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[ 16. Feb 2018 // letzte änderung: 18. Feb 2018 ]

Es ist Zeit: Für einen Stopp aller Abschiebungen!

Roter Drache - Symbol für Bewegungsfreiheit

Am 17. und 18. Februar 2018 protestieren quer durch Europa Menschen für einen Stopp von Abschiebungen. Die Proteste richten sich insbesondere gegen die Abschiebung von Geflüchteten in Kriegsgebiete, wie Afghanistan.

 

Afghanistan ist nicht sicher


Ein Auslöser für den Aufruf zum europaweiten Protestwochenende war, dass die Europäische Union immer mehr Menschen nach Afghanistan abschiebt. Obwohl die :: Lage in Afghanistan keinesfalls als sicher angesehen werden kann und im Jahr 2017 laut Angaben der UNO täglich 29 Zivilist_innen entweder getötet oder verletzt wurden. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 3438 zivile Todesopfer und 7015 Verletzte im Zuge militärischer Auseinandersetzungen, Anschläge und gezielter Attentate von der UNO registriert, was eine Anzahl von 10453 unmittelbarer ziviler Opfer ergibt. 2016 waren es 11418, davon 3498 Tote und 7920 Verwundete.

Viele Menschen sind Ziel vorsätzlicher Angriffe von Milizen wie Taleban und Daesch, die u.a. ziviles Regierungspersonal als "legitime Angriffsziele" betrachten und für mindestens zwei Drittel der Opfer verantwortlich sind. Knapp 20 Prozent der Opfer in der Statistik von 2017 gehen auf Kampfhandlungen von Regierungstruppen, regierungstreuen "Milizen" und ausländischen Streitkräften zurück.

Seit 2009 gab es nach UN-Zählung 80500 zivile Opfer im Afghanistan-Krieg, davon wurden 28291 getötet und 52366 verletzt. Davor gab es keine Zählungen. Unklar ist, wie hoch die Dunkelziffer ist. Die Menschen in Afghanistan leben in Unsicherheit, viele haben Angehörige und Freund_innen verloren. Deshalb ist die hohe Zahl jener, die sich zur Flucht entscheiden, kein Wunder. Sie fühlen sich ihres Lebens bzw. ihrer Gesundheit nicht sicher.


Nein zu Abschiebungen nach Afghanistan


Die offiziellen Zahlen belegen, dass die Lage in Afghanistan nach wie vor sehr unsicher ist. Nichts desto trotz hat die EU Ende 2016 ein Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan abgeschlossen, das den bezeichnenden Namen "Joint Way Forward" trägt (mehr dazu :: hier). Mit der Unterzeichnung dieses Abkommens stimmte die Regierung Afghanistans der Rücknahme von mindestens 80.000 Personen zu, die vor der Gewalt in Afghanistan nach Europa geflüchtet waren. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Lage in Afghanistan durch Abschiebungen aus Pakistan und Iran und die 1,5 Millionen Binnengeflüchteten sehr prekär ist. Für "Rückkehrer_innen" gibt es kaum Perspektiven und die Möglichkeit, einen Job zu finden ist für die meisten Menschen gleich Null. Darüber hinaus ist bekannt, dass ehemalige Flüchtlinge immer wieder ein Angriffsziel diverser bewaffneter Gruppierungen sind.

Die Politiker_innen aus Afghanistan unterzeichneten das Rückübernahmeabkommen mit der EU nicht ohne Gegenleistung. So sagte die EU Afghanistan eine finanzielle Unterstützung von bis zu 14 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre zu. Eine Vorgehensweise, die von der EU und ihren Mitgliedsstaaten immer öfter angewendet wird. Weigert sich ein Staat Abschiebungen zuzustimmen, wird damit gedroht, Subventionen zu streichen. Einer, der diese Politik in Europa weiter forcieren will, ist der österreichische Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Und er steht damit keinesfalls alleine da. Mit dem Argument gegen illegalisierte Migration und "Menschenhandel" vorzugehen, werden Staaten erpresst, sich am Geschäft mit Abschiebungen zu beteiligen - eine andere :: Form des Menschenhandels, oder wie der Flüchtlingsrat Hamburg in einer Aussendung die zugesagten Millionenbeträge bezeichnet: "Geld welches dubios versickert, eingenommen durch das Verschachern von Menschen."

Als Alternative schlägt der Flüchtlingsrat vor: "Statt mit der korrupten Regierung ein Deal zu machen, sollte die Europäische Union die Verantwortlichkeiten dieser Regierung klar und deutlich machen, so dass sie ihre wichtigsten Aufgaben nämlich für die Sicherheit ihrer Bürger[_innen] zu sorgen und deren Leben und Eigentum vor Terrorist[_inne]en zu schützen erfüllen."

Klar ist, dass Afghanistans politische Führung Geld braucht, um Stabilität in das eigene Land zu bringen. Die Staaten in Europa könnten dies unterstützen. Wie gering das Interesse der Regierenden an der Sicherheit der Bevölkerung ist, zeigt der Umstand, dass nicht mal jenen Menschen Sicherheit gewährt wird, die in hier Schutz suchen. Sie werden aus Europa - wie auch anderen Ländern - in eine unsichere und oft lebensgefährliche Situation abgeschoben.


Falsche Tatsachen


Um ihre Politik besser verkaufen zu können, behaupten die Abschiebebehörden entgegen jeglicher Realität, dass die Situation in Afghanistan sicher sei. In Österreich bedienen sich die Behörden dazu :: eines mehr als dubiosen Gutachtens. Dieses stammt vom 64-Jährige Geschäftsmann Karl Mahringer, der als gerichtlich beeideter Sachverständiger in Österreich agiert. Seine Gutachten werden als Grundlage für Asylentscheide herangezogen.

