Die gegenwärtige Diskussion um Antirassismus in Österreich charakterisiert eine Kurzsichtigkeit, die für die Pseudodiskussionen über die Fragen, die niemanden so richtig interessieren, typisch ist. Diese Diskussion wird mittels der Kommentare geführt und ist so gereinigt, daß sie niemandem weh tut, außer naTürlich denjenigen von denen mann/frau annimmt, daß sie solche Zeitungen nicht lesen.
Die Rede ist dabei von der "Serbisierung" Österreichs, von irgendeiner plötzlich entstandenen Zivilgesellschaft usw. Diese Diskussion unterscheidet sich nicht von jener, die man im Parlament, im Kulturbereich, auf den Universitäten, und in fast allen anderen informationsvermittelnden Einrichtungen führt.
Zwar hat die Auseinandersetzung mit der neuen rechtsgerichteten Regierung überall absolute Priorität: Letztendlich sind am 18.02. 2000 ca. 300.000 Menschen, mit Blinklichtern (statt auf den Fahrrädern in den Händen) unter Parole "Stopp Rassismus" demonstrieren gegangen. Gemeint war naTürlich "Stopp Jörg Haider". Demonstriert wurde gegen eine Regierung, die durch eine demokratische Mehrheit zustande gekommen ist. Dass zu dieser demokratischen Mehrheit 10% der Bevölkerung, die MigrantInnen, nicht gehören, versteht sich in Österreich fast von selber. Jedenfalls hat das niemand thematisiert, während Wolfgang schüssel sich auf die "demokratische Mehrheit" berief. Die Demos zeigten aber einerseits den zahnlosen Zorn der Sozialdemokraten, und andererseits die Ratlosigkeit der Organisatoren, am besten charakterisiert durch die Einladung des zu den Rechten konvertierten altlinken Franzosen Bernhard Henri-Levy. Obwohl Levy auf der Bühne gegen die neue Regierung in Österreich wetterte, steht er politisch dort, wo die neue Regierung in Österreich steht. Es zeichnete sich also während der Demonstrationen ab, wohin der Zug fahren wird. Dorthin, wo er jetzt mit voller Geschwindigkeit rast: Ins Inhaltsleere.
Doch welchen Nutzen haben uns diese großen Demonstrationen gebracht? überhaupt keinen. Zum einen verstrickt man sich in der Argumentation gegen die Regierung oft in totalitaristischen Wörterbücher, und, was für uns MigrantInnen noch wichtiger ist, stellt sich heraus, dass der Rassismus nicht das ist, was diese Menschen bekämpfen wollen. Sie reden über Rassismus und meinen Haider: der allzeit willkommene und hoch geschätzte Blitzableiter. Nur haben sie jetzt ein Problem: Haider ist nicht mehr in der Bundespolitik. Und so stellt sich heraus, daß sie über Rassismus und seine Bekämpfung bis jetzt gar nichts gesagt haben. Alles, was sie gesagt haben, war gegen einen Menschen gerichtet. Merkwürdiges Land: Hunderttausende Menschen auf der strasse, um Mobbing gegen einen Politiker zu machen, der an und für sich eine sonst überall geschätzte Funktion des BÃŒsen auf sich genommen hat und bis jetzt meisterhaft erfüllt.
Wir MigrantInnen haben keine Veränderungen gespürt. Ganz im Gegenteil - es wurde für uns nach jeder großen Demonstration schlechter: das rassistische Aufenthaltsgesetz von 1993 entfaltete seine Wirkung (größter Exodus der MigrantInnen in der zweiten Republik) erst nach den Demonstrationen, die neue Regierung mit der FPÖ ist erst nach der Demo dagegen zustande gekommen. All das verleitet mich zu der Frage, ob die Demonstrationen in Österreich nicht die gleiche Funktion wie der Blitzableiter Haider erfüllen, nur auf eine andere Weise. für andere Bevölkerungsschichten braucht man einen anderen Rassismus, und dieser wird hier angeboten. Um das geht es also: die Demonstrationen in Österreich sind genau so rassistisch wie die Gesellschaft selber. Es kann doch nicht anders sein, wenn die ganze Gesellschaft von der Hegemonie profitiert. Und die Organisatoren sind diejenigen, die vor allem nach öffentlichen Auftritten hungern. So war z.B. die erklärung, warum jetzt die Neuwahlen gefordert werden, die, dass man in den Medien bleiben will. Die Formel ist klar: fordere Ausgrenzung und du bleibst in den Medien.
