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[ 04. Oct 2017 ]

Das Gesetz der Stammtische. Herr Kern hört auf 'Sorgen und Ängste'

Die Rassismuskrise ist ein Problem von rechts, doch nicht nur - und dass sollte nicht vergessen werden - sie ist auch ein Problem linksliberaler Politik.

 

Es gilt dabei zwei Ebenen näher zu betrachten. Die Ebene der Rhetorik und die Ebene des geschriebenen Gesetzes. Die Kritik am Rassismus ist oft dazu geneigt, die Gesetze nicht zu hinterfragen und "Fremdenfeindlichkeit" als Problem einer klar abzugrenzenden, mit rassistischer Hetze agierenden Gruppe zu definieren. So wie im Widerstand gegen schwarz-blau ab dem Jahr 2000. Diese Bewegung erklärte die rechtskonservative Regierung unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel als allein verantwortlich für Rassismus. Vergessen waren all die Gesetze, die unter SPÖ Innenministern in den vergangenen drei Jahrzehnten beschlossen wurden.

Einer tat sich dabei besonders hervor. Innenminister Franz Löschnak war Anfang der 1990er Jahre der "Mann fürs Grobe" innerhalb der SPÖ. Nicht umsonst trug er den Beinamen als "Haiders bester Mann in der Regierung". Während der damalige FPÖ-Chef für die rassistische Hetze verantwortlich zeigte, goss Löschnak diese in Gesetze - mit Unterstützung seiner Partei. Die Behauptung, dass er dabei von Haider getrieben wurde, ist in Frage zu stellen. Denn Löschnak selbst publizierte immer wieder rassistische Pamphlete, die seine Einstellung mehr als deutlich machten. Auf dieses Kapitel sozialdemokratischer Politik soll hier nicht weiter eingegangen werden, welche_r sich dafür interessiert, kann dazu umfassende Literatur finden.

Ein Sprung von 20 Jahren in der Geschichte, in denen die SPÖ sowohl eine Verschärfung des Asyl- und Fremdenrechts unter schwarz-blau (Stichwort: Integrationspaket) als auch in Koalition mit der seit dem Jahr 2000 das Innenressort leitenden ÖVP beschlossen hat.
Doch dann kam 2015 und eine Erosion des über lange Jahre hinweg installierten Grenzregimes erschütterte Europa: Geflüchtete und Migrant_innen setzten Tatsachen, indem sie unüberhörbar an den Zäunen rüttelten und unkontrolliert bis ins Zentrum der EU wanderten. Und genau diese Unkontrollierbarkeit von Migration, die plötzlich sichtbar wurde, gemeinsam mit den Bildern von Toten, die nicht mehr nur aus dem fernen Mittelmeer bis ins Zentrum vordrangen, sondern vor der eigenen Haustüre für Empörung sorgten, riefen die Hetzer_innen von rechts bis links auf den Plan. Einer der sich als Manager in der "Krise" hervortat, ist Hans Peter Doskozil. Er machte in der Folge einen großen Karrieresprung - vom rot-blau regierten Burgenland ins Ministerbüro in Wien. Als neuer Verteidigungsminister wurde er Sinnbild einer neuen Positionierung innerhalb der SPÖ die sich daran machte, im Gleichschritt mit der ÖVP ein neues Grenzmanagement zu installieren.

Und dann kam Kern, dessen Aufgabe es ist, sozialdemokratische Werte wieder mehrheitsfähig zu machen und die Regierungsmacht der SPÖ zu sichern. Dass ihm dabei Sebastian Kurz, Emporkömmling aus einer ÖVP-Kaderschmiede in die Quere kam, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch was ist Kerns Antwort auf den rechten Populismus von Kurz? Die Stammtischvideos der SPÖ geben hier einen mehr als deutlichen Einblick, wie die SPÖ ganz im Stile des Rechtspopulismus auf die "Sorgen und Ängste" der Bevölkerung - des Wahlvolkes - appelliert.


Die Lehre aus den Stammtischgesprächen von Kanzler Kern


Die SPÖ betreibt nicht nur rassistische Propaganda, nebenbei betreibt sie eine Verharmlosung von Rassismus, Rechtsextremismus und der damit zusammen hängenden Gewalt. Denn dieser wird auf die Rechten reduziert, auf Neonazis. Und diese würden vor allem aus Unwissenheit handeln, nicht aus ideologischen Motiven.

