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[ 23. Mar 2007 ]

Nicht Perserin, nicht Iranerin. Die »iranische Frau« als Symbol gesellschaftlicher Umbrüche

Bilder über MigrantInnen bedienen oft die immer gleichen Klischees. Frauen aus dem Iran werden diesbezüglich mit einem sehr dichotomen Bild besehen: die Wahrnehmung beschränkt sich entweder auf die Variante »muslimisch- religiös- verschleiert« oder auf die gegenteilige Vorstellung über die »verwestlichte Iranerin«.

 

In der Verhandlung ihrer Identität spielen bei Exiliranerinnen nicht nur ihre eigenen Erfahrungen und Wünsche eine Rolle, sondern auch das Bild der Einwanderungsgesellschaft, in der sie leben.

Der Iran erlangt derzeit große mediale Aufmerksamkeit. Nachdem die Reformpolitik des 1997 zum Präsidenten gewählten Mullhas Mohammed Chatami scheiterte, Mahmud Ahmadinedschad Präsident wurde und George W. Bush Iran als zur »Achse des Bösen« gehörig bezeichnete, findet man tagtäglich Berichte über die iranische nukleare Bedrohung und das Mullahregime als Finanzquelle des Terrorismus in den Zeitungen. Das Land Iran steht für eine fundamentalistische Regierung und eine geschlossene Gesellschaft. Gleichzeitig haben die deutschen Medien auch die iranische Frau als Symbol für die Widersprüchlichkeit der iranischen Gesellschaft entdeckt. Fotos von jungen Frauen im Tschador mit frisch operierten Nasen, Teheranerinnen in engen kurzen Mänteln und einem Hauch von einem Kopftuch oder auf Privatparties tanzende Schönheiten mit bauchfreien Tops stellen die visuelle Verdichtung dieser vom Westen empfundenen Widersprüche dar. Die iranische Frau dient hierbei - wie schon einmal zuvor - als Symbol gesellschaftlicher Umbrüche. Anfang der 1980er Jahre war es das Bild der schwarzgewandeten Tschador tragenden Frauen, das für die Erfolge der islamischen Revolution stand. Die Soziologin Tahere Agha schrieb hierzu: »Das äußere Erscheinungsbild von Frauen wurde im Zuge der Reislamisierungspolitik (1979-89) mit dramatischer Symbolik aufgeladen. Die 'islamische' oder 'unislamische' Selbstdarstellung von Mädchen und Frauen in der Öffentlichkeit wurde zum Maßstab aller gesellschaftlichen und politischen Erfolge oder Misserfolge der islamischen Republik gemacht.«

Die Bilder der Frauen, die aktuell in den Medien auftauchen, vermitteln nun, dass trotz des rigiden islamischen Regimes zunehmend ein »unislamisches«, westliches Modell der Frau durchscheint. Oft werden solche Berichte mit »Hinter dem Schleier« oder »Unter dem Tschador« betitelt. Sonia Sedighi schrieb hierzu: »Diese oberflächliche Vereinfachung ignoriert die eigenständige Entwicklung, auch den Emanzipationsprozess der Frauen in der islamischen Welt.«


Gefangen im Blick der anderen

Die dichotomen Frauenbilder (muslimisch versus westlich), die weiter zurückreichen als in die 1980er Jahre, spiegeln das Dilemma vieler iranischer Frauen nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Iran wieder. In einer globalen und medialen Welt haben diese Bilder einen mächtigen Einfluss auf die Meinungsbildung der Gesellschaften, in die viele Iranerinnen migriert sind und in denen sie heute leben. So hat die weit verbreitete Annahme, dass der Islam als monolithische Religion alle Aspekte der iranischen Gesellschaft kontrolliere, zur Folge, dass im westlichen Diskurs über den Iran immer noch eine automatische Verbindung zwischen nationaler Zugehörigkeit und einer religiösen islamischen Identität vorausgesetzt wird. Insbesondere in der Diskussion über eine weibliche muslimische Identität wird häufig ein sehr einheitliches Bild der islamischen Frau gezeichnet, bei dem die weibliche Rolle, ihre Legitimation durch die Religion und ihre Diskriminierung im Vordergrund stehen. Aus diesem Grund sehen sich viele Iranerinnen in der Diaspora mit der Zuordnung zu einem islamischen Frauenbild konfrontiert, dem sie eigentlich entkommen wollten.