Wichtiges bleibt unbeRücksichtigt: Die MigrantInnen etwa - sie sind jene, die seit 40 Jahren die Folgen eines rassistischen Systems über sich ergehen lassen; oder die ArbeiterInnen - während sich der Mittelstand in revolutionärem Gestus auf die Bühne hebt und sich die Clowns der Unterhaltungsindustrie der Philosophie hingeben, bleiben die ArbeiterInnen in ihren Wohnungen. Die Schicht, die demonstrieren gegangen ist, besteht aus den zukünftigen politischen VerliererInnen, dem Mittelstand halt. Diese Tatsache des gemeinsamen gesellschaftlichen Status, den man verlieren kann, hat zum Zusammenschluss geführt und nicht, wie behauptet: "Gegen Rassismus!"
Die linken DemonstrantInnen wurden mit dem Beifall der OrganisatorInnen aus der Demonstration polizeilich "entfernt". Die Anzahl der sogenannten "prominenten persönlichkeiten" auf den Demonstrationen zeigte vor allem eins: dass es sich hier um ein Spektakel des Glamours handelte. Und kein einziger Redner aus den Reihen der MigrantInnen, niemand. Autochtone Minderheiten ja, MigrantInnen nein. Und auch die Widerstandkämpfer nicht, wie Erich Hackl richtig beobachtet hat.
Doch hebt man die Augen hinter den blinden Brillen und betrachtet die Gesellschaft insgesamt, so wird deutlich, wie tief der Bruch ist, der sich durch dieses, eines der reichsten länder auf der Erde, zieht: Kriminalisierung und Mord, (in den letzten zwei Monaten vier Tote durch die Polizei), Rassismus und Armut, wachsender Nationalismus (vor allem mit dem Vorantreiben des Volksbegehrens gegen die "EU-Sanktionen", in Wahrheit gegen die zahnlosen dilletantischen bilateralen maßnahmen ) usw.
Hat sich diese Gesellschaft also mit der Zeit etwas geändert? Keineswegs. Zwar hat die Restriktion in den vergangenen vierzig Jahren Höhen und Tiefen erfahren, doch aufgehört hat sie nie; sie ist nur direkter und sichtbarer geworden. Die neue Regierung bringt uns nur mehr Klarheit in diesem - von inhaltsleeren intellektuellen Kommentaren benebelten - Bereich. Sie blinkert das was immer da war; das hegemonielle nationalistische System. Insofern haben die OrganisatorInnen der Demonstrationen mit ihrer Aufforderung an die Massen, Blinklichter mitzunehmen, die Wahrheit getroffen. Tja, insofern ist für uns MigrantInnen diese Regierung transparenter als die Machschaften der fccn Tagen. "Sie sagen uns zumindest, was sie mit uns vorhaben." ist einer der Kommentare, die man in den MigrantInnenvereinen hört.
Die Restriktionen gegenüber den MigrantInnen belegen sogar, daß nach jeder großen Demonstration in Österreich das System rassistischer wird. Es scheint, daß die Demonstrationen eine Ventilfunktion haben, wo Mann/Frau die Energie für die konstruktive Opposition auspufft, bevor sie durch die weiter für sie negativen Entwicklungen noch mehr gefordert werden. Die MigrantInnen haben da nicht mehr sehr viel zu verlieren, denn sie haben auch nichts gehabt. öffentliche Verfolgung, Straflager usw. sind naTürlich vorstellbar, aber wenn das soweit ist, dann muss man sagen, das solche Systeme auch für Teile der local people gelten.
Warum gibt es in der Österreichischen Gesellschaft immer mehr arme Menschen, immer mehr alte (einsame) Menschen, immer mehr überwachung der Bevölkerung und weniger und weniger das Gefühl der Teilnahme an Entscheidungen über die für alle wesentlichen Sachen?
