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[ 28. Jan 2008 ]

Rassistische Hetze und Menschenjagd in Österreich

Am 10. Jan 2008 fand in Traiskirchen eine rassistische Razzia statt, bei der 27 Männer abgeholt wurden, um sie in der Folge abzuschieben. Die Aktion, die mit der kürzlich erfolgten Schengenerweiterung begründet wurde, verlief jedoch nicht ohne Zwischenfälle.
Text übernommen von at.indymedia.org

 

Rund um die Schengenerweiterung am 21. Dezember 2007 fand in Österreich eine massive rassistische Hetze statt. Da wurde vor "offenen Grenzen" gewarnt, die Räuberbanden, "Illegalen" und weitere "Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" ins Land bringen würden. Die Behörden in Österreich benötigten eine neue Legitimation für die Menschenjagd, die in massivem Ausmaß seit Anfang der 1990er Jahre mit Einbeziehung des Bundesheeres an den Grenzen stattfindet. Denn von einem Tag auf den anderen waren keine Schengenaußengrenze mehr zu bewachen (sehen wir mal von jener zur Schweiz und Lichtenstein ab, die demnächst ebenfalls dem Schengener Abkommen beitreten werden).

So wurden vor der Grenzöffnung zahlreiche neue Instrumentarien geschaffen, die Polizei erhielt neue Stützpunkte zur Menschenjagd in den Ballungsräumen, also im Landesinneren. Schnell wurden erste Erfolge der sogenannten Schengen-Ausgleichsmaßnahmen vermeldet - und diese zur Legitimation weiterer rassistischer Hetze und Maßnahmen genutzt. In der Nacht von 10. auf den 11. Jänner 2007 eskalierte die Situation Medienberichten zofolge im Rahmen einer "Aktion scharf" im Flüchtlingslager Traiskirchen, Niederösterreich.

Laut Angaben des Kurier hatte die Bezirkshauptmannschaft Baden die Razzia angeordnet. Demnach wurden 27 Männer, Asylwerber aus Tschetschenien, die bereits in Polen um Asyl angesucht hätten, abgeholt, und in die Schubhaft in Wien überstellt, von wo aus sie in der Folge nach Polen abgeschoben werden. Denn Polen sei gemäß Dubliner Übereinkommen für die Abwicklung der Asylverträge zuständig ist.


Widersprechende Aussagen trotz rassistischem Konsens


Während der Kurier berichtet, dass es bei dem Großeinsatz der Polizei "zu keinen Zwischenfällen gekommen" sei, schreibt die Kronenzeitung von "wilden Tumulten".

"Laut Polizei gab es keine Zwischenfälle. Allerdings musste sich die Rettung um Frauen, die "hysterisch geworden und in Ohnmacht gefallen sind", kümmern. Innenminister Günther Platter hatte erst am vergangenen Wochenende nach Aufforderung von Landeshauptmann Erwin Pröll angekündigt, bei den aktuellen "Dublin-Fällen" hart durchzugreifen." (Kurier Printausgabe, 11.01.2008)

Im Online Kurier ist weiter zu lesen: "Laut einem Informanten gab es einen Großeinsatz der Polizei. Dabei soll es zu keinen Zwischenfällen gekommen sein. Viel zu tun hatte aber die örtliche Rettung. Die 27 Männer sind zum Teil verheiratet. Auch ihre Kinder sollen in Traiskirchen untergebracht sein. "Frauen sind hysterisch geworden und in Ohnmacht gefallen", berichtet ein Augenzeuge."

Der Standard, der sich u.a. auf die Angaben im Kurier beruft, ergänzt aus weiteren Informationen: "Eine Frau hat laut diesem Bericht einen Selbstmordversuch begangen."

