Alles andere als ein Einzelfall
Achmed saà drei Wochen in Abschiebehaft in Kassel, bevor er an einem frühen Dienstag Morgen wieder aus dem Gefängnis abgeholt und die ganze Fahrt über mit auf den Rücken gefesselten Händen zum Flughafen nach Düsseldorf transportiert wurde. Dort sperrte ihn der BGS in eine große Halle, in der bereits zwei Dutzend Menschen warteten und in den nächsten Stunden weitere hinzukamen.
Unter den Eingesperrten befand sich eine Familie und 3 junge Männer aus Rumänien, zwei aus dem Libanon und alle anderen, etwa 50 Personen hatten die Türkische Staatsangehörigkeit. Unter diesen befanden sich mehrere Männer, die bereits mehrere Jahre im Knast saßen und eher froh waren, zum Teil auf Halbstrafe abgeschoben zu werden. Dann waren da Leute wie er selbst, die zuvor wegen fehlender Aufenthaltspapiere über Wochen oder Monate in Abschiebehaft saßen, aber auch drei Familien mit kleinen Kindern, die frühmorgens in ihren Wohnheimen regelrecht überfallen, festgenommen und hier nach Düsseldorf gekarrt wurden.
Eine der Familien war in völlig verzweifeltem Zustand, sie hatten auch keinerlei Geld dabei, die Mutter und die Kinder weinten die ganze Zeit. Achmed war mehr als erstaunt, wie dann ein Türkischer Mann die Initiative ergriff und es ihm gelang, unter allen Gefangenen nahezu 300 DM für diese arme Familie einzusammeln. Fast unglaublich, daß in dieser angespannten Situation kurz vor der Abschiebung und in dieser willkürlichen Zusammensetzung solche solidarität dennoch zustande kam.
Gegen 15.30 Uhr, Achmed war seit über 5 Stunden hier in der Halle, wurde das Tor geöffnet. Das Flugzeug wartete. Etwa 30 BGS-Beamte bildeten ein Spalier, das vom Ausgang der Halle bis zum Eingang eines großen Busses führte. In einigen Metern Abstand waren weitere, mit Maschinenpistolen bewaffnete BGSler postiert. Die Botschaft war klar: Fluchtversuche sind ohne Chance.
Der Bus brachte die knapp 60 "Deportees" in wenigen Minuten zum Flugzeug, dort dasselbe Spiel nochmal: eine Doppelreihe BGS, reichlich rassistische "Abschiedssprüche", bevor die "Deportees" im Flugzeug der rumÀnischen Airline Tarom verschwinden.
Die rumÀnischen Sicherheitsbegleiter im Flugzeug geben sich freundlich, doch zu Essen gibt es gar nichts. Etwa zwei Stunden später am Flughafen in Bukarest müssen alle aussteigen, unter massiver bewaffneter Begleitung rumÀnischer Polizisten werden die Türkischen StaatsAngehörigen in eine große Halle gesperrt, die rumÀnischen und libanesischen Landsleute wurden in andere Richtungen weggebracht. Dann eine Stunde weiteres Warten in der Halle, eine Verständigung mit den rumÀnischen Polizisten war schon sprachlich nicht möglich. Kein Essen, auch die Bitte um ein Telefonat in die Türkei wurde abgelehnt. Der zweite Flug dann war kürzer, gegen 20 Uhr landeten die Abgeschobenen in Istanbul, Verhöre und Befragungen begannen ...
Der Mann hieß nicht Achmed, ansonsten folgt der vorstehende Bericht ziemlich genau den in einem Interview geschilderten Erlebnissen, die Flüchtlinge und MigrantInnen seit geraumer Zeit jede Woche in ähnlicher Form durchleben müssen. Regelmäßig, jeden Dienstag, findet eine solche Charterabschiebung statt, von Düsseldorf nach Bukarest und oft weiter nach Istanbul, Beirut, Amman.
über 10.000 Menschen sind in den vergangenen zwei bis drei Jahren in dieser Weise mit der rumÀnischen Fluglinie Tarom abgeschoben worden.