Diese zentrale Frage versucht nicht nur unsere jetzt offen rechtsgerichtete Regierung zu verschleiern, sondern auch Teile der sogenannte Widerstand, repräsentiert durch Demokratische Offensive, SOS-Mitmensch und Republikanischer Klub. Diese Menschen ziehen am gleichen Strang! Das ist die Antwort. Es ist ein Einheitsdenken in verschiedenen AusprÀgungen, die nur uns als Widerspruch serviert wird. Wenn man aber genauer hinsieht, dann verwandelt sich diese vermeintliche Kontradiktion in eine eigenartige hegemonielle Synthese. Und da, genau dieser ist diejenige wogegen niemand, außer stimmlose MigrantInnen, protestiert. Auf der ersten Demonstration 1993 war der Innenminister im Organisationskomitee, auf der zweiten am 12.10.99 waren die Wiener PolitikerInnen auf der Bühne, während sie einen Migranten fünf Minuten vor seiner Rede ausluden, mit der Ausrede, daß man prominentere Menschen (Marianne Mendt!) auf die Bühne schicken möchte. Bei der zweiten Demo wehrten sich die MigrantInnen mit Eierwerfen. Eine der gelungeneren politischen Aktionen in den letzten Jahren, obwohl sich die OrganisatorInnen und ihre Stammzeitung großspurig bei der getroffenen Stadtcin entschuldigt haben. Gelungen, weil sie die Differenzierung der demonstrierenden Menschen und der OrganisatorInnen allen vor Augen führte.
Nun ist die Forderung nach Neuwahlen die Krönung beim Ausschluss der MigrantInnen. Und wenn ich bei einer Podiumsdiskussion vom Vertreter der Demokratischen Offensive als Wahlverweigerer und Anarcholiberalist beschimpft werde, ich, der in Österreich wie alle anderen MigrantInnen nicht wählen darf, dann fehlt mir ein, dass dieser gleiche Mensch einige Monate vorher eine Demonstration mit der Parole "Gegen Rassismus!" mitorganisiert hat... damit ist, glaube ich, genug erklärt.
Es muss also nach wie vor in Österreich ein Korpus von Ideen mit universalem Anspruch der Entrechtung diagnostiziert werden. Das ist Ausdruck des alleinigen Interesses der herrschenden Cliquen in diesem Land, die seit Jahrzehnten eine rassistische Politik gegenüber MigrantInnen betreiben.
Dieser Einheitskorpus der Ideen tritt dann als ein Einheitsdenken auf. Präsentiert wurde eine Aneinanderreihung von Glaubensätzen als Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen - die zu eine "alleinmöglichen" Ausschließungspolitik gegenüber der MigrantInnen führt.
Warum hat sich in dem hegemoniellen verhältnis in den letzten Jahrzehnten nichts verändert? Warum haben die Schriften der DemographInnen, die der PhilosophInnen, der KulturtheorethikerInnen, der SozialwissenschaftlerInnen, die sich ausdrücklich mit der Migration und MigrantInnen beschäftigten, nur diese Politik des Rassismus hervorgebracht? Die Antwort ist leicht: weil sie alle, trotz dem Anschein der Fortschrittlichkeit, die ihnen die gesellschaftliche Stellung verliehen hat, eine Funktion in der Gesellschaft zu erfüllen haben. Diese Funktion heißt: Rechtfertigung von Rassismus.
Deswegen haben wir bei den Veranstaltungen mit diesen Menschen das Gefühl, daß sie trotz dem unterschiedlichen Vokabular alle das gleiche sagen. Es sind die Studien der local people, die zur Stärkung der Position der local people dienen, und die von Instituten gemacht werden, zu denen nur die local people einen Zugang haben. Von zwanzig und mehr Projekten des Wissenschaftsministeriums in den letzten Jahren zum Thema "Fremdenfeindlichkeit", ist kein einziges, wo die MigrantInnen auch etwas zu sagen haben. In keinem der Instituten, die sich dem Thema Migration verschrieben haben sind MigrantInnen zu finden.
Dahinter stehen die Aufträge der Regierung und sie wissen ganz genau, wozu sie Geld ausgeben und wozu nicht. Diesen Instituten wird danach die Respektabilität mit der von der Regierung, mittels PresseFörderung kontrollierter Presse, verliehen. So schließt sich der Kreis und die MigrantInnen sind nirgends dabei.
