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[ 02. Mar 2009 ]

Töten ohne Konsequenzen?

Kundgebung zum Prozessbeginn gegen die Fremdenpolizisten, Korneuburg, 03. Mar 2002

Dokumentation eines Berichtes der den Tathergang des Todes von Marcus Omofuma und den Prozess gegen die drei Fremdenpolizisten zusammenfasst: Vom Rassismus vor Gericht über die Deckung von ganz oben bis zur systematischen Gewaltanwendung bei Deportationen.

 


Töten ohne Konsequenzen?
Das Urteil gegen drei Fremdenpolizisten klingt wie ein Freibrief



Als am 1. Mai 1999 drei Beamte der österreichischen Fremdenpolizei damit begannen, eine Abschiebung durchzuführen, starteten sie eine zwar nicht alltägliche aber doch durchaus übliche Amtshandlung. Da bei der Abschiebung von Marcus Omofuma mit Widerstand zu rechnen war, wurden drei Beamte zur Begleitung des Schubhäftlings nach Nigeria eingeteilt. Sie sollten die Gelegenheit nutzen, Marcus Omofuma abzuschieben, bevor er in seinem laufenden Asylverfahren, das in zweiter Instanz abgewiesen wurde, einen weiteren Schritt einleitet. Ein durchaus übliches Vorgehen.

Die Fremdenpolizisten brachten Marcus Omofuma mit einem Bus zum Flughafen Wien-Schwechat. Alles sei ruhig verlaufen, bis sie das Rollfeld erreichten. Dort hätte der Gefangene plötzlich begonnen, um sich zu schlagen, um sich selbst zu verletzen und so die Abschiebung abzubrechen. Sogar einen Fluchtversuch hätte er begangen. Gemeinsam mit am Flughafen zur Unterstützung von Abschiebungen anwesenden Kranichen (Flughafenpolizei) gelang es, den sich gegen die Abschiebung Wehrenden zu fesseln und zu knebeln. Irgendwann - ein paar Tage später - wurde dann davon gesprochen, Marcus Omofuma hätte gebissen. Die Kronenzeitung, die auflagenstärkste Tageszeitung in Österreich mit einer Reichweite von ca. 40 Prozent, titelte: "So tobte der Schubhäftling" und wurde dafür vom Presserat verurteilt. Doch die Vorverurteilung des Getöteten war längst geschehen.

Der sich nicht mehr bewegen könnende Gefangene wurde dann von zwei Kranichen in das bereits mit PassagierInnen besetzte Flugzeug getragen und auf seinem Sitz gesetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt habe keine strafbare Handlung vorgelegen, darüber waren sich Staatsanwalt, Richter und Verteidigung einig.

Selbst konnte Omofuma zu diesem Zeitpunkt aufgrund der ihm "zu seinem Schutz" - wie vor Gericht zynisch formuliert wurde - angelegten Fesselungen nicht mehr gehen. Die vor Gericht erschienenen PassagierInnen waren sich jedenfalls darüber einig, dass von Marcus Omofuma keine Gefahr ausging, vielmehr erkannten sie, dass es sich um einen Menschen handelte, der sich in einer Notlage befand, der Angst hatte. Eine Person, die um ihr Leben kämpfte.

Die begleitenden Beamten waren sich demgegenüber einig, dass das Verhalten des ihnen Anvertrauten sie dazu rechtfertigte, das mitgebrachte Set einzusetzen. Dieses bestand laut Aussagen vor Gericht aus Leukoplast, Klebebändern und Klettverschlussbändern, die bei Abschiebungen von Beamten zu Beamten weitergegeben wurden und nicht zur offiziellen Ausrüstung gehörten, sondern privat angekauft wurden.


