deutschsprachigen Schweiz Gehör gefunden zu haben. In der Region lehnten alle Kantone bis auf sechs das Abkommen ab, während die französischsprachige Westschweiz geschlossen dafür stimmte.

Neben den populistischen Sprüchen der Rechtskonservativen hatte es die Linke schwer, ihre Inhalte zu vermitteln. Sie argumentierte vor allem gegen die "Festung Europa" und den damit verbundenen "Abbau der Asylrechte und die Zunahme der Kontrollen im Landesinneren". Sie wurden aber nur als Teil des Lagers wahrgenommen, das Schengen ablehnte, obwohl ihre Argumente wenig mit den anderen Gegnern gemein hatten.

Am Ende waren vor allem die Regierungsvertreter der EU-Staaten zufrieden. Angesichts der zunehmenden Europa-Skepsis sei das Votum der Eidgenossen ein wichtiges Signal, kommentierte Schily das Ergebnis des Referendums.

Innerhalb der EU geht Schengen derweil in die dritte Runde. In der vergangenen Woche unterzeichneten die Justizminister von sieben EU-ländern (Benelux, Deutschland, Österreich, Frankreich und Spanien) im fürstensaal der ehemaligen Benediktinerabtei in Prüm einen neuen Vertrag. Bundesinnenminister Otto Schily sprach von einem "historischen Abkommen", und Luxemburgs Justizminister Luc Frieden lobte den "gewaltigen Schritt nach vorn".

Es geht dabei im Wesentlichen um eine engere Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich, speziell um den direkten Zugang zu DNA- und Fingerabdruckdateien. Wie Schengen I vor zwanzig Jahren ist diese Initiative als Pilotprojekt gedacht. Klappt es, werden die neuen Regeln so bald wie möglich für die 25 EU-Staaten gelten. Das Eiffelstädtchen Prüm wird jedoch nie so berühmt werden wie das luxemburgische Dorf am Dreiländereck. Denn schon jetzt wird der "Vertrag von Prüm" meist "Schengen III" oder "Schengen plus" genannt.

Dieser Artikel wurde von Daniele Weber geschrieben, erschien erstmals am 8. Juni 2005 in der Jungle World und wurde von dort übernommen.