Man könnte meinen, daß die katastrophalen Entwicklungen von Rassismus in Österreich bei der Umsetzung dieser sogenannten Antirassismustheorien dazu führten, diese in Frage zu stellen. Aber nein, das Gegenteil ist der Fall: Die erklärung haben die Diskursmacher schon parat. Man hat sich bei der Umsetzung an diese Empfehlungen nicht strikt gehalten. Die PolitikerInnen haben, nach der Meinung von ExpertInnen, gegenteilig von dem gehandelt, was sie empfohlen haben.
Doch es gibt jetzt die MigrantInnen, die dieses Getriebe ein wenig sTüren können: Die politische Bewegung der Bunten und die TschuschenPower in Wien, die "kanak attack" in Deutschland, sind nur einige, die hier erwähnt werden. Mehr oder weniger deutlich zeigt sich der Widerstand gegen das herrschende hegemonielle Ideengut, das zu einem massiven Anstieg des Rassismus geführt hat. Dass der Prozess der Entmündigung der MigrantInnen jetzt mit einer neuen rechtsgerichteten Regierung in Österreich auch in Richtung ökonomisch schlechter stehenden local people, oder nicht nur da, sondern auch gegen die Mittelklasse der urbanen Bevölkerung hinführen wurde, dem gÀrt es langsam einzelnen Menschen in Österreich. Die Protestformen dagegen waren bis jetzt relativ einfältig: mit Kerzen und Blinklichter in der Hand auf dem Wiener Ring spazieren gehen.
Es passiert eine Umverteilung, das haben die MigrantInnen begriffen. Diese Umverteilung und Enteignung der eigenen Bevölkerung wird legitimiert durch die Entwicklungen der internationalen Wirtschaft. Diese Umverteilungen heißt in Österreich Sparpakete. Und nach inofizieller Sprachregelung ist es immer die EuropäischeUnion, die Österreich zu solche kürzungen zwingt, die heimischen PolitikerInnen waschen dabei ihre Hände in Unschuld.
Es ist das Problem von denjenigen in der Warteschlange der Enteignung, daß sie der Flut der medialen Bombardierung kein einheitliches Ideengut entgegensetzen können. Sie haben so etwas nicht. Deswegen der Ettikettenschwindel bei den Demonstrationen, wo die Mittelklasse mit Rassismus auf dem Mund und Angst um die eigene Entthronung im Herz sich mobilisieren ließ.
Diese Enteignung der eigenen Bevölkerung betreiben nicht nur die Rechten, sondern auch die Sozialdemokratie. Die SPÖ hat das Regierungsprogramm mitentwickelt, daß jetzt von rechten Kräften umgesetzt wird. Zwar bedeuten einige Schritte (Verhinderung der Wahl von Karl Schlügel als Parteivorsitzender) eine Distanzierung von dem früheren Blockdenken, doch hat man in der letzten Zeit den gegenteiligen Eindruck, daß sich diese Partei in der Opossitionsrolle sehr schwer tut. Statt eine Öffnung ist heute bei der SPÖ eine zunehmende Abkapselung zu konstatieren.
Ein Blick nach Europa macht die Lage noch klarer: die bilateralen Sanktionen gegen Österreich erfüllen perfekt die Aufgabe des Blickableiters und führen zu einer Konzentration auf die Ethnisierung der Gesellschaft, wobei sich unter diesem Deckmantel ein Neoliberalismus verbreitet und gedeiht. Und dieser kommt als Auftrag von der Europäischer Zentralbank, die niemandem Rechnung schuldig ist. Dabei gibt es Alternativen zur Hegemonie: Wahlrecht für MigrantInnen, affirmative Aktionen für die Benachteiligten, Umverteilung zugunsten der Gehaltsschwachen usw.
Kurz gesagt, die Gesellschaft soll demokratisiert, und die neoliberalen Herrschaftstendenzen auf ihren Platz verwiesen werden. Aus Oligarchien müssen Demokratien werden, die über die Unterdrückungsmechanismen hinausweisen.
Es ist nicht so, daß man den Armen und Unterdrückten die Schuld an ihrer Armut und Unterdrückung zuschreiben soll, sondern wir sollten die Ideen und das Einheitsdenken, die zu diesen verhältnissen geführt haben, in Frage stellen.
Text von Ljubomir Bratic