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[ 27. Jun 2008 ]

Revolte im Abschiebegefängis von Vincennes

Abschiebehaftanstalt in Vincennes brennt

Am Sonntag, 22. Juni 2008 wurde das Abschiebe- gefängnis von Vincennes, die größte Abschiebe- haftanstalt Frankreichs, durch mehrere vorsätzliche Brände vollständig zerstört. Auslöser war der Tod eine der Gefangenen, dem laut Medienangaben ärztliche Hilfe verweigert wurde. Einige Gefangene nutzen die Gelegenheit zur Flucht.

 

Aufstand, Feuer und Flucht


Zum Zeitpunkt der Revolte waren 249 AusländerInnen ohne Papiere, deren Abschiebung vor der Entscheidung steht, in Haft. Bereits seit Ende 2007 kommt es in dieser Abschiebungshaftanstalt immer wieder zu gemeinsamen Protesten und Aktionen der Gefangenen. Ein Gefangener berichtete, das Feuer habe im Zusammenhang mit einem Gefangenenaufruhr gestanden, der am Sonntagnachmittag begonnen hatte. Anlass war der Tod eines tunesischen sans-papiers, der - so offizielle Stellen - infolge eines Herzinfarktes am Vortag gestorben war. Die Gefangenen hatten gegen 15.45 Uhr in verschiedenen Teilen der beiden Gebäude der Haftanstalt Matratzen angezündet, während draußen eine Kundgebung zu ihrer Unterstützung stattfand.

Schwerverletzte sind nicht zu beklagen. Mindestens 14 verletzte Gefangene hat der kommunistische Abgeordnete Brard gezählt, als er am Sonntag um 18 Uhr Zugang zum Abschiebegefängnis bekam. Die Verletzungen wurden durch Tränengas verursacht, das von den Ordnungskräften eingesetzt wurde, um eine Demonstration der Gefangenen aufzulösen.

Vierzehn Gefangene konnten nach dem Brand flüchten, andere Berichte sprechen von fünfzig Gefangenen. Die übrigen Gefangenen sollen auf verschiedene Abschiebungshaftzentren verteilt werden (Toulouse, Lille, Palaiseau, Paris). Diese Verlegungen wollen AnwältInnen zum Anlass nehmen, um vor Gericht die Aufhebung ihrer Abschiebungshaft zu erreichen.


Rassistische Stereotype


Die Polizei versichert, gegen den tunesischen Gefangenen sei keine Gewalt angewandt worden. Am 17. und 19. Juni sei er von einem Arzt untersucht worden, der keine Bedenken gegen seine weitere Inhaftierung hatte. Eine polizeiliche Untersuchung über den Tod des Gefangenen wurde eröffnet. Die Pariser Präfektur veröffentlichte Informationen über den tunesischen Gefangenen, die mit seinem Tod wenig mit einer Verteidigungsstrategie der Pariser Sicherheitskräfte aber sehr viel zu tun hat: Von ihm sei bekannt, dass er wiederholt schwere Straftaten unter verschiedenen Identitäten begangen habe, wie Drogenhandel, Gewalttaten und Vergewaltigungen.

Damit wird einmal mehr auf ein rassistisches Stereotyp zurückgegriffen, mit Menschen aus Afrika als gewalttätig und als Bedrohung dargestellt werden. Es ist nicht das erste mal, dass Behörden auf derartige Darstellungen zurückgreifen, wenn in ihrem Gewahrsam ein Mensch umgebracht wird. Zu nennen sind der Fall von :: Marcus Omofuma, bei dem argumentiert wurde, sein Mund sei verklebt worden, weil sich die Beamten vor seinen Bissen schützen mussten. In Medienberichten wurde er als gewalltätig dargestellt. Marcus Omofuma erstickte in Folge der Knebelungen durch die drei Fremdenpolizisten, die seine Abschiebung durchführten.