Im Teil 2 der Stammtischvideos der SPÖ kam ein Geflüchteter zu Wort, der seit langem in die Gesellschaft "integriert" ist. Er spricht gut deutsch und ist Teilnehmer des kritischen Stammtisches, der Wert darauf legt, die sozialdemokratischen Werte zu leben. Der Mann berichtet aus seiner Zeit als Flüchtling, in der er einen Brandanschlag durch Neonazis erlebte. Sein Bruder war mit einem der Täter befreundet, bzw. spielte mit diesem Tischtennis. Nachdem der Neonazi zugab, am Anschlag beteiligt gewesen zu sein, nahm ihn der Flüchtling an der Hand und führte ihn in die Unterkunft. Und als der Neonazi sah, wie die Menschen in der Flüchtlingsunterkunft lebten, da wurde ihm klar, dass es sich bei diesen auch um Menschen handelt. Was liegt hinter dieser Aussage? Muss ich Menschen erst mal kennen lernen, damit ich sie als Menschen wahrnehmen kann? Welche Einstellung liegt hinter dieser Auffassung? Abgesehen davon, dass die "Guten" im Teil 2 der SPÖ Stammtischvideos vorkommen, dient dieses Video vor allem dazu, den stark kritisierten ersten Teil zu relativieren. Denn Herr Kern hat für alle ein Ohr, er will sich mit den Problemen aller Menschen auseinandersetzen - und die wahren Probleme ernst nehmen.

Zurück zur Aussage der o.g. Läuterung eines Neonazis: Dadurch, dass dieser mit den von ihnen Gehassten zusammengebracht wurde, konnte er erst erkennen, dass es sich bei denen auch um Menschen handelt. Fragt sich nur, wie er mit einem Flüchtling Tischtennis spielen konnte, ohne ihn als Mensch wahrzunehmen. Kein Wunder, dass Herr Kern von diesem "beeindruckenden Beispiel" angetan ist:
"Und das bringt ja zum Ausdruck, wie wichtig das ist, dass sich Menschen mit Zivilcourage engagieren. Und da haben wir sozusagen eine gemeinsame Aufgabe. Ich muss sagen, das, was Sie damals gemacht haben, ihr Bruder gemacht hat, ist natürlich die wirksamste Form, Menschen zu zeigen, dass es sich hier auch wiederum um Menschen handelt, mit denen man es zu tun hat."
Diese Herangehensweise negiert, dass Rassismus untrennbar mit ungleichen Rechten und Pflichten zusammen hängt, die wie jede Form von Diskriminierung Macht- und Herrschaftsverhältnisse zum Ausdruck bringen. Dadurch werden die gesellschaftlichen Unterschiede und Privilegien erst festgeschrieben. Deshalb wirkt Rassismus in der gesellschaftlichen Hierarchie IMMER von oben nach unten. Menschen, denen Rechte verweigert werden, können von denen, die (etwas) weiter oben in der Hierarchie stehen, ohne nennenswerte Konsequenzen diskriminiert und beleidigt, ausgenutzt und unterdrückt werden.

Es ist sehr einfach, Fremde zu hassen, doch bedingt die unterprivilegierte Position, dass es äußerst schwer ist, fremd zu sein. Doch eben dies wird von einem Diskurs, der sich rein auf moralische Werte bezieht, negiert. Unabhängig davon, ob diese Werte nun christlich, liberal oder sozialdemokratisch sind. Der reale Machtverhältnisse negierende, moralisierende Diskurs führt dazu, dass die "Fremden", die "Ausländer_innen", die "Geflüchteten" erst mal nicht als Menschen, sondern als bemitleidenswürdige Opfer wahrgenommen werden. Dies gehört zur Politik der Unterwerfung.

Die "Fremdenfeindlichkeit" - und im aktuellen Diskurs vor allem die "Islamfeindlichkeit" - wird darauf zurückgeführt, dass die Menschen nicht zusammen kommen würden. Teil 2 der Stammtischvideos beschreibt die sozialdemokratische Lösung des Problems: "Wenn Menschen einander begegnen, und das ist eben Solidarität, das sind die sozialdemokratischen Werte, dann muss es und wird es auch funktionieren."