Laut Mahringer sei das Land sicher, wenn man sich an Sicherheitshinweise halte und gewisse Gebiete meide, außerdem seien viele der verübten Attacken nicht politisch motiviert. Die Lebensrealität wird entweder vollkommen außen vor gelassen oder komplett falsch dargestellt (siehe dazu :: "Ach wie schön ist Afghanistan": Proteste in Österreich gegen unseriösen Asyl-Gutachter.) Als eigentlichen "Fluchtgrund" nennt der "Gutachter" zynischer Weise unter anderem Fluchthelfer*innen. Dazu muss angemerkt werden, dass die als "sicher" geltenden Zonen meist nur von Diplomat_innen, Geschäftsleuten und der High Society betreten werden dürfen. Geflüchtete aus Afghanistan sprechen in diesem Zusammenhang von "roten Zonen", die massiv von Militär bewacht werden. Doch selbst dort kommt es immer wieder zu Anschlägen.


Ständige Unsicherheit


Die Sicherheitslage in Afghanistan ist seit der britischen Invasion im Jahr 2001 (und davor) mehr als prekär. Der Global Peace Index 2017 stufte Afghanistan als das nach Syrien unsicherste Land der Erde ein.

Die Menschen im Land leben unter ständiger Gewalt und Terror. Die Anzahl der traumatisierten Zivilist_innen ist schockierend. 2009 gab das afghanische Gesundheitsministerium an, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung an psychischen Problemen leiden, welche in einem der instabilsten Länder der Erde jedoch nicht entsprechend behandelt werden können.

Es geht jedoch nicht nur um die zahlreichen gewalttätigen Konflikte, verwundete oder tote Zivilist_innen. Denn schon allein aus diesem Grund sollten Menschen aus Afghanistan in Europa Schutz erhalten. Es geht um die Ignoranz der Regierungen und verantwortlichen Behörden in Europa, denen das Schicksal von Geflüchteten offenbar egal ist.

Dazu kommt, dass sich die Anerkennungsquoten für Geflüchtete aus Afghanistan - wie aus vielen anderen Ländern - in der EU von Land zu Land massiv unterscheiden. Einige Länder gewähren so gut wie nie
Asyl (in Ungarn wurden lediglich 7,4% der Geflüchteten aus Afghanistan anerkannt), während andere Länder etwas kulanter sind. Insgesamt muss resümiert werden, dass die EU Staaten bewiesen haben und weiterhin beweisen, dass sie nicht willens sind, Geflüchteten Schutz zu gewähren. Statt dessen werden Regierungen, wie jene Afghanistans unter Druck gesetzt, ihre Bürger_innen zurück zu nehmen.

Wenn am kommenden Wochenende die Regierungsspitze Afghanistans, u.a. Präsident Ashraf Ghani, zur in München stattfindenden Nato-"Sicherheitskonferenz" kommen, wird wohl kaum die Sicherheit der Bevölkerung auf der Tagesordnung stehen. Statt dessen werden sich die militärischen, politischen und wirtschaftlichen Eliten treffen, um über restriktive Maßnahmen zu beraten - und die unsichere Lage vieler Menschen weiter verschärfen. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn Geflüchtete aus Afghanistan vor den Toren der prunkvollen Konferenzräume ein Ende des Brüsseler Rückübernahmeabkommens vom Oktober 2016 fordern.


Es ist Zeit, zu handeln


Die Geschichten abgeschobener Menschen werden ignoriert, in den kommerziellen Mainstreammedien wird so gut wie nie darüber berichtet. Daran ändert auch nichts, dass zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, wie z.B. Amnesty International, über die Tötung von in Kriegsgebiete abgeschobene Menschen berichten.

Anstatt die Abschiebungen zu stoppen und - entsprechend der beschworenen "europäischen Werte" - Menschen Schutz zu gewähren, nehmen die Abschiebungen ständig zu. 2015 wurden europaweit 3260 Personen nach Afghanistan abgeschoben. 2016 verdreifachte sich diese Zahl nahezu auf 9460 Personen. Und die Zahlen werden in den kommenden Jahren weiter zunehmen, wenn es zu keiner Änderung der Abschiebepolitik kommt.

Vor diesem Hintergrund haben Menschen aus mehreren Ländern der EU beschlossen, ein starkes Zeichen gegen die Abschiebungen nach Afghanistan zu setzen. Nachdem Proteste gegen Abschiebungen auf nationaler Ebene nur :: in Einzelfällen erfolgreich waren/sind, wurde eine Initiative gestartet, den Widerstand europaweit sichtbar zu machen, um so den Druck auf die Verantwortlichen zu erhöhen. Die Initiative "Don't Send Afghans Back. Europäer_innen gegen Abschiebungen nach Afghanistan - Afghanistan ist nicht sicher!" wurde ins Leben gerufen. Als Datum wurden der 17. und 18. Februar 2017 gewählt: An diesen beiden transnationalen Aktionstagen finden europaweit Demonstrationen, Aktionen, Kulturveranstaltungen und mehr statt.

Migrant_innen, Geflüchtete und solidarische Menschen werden gemeinsam ein Ende der Abschiebepolitik fordern - denn: Eine Politik der Bewegungsfreiheit ist möglich - ohne tausende Tote an Grenzen und ohne Abschiebungen!


Eine Auflistung der europaweiten Proteste gibt es im Kalender auf :: dontsendafghansback.eu, eine Übersicht über die Proteste in Österreich in der :: Presseaussendung der Wiener Vernetzung gegen Abschiebungen.