"Verkleben"


Als erwiesen sieht das Gericht jedenfalls an, dass Marcus Omofuma folgende Behandlung erfuhr: Verklebung des Mundes, vertikale Fixierung des Unterkiefers, Fixierung des Kopfes an die Kopfstütze, Verklebung der Brust vom Ellbogen bis zur Schulter an die Rückenlehne, kurzzeitiges Anbinden mit Klettband im Brustbereich und - wenn er stöhnte - weitere 2 oder 3 Schläge mit Paketklebeband, wodurch ihm jede Möglichkeit, sich zu bewegen oder zu artikulieren, genommen wurde. Marcus Omofuma saß und hatte die Hände zwischen den Schenkeln. Darüber wurde der Beckengurt fest angezogen, was den Druck verstärkte, und was auch die Zwerchfellatmung, die oft als Reserve bei Atemproblemen hilft, unmöglich machte. Die "Fixierung" wurde so fest angebracht, dass die Lunge einer Kompression unterlag. Aufgrund dessen erfolgte ein langsamer Erstickungstod über mindestens eine halbe bis zu einer Stunde.

Dass die Beamten Marcus Omofuma "verklebten", wie das Festzerren mit Klebeband am Sitz und die Knebelung benannt werden, war nicht das Problem an sich. Sie wurden vor allem dafür schuldig gesprochen, dass sie die mehreren Schichten Klebeband, die sie über den Mund des Anzuschiebenden angebracht hatten, nicht (rechtzeitig) abgenommen hatten, bevor Marcus Omofuma erstickte.

Das Urteil des Schöffensenates am Landesgericht Korneuburg unter Vorsitz von Richter Fiala lautet: Schuldig nach Paragraf 81 StGB (Strafgesetzbuch) der "fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen". Das Strafmaß (Strafrahmen drei Jahre) fiel mit acht Monaten bedingt auf drei Jahre plus Ersatz der Kosten aus dem Verfahren relativ mild aus. Die Begründungen dafür: der Lebenswandel der Angeklagten, deren bisherige Unbescholtenheit, ihr Beitrag zur Wahrheitsfindung, die lange Verfahrensdauer, der Umstand, dass die Angeklagten nicht alleinschuldig seien sondern auch "Leute, die dahinterstehen" und eine gewisse Mitschuld Marcus Omofumas.

Während das Verhalten der Polizisten als fahrlässig bezeichnet wurde, sollte kein Zweifel aufkommen, dass der Getötete selbst mitschuld ist an seinem Tod. Die Aussagen von PassantInnen während antirassistischer Protestaktionen vor dem Landesgericht Korneuburg wie "Er war ja selber schuld" oder "hätte er nicht so getobt" etc. wurden somit vom Gericht bestätigt. Marcus Omofuma war zwar kein Drogendealer, doch sein Widerstand gegen die Staatsgewalt hätte auf jeden Fall zu einer Verurteilung geführt. Auch wenn der Widerstand Omofumas als Todeskampf bezeichnet werden kann - eine Deportation nicht über sich ergehen lassen und sich widerrechtlich hier (in Österreich, Anm.) aufzuhalten - das rechtfertigt viel.


Deckung von ganz oben (*)


Ende Juli 2002 entschied das Justizministerium, dass laut schriftlichem Urteil vom Landesgericht Korneuburg gegen die Fremdenpolizisten ein "vorsätzliches Quälen eines Gefangenen" nicht nachweisbar sei. Im Justizministerium bezog sich dabei auf die 60 seitige Urteilsausfertigung von Richter Alexander Fiala. Darin war, wie bereits ausgeführt, von einer "gewissen Mitschuld des Häftlings" die Rede, weil er den Beamten die Abschiebung so schwer gemacht habe. Die Opfer-TäterInnenunkehr wurde vom Ministerium bekräftigt. Für die Beamten ist diese Entscheidung ein Signal - sie haben nichts zu fürchten, selbst dann nicht, wenn in ihren Händen ein Mensch gequält, gefoltert oder umgebracht wird.


Was tun?


Eine Zeugin sagte vor Gericht: "Irgendwann hat man das Gefühl, man muss aufstehen und etwas unternehmen." Mehrmals waren PassagierInnen während des Fluges an die Crew sowie an die begleitenden Beamten herangetreten, um diese mit der Behandlung Marcus Omofumas zu konfrontieren. Für diese waren jedoch nach eigenen Angaben an den vergangenen Prozesstagen "Problemabschiebungen", bei denen es häufig zu Fesselungen und Knebelungen kam, gängige Praxis. Deshalb verwundern die Antworten nicht: "Wir tun nur unseren Auftrag" (von den Fremdenpolizisten) oder: "Wir können nichts tun" (von der Crew). Ein Passagier aus Bulgarien hätte die Beamten sogar gewarnt, dass sie aufpassen sollen, dass ihnen der Mann nicht erstickt. Eine Aussage, die für das Urteil keine Rolle spielte. Handelten die Beamten dem Urteil zufolge doch ohne Vorsatz.