Neue Abschiebestrategien
Der offizielle Report vom Mai 2000 formuliert es nochmals eindeutig: "Bei Personen, die gewalttätigen Widerstand gegen ihre Abschiebung leisten, sollen verstärkt Kleinstchartermaschinen (sog. Lear-Jets) und SammelRückführungen eingesetzt werden". Die deutschen Innenminister hatten eigens eine Arbeitsgruppe von StaatssekretÀren beauftragt, Vorschläge "zur Beseitigung von Rückführungsschwierigkeiten" zu erarbeiten. Deren Empfehlung
dürfte forciert haben, was die auf Abschiebungen spezialisierten StÀbe des Bundesgrenzschutz in Koblenz mit geradezu krimineller Energie seit mehreren Jahren betreiben: kleine und größere Gruppen "potentiell renitenter" Flüchtlinge und MigrantInnen unter Ausschluß jeglicher Öffentlichkeit abzuschieben, koste es was es wolle.
Hintergrund dieser veränderten Strategie sind die wachsenden Hindernisse, mit denen die Profiabschieber spätestens seit dem Tod von Aamir Ageeb im Mai 1999 konfrontiert sind. Immer häufiger verweigern die Piloten in Linienmaschinen die Mitnahme der unfreiwilligen Passagiere, die Kampagnen gegen die Fluggesellschaften, in der BRD insbesondere gegen die Lufthansa,
haben ein übriges dazu beigetragen, daß "Problemabschiebungen" besonderer maßnahmen bedürfen.
Taroms Abschiebeservice
Die Dienste der Tarom fügen sich gleich mehrfach bestens in diese Sachlage ein:
- Zur Zeit startet regelmäßig jeden Dienstag vom Düsseldorfer Flughafen aus eine Maschine der Tarom, die mit 30 bis 80 sog. Deportees besetzt ist.
- Tarom bietet eigenes Sicherheitspersonal, das die Betroffenen am Eingang der Fliegers übernimmt und für Widerstandsfälle gar mit Elektroschockgeräten ausgerüstet ist.
- Tarom transportiert in den Abschiebechartern nicht allein ausgewiesene rumÀnische Staatsangehörige, sondern in der Mehrzahl Menschen mit Türkischem PaÃ, oftmals KurdInnen, und auch libanesische Staatsangehörige.
Tarom ist alles andere als neu im AbschiebeGeschäft. Seit dem
PilotRückführungsabkommen, das die Bundesregierung im September 1992 mit Rumänien abschloß, werden diejenigen RumÀnInnen, die an der Ostgrenze beim Versuch der unkontrollierten Einreise festgenommen werden, u.a. mit Tarom vom Berliner Flughafen schönefeld nach Bukarest gebracht. Ende 1994 ist zudem bekannt geworden, daß Tarom zunächst im Rahmen der mittlerweile
etablierten RückbeFörderungsverpflichtungen (carrier sanctions) auch sog. Drittausländer, also Menschen aller Kontinente, nach Bukarest "zurück"fliegt und am dortigen Flughafen Otopeni eine Art Haftzentrum betreibt. Hier bleiben die "Deportees" eingesperrt, bevor sie dann in die vermeintlichen Herkunftsländer weitergeschickt werden.
Wie einleitend an einem aktuellen Fall beschrieben, werden die zur Zeit in erster Linie Türkischen und kurdischen "Transitdeportees" in einer schwerbewachten Halle am Flughafen Otopeni gefangen gehalten, wenn sie aus Deutschland ankommen und bevor sie mit einem zweiten Flugzeug nach Istanbul transportiert werden.
Tarom bietet also einen Allround-Abschiebeservice an, dem bezüglich der wöchentlichen Dienstagsflüge ein spezieller BeFörderungsvertrag mit Nordrhein-Westfalen zugrunde liegt. Planung und Koordinierung der SammelRückführungen liegen zumindest teilweise bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Doch auch die BGS-Direktion Koblenz hat in der Antwort auf eine Anfrage zumindest "Absprachen" mit der Fluggesellschaft Tarom eingestanden.
Der BGS hat sicherlich ein hohes Eigeninteresse an dieser Zusammenarbeit.