Was folgert sich daraus in Zusammenhang mit der Debatte über Integration: Wenn sich Menschen "nicht integrieren wollen", wenn sie sich "abschotten" und in einer "Parallelgesellschaft" leben, dann sind sie selbst schuld, dass sie angefeindet werden. Sie werden ausgegrenzt, als eine Bedrohung wahrgenommen, als die Bösen die nichts gutes im Schilde führen würden. Es wird ihnen unterstellt, dass sie es sich auf Kosten der Allgemeinheit einrichten wollen. Um sich von diesem Verdacht zu befreien, wird von ihnen verlangt, sich zu unterwerfen, oder mit den Worten des Sozialdemokratischen Politikers im Teil 1:

"Aber der entscheidende Punkt ist. Jeder muss sich an unsere Regeln halten. Und das heißt, die müssen deutsch können, es müssen alle sich an unsere Werte halten, es muss klar sein, dass man einer Frau die Hand gibt, diese Dinge möcht i ned diskutieren. Und wenn's an Regelverstoß gibt, dann ist auch klar, dass jemand der bei uns ins Land gekommen ist und sich net an die Spielregeln hält, da net bleiben kann. Punkt um."[/i9

Die Regeln wollen die vorgeben, die "etwas zu reden haben", wie eben die Leute am Stammtisch. So beschwert sich die sich selbst als [i]"wirklich ka Ausländerfeind"
bezeichnende Frau, die für Stammtisch 1 das Wort ergreift.
"Des kanns net sei, des is mein Land. Ich bin geboren in Österreich, (...) De wos zu uns kemman de miasn sich an mich anpassn und ned i on erna."

Sie müssen sich anpassen, oder mit anderen Worten gesagt: Sie müssen sich unterwerfen. Und damit sie dies auch tun, werden ihnen die gleichen Rechte von Anfang an verwehrt. Gleichzeitig sind es aber genau diese Menschen, die die Drecksarbeit in der Gesellschaft machen müssen, für die sich die Privilegierten zu gut sind. Und sehr oft sehen sich Menschen, die über ein hohes Einkommen verfügen als Samariter_innen, wenn sie die Unterprivilegierten - meist für wenig Geld - den Dreck weg räumen lassen. Einen Job, für den sich viele zu gut vorkommen.

Die SPÖ und ihr Obmann Kern bedienen mit ihrer Propaganda eben diese Einstellung, statt Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität ernst zu nehmen. Doch, wie Kern im ersten Teil der Stammtischvideos ausführt, wird Politik "ja bekanntlich am Stammtisch gemacht." Deshalb hört er sich dort an, welche Probleme den Menschen unter den Nägeln brennen.
Der "Volksmund" des Stammtisches weist freilich jede Anschuldigung von Rassismus weit von sich. So weit, dass der Begriff Rassismus nicht einmal verwendet wird, sondern: "I selba bin wirklich ka Ausländerfeind, aba gwisse Dinge muas i afoch aussprechen kenna. Ohne wenn und aber." Die Leute argumentieren rassistisch und behaupten gleichzeitig, dass sie frei von "Ausländer_innenfeindlichkeit" sind.

Und wie ist das mit Christian Kern? Welche Lösung schlägt er vor? Geben wir ihm das Wort:

"Weil wir wissen, hier sind Menschen zu uns gekommen, teilweise aus traumatisierten Situationen, aus Krieg, aus Zerstörung. Auch Folter. Und sie werden in Zukunft Teil unserer Gesellschaft sein. Weil sie nach der Menschenrechtskonvention auch tatsächlich einen guten Asylgrund haben, um bei uns zu bleiben. Und weil das so ist, ist aus meiner Sicht klar, wir müssen diesen Menschen helfen, Teil unserer Gesellschaft zu werde. Und wir müssen es schaffen, ein Zusammenleben in Vielfalt zu organisieren."

Doch was ist mit den Menschen, denen unterstellt wird, dass sie keinen "guten Grund" haben, "um bei uns zu bleiben"? Haben die keine Rechte? Und was ist, "wenn jemand aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommt"? Wer entscheidet, wer einen "guten Grund" hat? Dem ist entgegenzuhalten, dass Rassismus so lange existieren wird, solange Menschen über unterschiedliche Freiheiten und Privilegien verfügen. Denn Rassismus ist vor allem eines: Die Ausübung von Macht! Und eben diese will die SPÖ mit ihrer Politik verteidigen.