Die europäische Asyl- und Migrationspolitik gehört auf die Anklagebank. Presseaussendung von PRO ASYL vom 13. Dez 2007.
Nach mehr als einjähriger Dauer (Prozessbeginn war der 27. November 2006) geht der "Schlepper"-Prozess gegen die drei Angeklagten im Fall der humanitären Rettungsaktion der Cap Anamur am kommenden Montag im sizilianischen Agrigento in die entscheidende Phase. Mit der ganztägigen Vernehmung von Kapitän Stefan Schmidt erhält erstmals einer der Angeklagten die Möglichkeit, die Vorgänge um die Rettung von 37 afrikanischen Schiffbrüchigen im Juni 2004 ausführlich darzulegen. In den bisher 13 Verhandlungstagen waren nur Zeugen der Anklage gehört worden.
Das deutsche Schiff Cap Anamur rettete im Juni 2004 37 Menschen aus Seenot. Kapitän Stefan Schmidt und seine Crew taten das, was ihre Pflicht ist: Sie bargen die Schiffbrüchigen und wollten sie in einen sicheren Hafen bringen.
Der Kapitän, der damalige Cap Anamur-Chef Elias Bierdel und der erste Offizier der Cap Anamur, Vladimir Daschkewitsch, werden jedoch der bandenmäßigen Schlepperei beschuldigt. Ihnen drohen bis zu 12 Jahre Haft.
Humanitäre Hilfe für Menschen in Not ist keine Straftat. Die Anklage hätte deshalb nie erhoben werden dürfen. Ihren politischen Charakter hat der Oberstaatsanwalt von Agrigento am 26. November 2006 deutlich gemacht: Man sei "in rechtlicher und auch in politischer Hinsicht dazu gezwungen, die Wiederholung solcher Aktionen zu verhindern, auch wenn sie aus edler Absicht geschehen." PRO ASYL fordert seit Prozessbeginn gemeinsam mit weiteren deutschen und italienischen Flüchtlingsorganisationen die Einstellung des Verfahrens und die Rehabilitierung der Cap-Anamur-Crew.
Vor demselben Gericht in Sizilien läuft ein weiteres Verfahren. Sieben tunesische Fischer werden des gleichen humanitären Verbrechens beschuldigt: Sie retteten Menschenleben. Solche Anklagen haben hauptsächlich einen Effekt: Potentielle Retter fahren bereits jetzt an Schiffbrüchigen vorbei, weil sie die Anklagebank fürchten.
Erst am Wochenende ertranken allein vor der türkischen Küste vermutlich mehr als 80 Menschen: Palästinenser, Somalis und Iraker. Während die Asylantragstellerzahlen europaweit sinken - als fragwürdiger Erfolg rigider Abschottungspolitik - werden die Ägäis, der Kanal von Sizilien, die Meeresenge von Gibraltar und die See um die Kanarischen Inseln zum Grab für Tausende. Auf die Anklagebank gehören nach Auffassung von PRO ASYL indes nicht die Retter, sondern die verfehlte europäische Asyl- und Migrationspolitik.
Nächster Prozesstag: 17. Dezember 2007
Ort: Justizpalast Agrigento/Sizilien
Zeit: 10.00 Uhr
gez. Judith Gleitze, Vorstandsmitglied PRO ASYL, z.Zt. Agrigento
gez. Bernd Mesovic, Referent