Denn nach der übergabe am Flugzeug müssen sich BGS-Beamte bei
Sammelabschiebungen mit Tarom "die Finger nicht mehr schmutzig machen". Die Tarom-Sicherheitsbegleiter übernehmen diesen Job, notfalls unter Einsatz von Elektroschockgeräten, wie bereits 1999 öffentlich bekannt wurde.
Damals, am 11.5.99, war der kurdische Flüchtling Fercent Ucar, schon auf dem Weg zum Flugzeug vom BGS an Händen und Füßen gefesselt, geschlagen und vermutlich auch medikamentÃŒs ruhiggestellt worden. Während des gesamten Fluges blieb Herr Ucar gefesselt, er wurde erneut geschlagen und mit besagtem Elektroschockgerät malträtiert. Von offizieller Stelle hieß es,
Tarom habe angegeben, daß alle Versuche, "den renitenten Herrn U. zu beruhigen, fehlgeschlagen waren und zur Vermeidung einer Notlandung und zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung einmalig und kurz ein Elektroschockgerät eingesetzt wurde." Bei einem weiteren Gespräch mit UNHCR-Vertretern in Bukarest bestätigten die Tarom-Verantwortlichen, daß bei jedem Abschiebeflug drei Elektroschockgeräte mitgeführt würden.
Schon für das Jahr 1999 waren die Abschiebezahlen auf dem Flughafen Düsseldorf rasant angestiegen, von den 4355 Abgeschobenen waren nach offizieller Statistik die meisten "begleitet", und zwar von "privatem Sicherheitspersonal". Dieser Entwicklung liegen in allererster Linie die Sammelabschiebungen mit Tarom zugrunde. Bei wöchentlich 30 bis 80 "Deportees" müssen jährlich 2500 bis 3000 Abschiebungen allein von Düsseldorf aus hochgerechnet werden: sicherlich der größte und profitabelste
Posten im AbschiebeGeschäft der Tarom. Doch dazu kommen Abschiebungen von Flughäfen aus der gesamten BRD mit Tarom, die in Einzelfällen sogar nach Nigeria oder auch Sri Lanka gehen.
Zudem bemüht(e) sich Tarom um weitere Abschiebevereinbarungen mit deutschen Behörden; konkret war Tarom Ende 1999 zumindest bezüglich Kongo im Gespräch.
Deportation-Class Kampagne gegen Tarom?!
Romanian Air Transport, kurz Tarom, meldet enorme Wachstumszahlen. Mittlerweile werden jährlich über eine Million Passagiere auf internationalen und inländischen Routen durch diese staatliche rumÀnische Fluggesellschaft (zu 97% in der Hand des Transportministeriums) befürdert.
Doch weniger Schwarzmeertouristen als vielmehr Geschäftsreisende hat Tarom im Visier, orientiert am seit 1990 stetig wachsenden Ost-West-Handel "mit dem ÃŒstlichen Wirtschaftszentrum Bukarest".
Im letzten Jahr als 28. Mitglied in der Assoziation Europäischer Airlines (AEA) aufgenommen, bemüht sich Tarom augenscheinlich, ihr Schmuddelimage loszuwerden. Tarom erhält EU-Gelder und kooperiert in Consulting-Programmen mit Lufthansa. Bei ihrer Luftflotte aus mittlerweile 21 Flugzeugen setzt sie auf Jets aus dem Westen. "Comfort, Safety and Style" werden betont, und
Vielflieger können "Smart Miles"-Vergünstigungen erwarten.
In ihrer Zeitschrift "Insight" zelebriert Tarom den "Dialog" mit ihren
Passagieren. Zwar ist als Kontakt noch keine Email-Adresse angegeben, doch eine website existiert: http://tarom.digiro.net.
In Berlin, Frankfurt und Düsseldorf befinden sich eigene Tarom-Büros, in München und Stuttgart Agenturen. außerdem sind die Dienstagscharter von Düsseldorf aus ja relativ berechenbar.
Insofern bestehen mehrere Anknüpfungspunkte für erste Aktionen und alles in allem scheint der Versuch auf jeden Fall lohnenswert, dem aufstrebenden Unternehmen Tarom eine Imageverschmutzungskampagne anzudrohen, wenn sie ihre
Rolle in der deportation-alliance nicht baldigst aufgibt.