Ein weiteres Beispiel ist der Tod :: Osamuyia Aikpitanhi, der am 9. Juni 2007 im Zuge einer gewaltsamen Deportation von Spanien nach Nigeria umgebracht wurde. Er wurde geschlagen, an Händen und Füßen gefesselt und geknebelt - mit einem Tuch im Mund und Klebeband um seinen Kopf. Osamuyia Aikpitanhi's Widerstand gegen die Deportation wurde erstickt. In der Folge rechtfertigten offizielle Stellen das brutale Vorgehen der Beamten damit, dass der Umgebrachte in Nigeria wegen Mordes und Vergewaltigung gesucht wurde. Doch wie sich später herausstellte, handelte es sich dabei um eine Lüge, denn bei den nigerianischen Behörden, die aufgrund zahlreicher Protestaktionen eine Untersuchungsdelegation nach Spanien schickten, wussten nichts von derartigen Vorwürfen. Die spanischen Behörden stellten trotz offizieller Aufforderung aus Nigeria die falschen Behauptungen nie richtig.


Revolten gegen Abschiebungen


Die MigrantInnenorganisationen in Frankreich sind der Ansicht, dass der Tod des tunesischen sans-papiers auf die Politik der Regierung und die Bedingungen in den Abschiebungshaftanstalten zurückzuführen ist. Der Vorsitzende der Flüchtlingsorganisation France Terre d'asile forderte das Parlament auf, sich mit dem Vorfall zu beschäftigen und die Regierung eine Erklärung abzugeben.

Die Abschiebungshaftzentren seien gegenwärtig überbelegt und die Spannungen dort hätten sich verschärft, so MigrantInnenorganisationen. Auf Initiative von Präsident Sarkozy seien jährliche Abschiebungszahlen festgelegt worden. 2007 hat die Regierung ihr Ziel von 25.000 Abschiebungen nicht erreicht. Für 2008 hatte Premierminister Fillon die Zahl von 26.000 Abschiebungen als Ziel genannt. Der Migrationsminister Hortefeux hatte sich noch am Donnerstag zu der Erhöhung der Abschiebungszahlen von sans papiers um 80 % in den ersten fünf Monaten des Jahres beglückwünscht. Die Flüchtlingsorganisation Cimade, die einzige Organisation, die Zugang zu den Abschiebungshaftanstalten hat, hat am Sonntag in einer Presseerklärung erneut darauf hingewiesen, dass sie bereits seit Monaten auf die angespannte Situation in der Haftanstalt von Vincennes hinweist.

Nach :: Protesten im Dezember 2007 begannen :: Mitte Jänner 2008 Proteste, bei denen die Gefangenen das Essen verweigerten als auch zurück in ihre Zellen zu gehen. Sie fordern die sofortige Schließung solcher Gefängnisse. Die Behörden reagierten immer wieder mit Gewalt auf die Proteste der Gefangnen. In einem Bericht auf :: migreurop.org ist zu lesen:

Dieser tägliche Widerstand richtet sich gegen den Aufbau des Gefängnisses, gegen die ständigen Durchsuchungen und Demütigungen, denen die Häftlinge ausgesetzt sind. Dieser Widerstand hat kein Anfang und kein Ende, keine Grenzen. Jeder Neuankömmling beteiligt sich an ihm. Allein Isolationshaft und gewaltsame Unterdrückung können den Aufstand in Vincennes beenden. Er wird andauern, wenn wir weiterhin im Gefängnis anrufen, die Häftlinge besuchen, die Aussenwelt über die Geschehnisse informieren und Demos organisieren. Er wird andauern, wenn die Bewegung von neuen Akteuren getragen wird, wenn sich ihr neue Gruppen, Kollektive und Einzelpersonen anschliessen. Der Widerstand wird andauern, wenn er in andere Gefängnisse, andere Städte, ja, in die gesamte Gesellschaft getragen wird. Er wird andauern und sich ausweiten, wenn wir gemeinsam mit den Häftlingen Widerstand leisten.

Dieser Bericht erschien zuerst am 23. Juni 2008 auf :: buerengruppe.wordpress.com, er wurde hier überarbeitet und erweitert von no-racism.net veröffentlicht.