In der Auseinandersetzung mit iranischen Migrantinnen trifft man auf ein sehr widersprüchliches und heterogenes Bild im Umgang mit einer islamischen Identität. Insbesondere die Gruppe säkularer Frauen wehrt sich gegen die Zuschreibung einer weiblichen muslimischen Identität, will aber dennoch nicht als »westliche Kopie« wahrgenommen werden. Exiliranerinnen beschreiben ihren strategischen Umgang mit den Zuschreibungen so: »Wenn ich Leuten erzähle, dass ich aus dem Iran komme, aber nicht religiös bin, dann sagen sie: ach so, dann bist du also westlich? Dann antworte ich: Nein, ich bin eine Iranerin und nicht religiös. Wenn man nicht muslimisch ist, ist man gleich westlich. Siehst du, das ist unser Problem, für die meisten Menschen im Westen gibt es nur diese beiden Kategorien. Wir kommen im öffentlichen Diskurs gar nicht vor.« »Man wird müde, alles immer wieder zu erklären. Wenn ich ein unbelastetes Gespräch führen möchte, sage ich immer, dass ich Perserin bin. Da haben die Deutschen ganz andere Bilder im Kopf. Sie denken dann an den Schah, Aristokratie und Reichtum, Prinzessinnen und 1001 Nacht. Wenn ich sage, dass ich Iranerin bin, muss ich immer erklären, dass ich nicht bete, auch Schweinefleisch esse, nicht religiös bin, dass es auch noch andere Frauen wie mich in Iran gibt, dass Frauen studieren dürfen usw... Wenn man sagt, dass man Iranerin ist, ist das manchmal gut. Wenn man sagt, dass man Perserin ist, wird man immer gut behandelt.«

Iranerinnen begnügen sich schon lange nicht mehr mit den dichotomen Bildern, die ihnen von der islamischen Republik, aber auch von der westlichen Welt, zugeschrieben werden. Vielmehr treiben sie selbst die Verhandlung ihrer Frauenbilder voran. Sie haben ihre eigenen reellen und virtuellen Treffpunkte und Foren geschaffen. Das Internet erlaubt es heutzutage den im In- und Ausland lebenden Iranerinnen, sich schneller zu vernetzen, sich differenzierter über aktuelle Geschehnisse in ihrem Land und im Ausland zu informieren, verschiedene Zeitungen zu lesen und an den über 60.000 Webblogs zu partizipieren, die im Iran ins Netz gestellt werden.

Längst stellen sich Frauen die Frage nach einer spezifisch weiblichen muslimischen Identität, die nicht oder nicht ausschließlich durch die klassische Opferrolle oder den Typus der Widerständlerin gekennzeichnet ist. So plädiert Karin Ask in der Einleitung zu ihrem Buch »Women and Islamization« dafür, bei der Interpretation weiblicher Sphären und weiblichen Handelns die analytische Perspektive auf Unterordnung und Widerstand nicht als einzige gelten zu lassen, sondern Frauen als Akteurinnen und Teilnehmerinnen an religiösen und gesellschaftspolitischen zu Prozessen betrachten. Camillia Fawzi und Judy Mabro geben diesbezüglich zu bedenken, dass nicht zwingend alle islamischen Frauen Kleidung oder andere Symbole nutzen, um ihrer engen religiösen Verbindung zum Islam oder ihrer religiösen Identität Ausdruck zu verleihen. Die gesellschaftliche Praxis ist ihrer Meinung nach vielschichtiger. Im Falle des Irans sind es hauptsächlich iranische Akademikerinnen der ersten und der zweiten Generation, die in den Sozial-, Geschichts- und Literaturwissenschaften über die Frauen ihres Landes schreiben. Autorinnen wie die in Washington lebende Literaturprofessorin Asar Nafisi mit ihren Buch »Reading Lolita in Teheran«, die in Los Angeles beheimatete Sozialarbeiterin Satare Farman Farmaian oder die im Iran arbeitende Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi veröffentlichten autobiographische Romane und zeichneten ein facettenreiches Bild ihrer Rolle als Frauen in Iran.