Die Kronen Zeitung berichtet am 11.01.2008 in eine zweiseitigen Bericht mit dem Titel "Tumulte um Illegale im Flüchtlingslager": "Dutzende Tschetschenen rebellierten gegen Abschiebung * Frauen drohten ihre Pulsadern aufzuschneiden * Polizei und Rettung im Großeinsatz"

Laut Kronen Zeitung hätte "ein Bus die ersten 27 unter falschen Voraussetzungen eingereisten Asylanten wieder zurück nach Polen bringen sollen. Doch die geplante Abschiebung auf dem Gelände des Flüchtlingslagers geriet bald völlig außer Kontrolle. "Die vorwiegend jungen Männer weigerten sich, das Fahrzeug zu besteigen. Empörte Frauen liefen vor dem Haus Nummer 17 zusammen und drohten sich vor unseren Augen die Pulsadern aufzuschneiden, sollten ihre Männer weg müssen", so eine geschockte Polizeibeamtin. (...) Um die Handvoll anwesender Uniformierten vor der aufgebrachten Menge zu beschützen aber auch um Blutvergießen zu vermeiden, wurde Alarm ausgelöst. Die Beamten forderten Spezialisten der Einsatzeinheit und eine psychologische Betreuung für die Flüchtlinge an. Erst nach mehreren Stunden gelang es Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Die aufgewühlten Familienangehörigen wurden von Experten psychologisch betreut. Die zur Abschiebung bestimmten illegalen Asylwerber brachte ein Bus unter Polizeibewachung ins Anhaltezentrum nach Wien. Die Tschetschenen kamen in Schubhaft. Erst in den Nachtstunden entspannte sich die Lage im Bundesanhaltezentrum in Traiskirchen."


Aktion scharf - politisch angeordnet!


Wie wir aus dem Kurier erfahren, hatte Innenminister Günther Platter "erst am vergangenen Wochenende nach Aufforderung von Landeshauptmann Erwin Pröll angekündigt, bei den aktuellen "Dublin-Fällen" hart durchzugreifen."

Dies hänge damit zusammen, dass nach der Schengenerweiterung vermehrt AsylwerberInnen in Österreich um Asyl angesucht hätten, weil sie sich, so die Kronen Zeitung, hier "bessere Chancen ausrechnen, und weil skrupellose Schlepperbanden falsche Hoffnungen in ihnen wecken." Die Kronen Zeitung vertritt sogar die Meinung: "Seit der Abschaffung unserer Ostgrenzen hat sich ein regelrechter Asyltourismus eingebürgert. Vor allem aus den neuen Schengenmitgliedsländern reisen jetzt Illegale in Scharen an."

Derartige Meldungen sind seit Tagen zu lesen. So lautete die Schlagzeile auf Seite 1 von Österreich am 02.01.2008: "Asylanten: Ansturm nach Grenzöffnug" Im Bericht wird ein ähliches Bild vermittelt wie in der Kronen Zeitung und gewarnt: "Die Situation im Flüchtlingslager Traiskirchen spitzt sich dramatisch zu."

Im Blattinneren wird von einem "Krisengipfel wegen des Ansturms an Flüchtlingen" berichtet. Der Bürgereister von Traiskirchen, Fritz Knotzer (SPÖ) habe Alarm geschlagen: In den ersten 10 Tagen nach dem "Fall der Schengengrenze" habe sich "der Zustrom von asylsuchenden Flüchtlingen beim Lager Traiskirchen verdoppelt". Zum Sicherheitspifpel am 2. Jänner trafen sich "Vertreter von Polizei (Stadt, Bezirk und Kriminalisten), Sicherheitsdirektion, Leitung des Flüchtlingslagers sowie der Bezirkshauptmannschaft. Der vom Bürgermeister kritisierte VP-Inneninister Günther Platter wird zwar nicht teilnehmen. Von ihm werden aber dennoch rasch konkrete Lösungen erwartet." Eines der Ziele sei es, die erhöhte Zahl der Asylsuchenden auf andere Bundesländer aufzuteilen.