Die Schuld ergebe sich daraus, dass "wenn ich jemanden so herrichte und für diese Person verantwortlich bin" (Richter Fiala), "damit zu rechnen sei, dass was passiert und eine erhöhte Verpflichtung bestehe, dafür zu sorgen, dass kein Schaden eintrete". Die Beamten hätten zumindest Sorge tragen müssen, mit ihrem Gefangenen zu kommunizieren. Jedenfalls starteten sie zu keinem Zeitpunkt den Versuch, die "Verklebungen" abzunehmen.


Kein Fehler im System


Knebelungen (Verklebungen) und Fesselungen standen zumindest bis Mai 1999 in Österreich auf der Tagesordnung. Und dies, obwohl es ein rechtskräftiges Urteil des UVS aus dem Jahr 1996 gibt, in dem das Verkleben der Atemwege ausdrücklich verboten wird. Heute stellt sich die Frage: Wie wird jetzt vorgegangen? Welche Maßnahmen werden angewandt; insbesondere bei so genannten "Problemabschiebungen", die [im Jahr 2002, Anmerkung] in Österreich mit Charterflugzeugen des Internationalen Flugrettungsdienstes Austria (IFRA) durchgeführt werden? Dort gibt es keine ZeugInnen. [Anm: Zur Durchführung von Charterdeportationen, die seit 2002 massiv zugenommen haben, siehe :: Die 'europäische Rückführungspolitik': Ein rassistisches Projekt (09. Jul 2007)]

Der sogenannte Menschenrechtsbeirat, der kurz nach dem Tod Marcus Omofumas zur Behebung von "Missständen" bei der Exekutive gegründet wurde, wird in den Abschiebevorgang involviert. So verwundert es auch nicht, dass der Vorsitzende des Menschenrechtsbeirates in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Innenminister Strasser (ÖVP) und dem damaligen Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Erik Buxbaum, die Meinung vertrat, dass das Thema Misshandlungen heutzutage keine Rolle mehr spiele: "Wir haben nichts vorgefunden". Der Menschenrechtsbeirat überprüft jedoch bloß die Durchführung auf "Menschenrechtskonformität", die Praxis selbst wird nicht in Frage gestellt, denn sonst müsste er zum Schluss kommen, dass Abschiebehaft und Deportationen im Lichte der Menschenrechte unhaltbar sind.

Das Gericht empfand, dass das System selbst nicht für schuldig erklärt werden könne. Dies und die Feststellung in der Urteilsbegründung, dass die Amtshandlung im großen und ganzen für rechtens erklärt wurde, zeigen deutlich, dass eine tatsächliche Änderung der Abschiebepraxis vom Gericht nicht in Erwägung gezogen wurde. Knebeln und Fesseln von abzuschiebende Personen wird ebenso toleriert wie der Umstand, dass Leute gegen ihren Willen deportiert werden.

Dem muss klar entgegengehalten werden: Abschiebungen unter Zwang können niemals menschenrechtskonform verlaufen, sondern stellen stets einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Menschenrechte dar. Nur um eine Person außer Landes zu schaffen, wird die persönliche Freiheit geraubt, wird massiv körperlich bedroht, wird gequält und auch getötet. Das (noch nicht rechtskräftige) Urteil im Prozess gegen die drei Fremdenpolizisten, die Marcus Omofuma am 1. Mai 1999 im Zuge einer zwangsweisen Abschiebung töteten, kann auf jeden Fall wie ein Freispruch gesehen werden.

Dieser Text eines Prozessbeobachters erschien im Sommer 2002 in der der :: ZAG - antirassistische zeitschrift (Nr 41) und wurde hier leicht bearbeitet und um den mit * gekennzeichneten Abschnitt ergänzt.