Unmöglich unpolitisch

Wenngleich diese Arbeiten betonen, dass Identitäten immer sehr vielschichtig und von vielen Faktoren wie etwa Herkunft, Bildung, Alter, Beruf bestimmt sind, so scheint die Identität von IranerInnen kaum je losgelöst von der Wahrnehmung der Politik ihres Herkunftslandes. So beeinflussen kollektive Erfahrungen, insbesondere das Miterleben der Revolution, die politische Positionierung und das Leben im Exil die soziale Praxis der iranischen Frauen. Eine Iranerin, die in Berlin lebt, beschrieb die Bedeutung der politischen Vergangenheit für die eigene Identität, aber auch die Zuschreibung von Identität folgendermaßen: »Die Iraner beurteilen sich immer noch nach der heutigen politischen Position und nach der Position, die man damals in Iran hatte. Da gibt es die Maoisten, die Leninisten etc... Viele kennen sich aus ihrer aktivistischen Zeit von damals. Häufig hat es auch persönliche Gründe, warum man sich nicht mag, weniger politische. Einige Leute kennt man halt von früher, mit denen hat man viel durchgemacht, man teilt die kollektive Erfahrung.«

Zudem nehmen die konstituierenden Strukturen wie Gesetzgebungen, Politik, Medien und Kultur des Landes, in das die Frauen migriert sind, Einfluss auf ihre Biographien. So war es beispielsweise den politisch aktiven Iranerinnen, die in den 1980er Jahren nach Deutschland kamen, durch die schnelle Anerkennung des Asylstatus und die daraus resultierende Arbeitserlaubnis anders möglich, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, als den Iranerinnen, die in den letzen zehn Jahren kamen. Zum Teil sind diese jahrelangen Asylverfahren ausgesetzt und es ist ihnen verboten zu studieren, eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten. Der damit einher gehende Statusverlust wird von IranerInnen häufig als eine wesentliche und dominante Erfahrung in der Migrationsgeschichte artikuliert. Ein Referent der Konferenz Iranian Diaspora in San Diego/ Kalifornien drückte es wie folgt aus: »Der geachtete Direktor von gestern ist der unbekannte Taxifahrer von morgen«.

Seit 1979 verließen rund vier Millionen Iraner und Iranerinnen aus unterschiedlichen Gründen das Land. Die erste Welle setzte sich aus den Angehörigen der durch die »islamische Revolution« entmachteten politischen und ökonomischen Elite des Schah -Regimes zusammen (Nassehi-Behnam 1990:190). Die Angehörigen dieser Gruppe gingen meist in die USA, nach England oder nach Frankreich. Die Frauen dieser Generation migrierten häufig mit ihren Familien. Bald folgten große Teile der linken Opposition. So flüchteten Anhänger der kommunistischen Tude Partei oder der Volksfedajen-Organisation sowie der islamischen Opposition der Volksmudjahedin ins Exil nach Deutschland, in die Niederlande und in die skandinavischen Länder. Die politischen Aktivistinnen von damals kamen häufig alleine, ohne ihre Familien. Viele dieser Frauen stammen aus der akademisch gebildeten iranischen Mittelschicht, befinden sich nach wie vor im Exil und können nicht in ihr Land zurückkehren.

Religiöse Minderheiten wie die Bahai oder die armenischen Christen und Juden verließen das Land aufgrund religiöser Diskriminierung und Verfolgung und migrierten in die USA, nach Kanada oder Israel. Ethnische Minderheiten wie die Kurden flohen in die Nachbarländer Türkei und Irak, später auch nach Deutschland. Eine weitere Fluchtbewegung entstand im Zuge des Iran-Irak-Krieges. Darüber hinaus kamen immer wieder Einzelpersonen, die den Repressalien und der politischen Verfolgung in Iran ausgesetzt waren. Dies hat sich bis zum heutigen Tage nicht geändert. Aus diesen aufgeführten Migrationsbewegungen entwickelten sich unterschiedliche Perspektiven auf die Rolle der iranischen Frau, die innerhalb eines transnationalen Netzwerkes von Iranerinnen im Ausland und in Iran verhandelt werden.