Doch die Aufteilung der Flüchtlinge in Bundesbetreuung auf die Länder klappt seit ihrer Einführung vor ein paar Jahren nicht. Lediglich in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich (in den beiden letztgenannten finden sich die :: Erstaufnahmestellen Traiskirchen und Thalham) wird die vorgeschriebene "Quote" erfüllt und überdurchschnittlich viele Flüchtlinge untergebracht, die restlichen Bundesländer (vor allem Kärnten und Tirol) gelten bei der Aufnahme von Flüchtlingen als "säumig", wie es die Behörden ausdrücken.


Nein zur 'Jagd' auf tschetschenische Familien


In den letzten Tagen gelangte der Umgang mit Flüchtlingen in Kärnten Aufmerksamkeit, nachdem dort unter Anordnung von Landeshauptmann Jörg Haider (BZÖ) eine "Säuberungsaktion" gestartet wurde. no-racism.net schreibt dazu:

"Aber am 7.Januar 2008 hat Haider in der Praxis eine ethnische Säuberungsaktion gesetzt, die einen Dammbruch darstellt. Parallel zu einer Pressekonferenz unter dem Motto 'Gewalttätige tschetschenischen Asylwerber werden aus Kärnten abgeschoben' wurden tschetschenische Familien aus Villach (insgesamt 18 Personen) überfallsartig in Busse verfrachtet und ins Flüchtlingslager Traiskirchen abtransportiert. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass Mitglieder dieser Familien an den 'jüngsten Gewaltexzessen', d.h. einer Silvesterschlägerei in Villach teilgenommen hätten. Dabei sind die Haupttäter laut Auskunft des Villacher Polizeikommandanten noch gar nicht identifiziert. Auch wer begonnen hat, ist noch nicht klar." (Weitere Informationen im :: Bericht auf no-racism.net)

Dieses Vorgehen wird vor allem vom Aktionskomitee "Toleranz und Menschlichkeit in Kärnten" massiv kritisiert, das "ein offenes, tolerantes und menschliches Kärnten" repräsentieren will und "gegen unmenschliche Härtefälle vor allem im Asylbereich" auftritt. Gefordert wird u.a. eine Rückkehr der aus Kärnten vertriebenen tschetschenischen Familien. (Siehe dazu :: Nein zur 'Jagd' auf tschetschenische Familien auf no-racism.net und :: kaernoel.at)


Abschiebungen angekündigt


Ebenfalls am 7. Jänner 2008 schlug Erwin Pröll (ÖVP), Landeshauptmann von Niederösterreich, wo am 9. März 2008 Landtagswahlen stattfinden, "in der
Asyldebatte Alarm"
und fordert via Titelseite der Kronen Zeitung: "Illegale müssen sofort zurück!"

Laut Bericht würde "nach dem Wegfall der Schengengrenzen die Zahl der illegalen Asylanten" zunhemen und es seien "etwa in Traiskirchen wieder mehr Flüchtlinge, wobei diese allerdings meist schon in eine anderen Land um Asyl angesucht haben." Unterstützung erhält der NÖ Landeshauptmann aus dem SPÖ-dominierten Gemeinderat in Traiskirchen. So wird VizebürgerInnenmeister Franz Gartner zitiert, der die Meinung vertritt "Traiskirchen könne bis zu 500 Flüchtlinge verkraften, "aber ist werde nicht warten, bis es wieder 1500 sind und wirklich was los ist.""