Einen von vielen Treffpunkten für diesen Aushandlungsprozess stellt die internationale iranische Frauenkonferenz dar, die alljährlich in einer europäischen, US-amerikanischen oder kanadischen Stadt tagt1, und deren Gründerin Golnaz Amin in den USA lebt. Die Veranstaltung stellt eine Mischung aus wissenschaftlicher Konferenz, politischer Arena, kulturellem Event und persönlicher Aufarbeitung dar. Hier treffen politische Aktivistinnen aus Berlin, die von sich selber sagen, sie befänden sich »noch immer im Kampf«, auf Akademikerinnen aus New York, die den wissenschaftlichen Genderdiskurs vorantreiben wollen. Frauen, die wieder regelmäßig in den Iran reisen, diskutieren mit exilierten Feministinnen darüber, ob man überhaupt in dieses Land fahren sollte, solange es eine islamische Republik ist. Reformanhängerinnen plädieren für einen Wandel innerhalb des Systems und ihnen wird entgegnet, dass man dieses Regime stürzen müsse, da man mit Verbrechern keinen Dialog führen dürfe. Die zweite Generation junger Iranerinnen bringt eigene Themen wie den Generationenkonflikt zwischen ihnen und ihren Eltern ein, wenn es etwa um sexuelle Beziehungen junger Iranerinnen vor der Ehe und deren Tabuisierung in der iranischen Familie und Gesellschaft geht. Junge, in Deutschland aufgewachsene iranische Frauen diskutierten ihr Bedürfnis, die Heimat ihrer Eltern kennenzulernen, vor dem Hintergrund, dass ihre Eltern dort nicht mehr einreisen können.


Nicht mit und nicht ohne Schleier

Die Begegnung mit Iran wird häufig als eine ambivalente Erfahrung im Umgang mit Projektionen und Realitäten beschrieben, die hier von beiden Seiten aufeinandertreffen. Das Spannungsverhältnis zwischen Frauenbildern und der Realität von Frauen in Iran und in der Diaspora spielt im Rahmen dieser Erfahrungen oft eine prominente Rolle. Begegnungen zwischen Exiliranerinnen zu den in Iran lebenden Frauen spiegeln das gebrochene Verhältnis, das viele iranische Frauen aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen in und nach der Revolution zu ihrem Land haben. So variieren die Prioritäten, die gesetzt werden: Während für viele Exiliranerinnen die Abschaffung des Verschleierungsgesetzes zentral ist, meinte eine Referentin aus dem Iran: »Die Frauenbewegung darf sich nicht von der Regierung instrumentalisieren lassen. Frauen können mit oder ohne Schleier instrumentalisiert werden.« Sie legte damit den Schwerpunkt auf die Instrumentalisierung und nicht auf das Verschleierungsgesetz.

Im Rahmen dieser Auseinandersetzung geht es auch um Bilder wie das der »modernen Frau« oder »der politische Aktivistin«. Die Frauen in Iran unterliegen einer repressiveren Form der Zuschreibung. Sich gegen diese Zuschreibung zu behaupten und eine divergierende Identität zu leben, geschieht im Iran mit anderen Mitteln: Hier wird der Schleier zum Notbehelf, um eine Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen: Die soziale Praxis der Frauen in Teheran muss nicht notwendigerweise mit den Überzeugungen des Systems (also einem theologischen, politischen etc. Imperativ) übereinstimmen, sondern die Frauen geben sich zum Teil nur den Anschein, um eine Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen. Die Haltung der Frauen ist nicht nur in der Grauzone zwischen passiver Anpassung und aktiver Subversion angesiedelt. In ihrer Selbstzuschreibung spielt Religion nur insofern eine Rolle, als sie einer Fremdzuschreibung in Iran und in der Diaspora gegenübertritt, die ihrerseits den religiösen Aspekt beharrlich hervorhebt. Die Herausforderung für die Iranerinnen besteht insbesondere darin, eine Sprache zu suchen, die eine Beschreibung ihrer weiblichen Identität ermöglicht, ohne sich immer wieder der definitionsmächtigen dichotomen Bilder bedienen zu müssen.


Anmerkung:
1) Seit den Geschehnissen des 11. September 2001 kann die Konferenz nur noch in Europa oder Kanada stattfinden, da die Einreise für IranerInnen in die USA schwierig geworden ist.


Literatur:
* Nassehi-Behnam, V.: Famille et Migration: L'Immigration Iranienne. In: CERES, Tunis/UNESCO (Hg.), L'Avenir de la Famille au Moyen Orient et

Die ungekürtzte Originalfassung dieses Artikels von Judith Albrecht ist erschienen in der Zeitschrift zwischen Nord und Süd - iz3w 299 "Die Macht der Acht - G8 und internationale Herrschaft". Weiter Informationen unter www.iz3w.org.

Judith Albrecht ist Ethnologin und Dokumentarfilmerin und lebt in Berlin.