Inneminister Platter kündigte "Unterstützung" an. Via Kronen Zeitung versprach er "klare Signale zu sezten". Dort findet sich auch "Platters Sofort-Sicherheitsprogramm nach dem Wegfall der Schengengrenzen" aufgelistet:
"* Von 563 Asylwerbern (im Jahr 2008, Anm.) haben weit mehr als 50 Prozent (fast alle in Traiskirchen!) schon in einem anderen Land um Asyl angesucht.
* Diese werden so rasch wie möglich wieder zurückgeschickt, wobei die meisten aus Polen der Slowakei und Tschechien kommen.
* Die Rückführung in Bussen unter Bewachung dauert etwa zwei bis drei Wochen.
* An Polen, die Slowakei und Tschechien werden "klare Signale ausgeschickt, dass es sich um Fälle in ihrem Bereich handelt".
* Zu diesem Zweck regt Platter an, dass die gemischten Grenzüberwachungsstreifen bei unseren östlichen Nachbarn personell aufgestockt werden, damit Illegale gar nicht ert zu uns kommen könnnen.
* Damit die bei uns aufgegriffenen Illegalen nicht untertauchen, ist Schubhaft vorgesehen.
* Was zusätzlich Probleme schafft: Tschetschenen bekommen in Polen und der Slowakei kaum Asyl, in Österreich aber sehr wohl."


Auf die unterschiedlichen "Chancen" auf Anerkennung von Asyl beruft sich auch Bürgermeister Fritz Knotzer (SPÖ) laut Online Standard vom 11.01.2008: "Während ein Tschetschene in Österreich bei einem Asylantrag eine 80-prozentige Chance habe, schätzte er diese etwa in Polen auf 20 Prozent."

Der Umstand, dass Flüchtlinge aus Tschetschenien im Gegensatz zu Österreich in den meisten Fällen in Polen kein Asyl bekommen und in der Folge nach Russland abgeschoben werden, wo ihnen weitere Verfolgung droht, ist für den Sicherheitsdirektor von Niederösterreich, Franz Prucher, kein Problem, sondern sei "rechtlich zulässig". Er beruft sich dabei auf das Dubliner Übereinkommen, demzufolge jenes EU-Land für ein Asylverfahren zuständig sei, in dem sich einE AsylwerIn zuerst aufgehalten habe. Die 27 Personen, die im Zuge der Razzia in Traiskirchen festgenommen und in die Schubhaft nach Wien gebracht wurden, sollen deshalb nach Polen abgeschoben werden.


"Nicht weiter aufgefallen"?


Zu den Vorfällen in Traiskirchen meinte Prucher laut Standard, "die Asylwerber hätten Donnerstagabend "impulsiv" agiert, die Aktion wäre aber gut abgelaufen. Der aktuelle Stand der Flüchtlinge im Lager sei wieder rückläufig". Weiters kündigte er an, dass "mit entsprechend notwendiger Konsequenz vorgegangen werde." wobei er wohl die weiteren geplanten Abschiebungen ansprach.

Bürgermeister Knotzer vermutet, dass es sich offenbar herumspreche, dass bei "Dublin-Fällen" konsequent vorgegangen werde. Zumindest erklärt er damit, dass zu Jahresbeginn 770 Menschen in der Außenstelle des Bundesasylamtes in Traiskirchen untergebracht waren, aktuell seien es 744.

Zur Situation in der Stadt meinte der Politiker, dass die "Aktion im Lager (...) nicht weiter aufgefallen" sei. Aus seiner Sicht "wäre es wichtig, dass Innenminister Günther Platter mit seinen europäischen Amtskollegen Kontakt aufnimmt, um hinsichtlich des Asylrechts eine möglichst gleiche Behandlung der Antragsteller zu vereinbaren."

Dass davon kaum eine vermehrte Anerkennung von AsylwerberInnen in Polen zu erwarten ist, liegt auf der Hand. Eher ist zu befürchten, dass auch in Österreich die Anerkennung tschetschenischer Flüchtlinge zurückgeht. Die jüngsten Änderungen im Asylgesetz und die beschlossene Einführung eines :: "Asylgerichtshofes" deuten jedenfalls auf eine weitere Verschärfung hin.

Aus dieser Perspektive ist die einzige Möglichkeit, dieser rassitischen Hetze und Praxis Einhalt zu gebieten :: Abschiebungen unmöglich machen!

Dieser Text erschien zuerst am 11. Jan 2008 auf :: at.indymedia.org und wurde hier bearbeitet von no-racism.net übernommen.