Eindrücke von einem Workshop auf der Konferenz "Bleiberecht JETZT" am 4. April 2008 in Linz. Über Aktionsformen, mögliche Ansatzpunkte und andere Themen.
Als ein Programmpunkt der Konferenz Bleiberecht JETZT (ein Bericht folgt...) wurden fünf gleichzeitig stattfindende Workshops angeboten. Sie sollten ein Forum zum Austausch, zur Vernetzung und zur Planung weiterer Aktionen bieten. Am Programm standen:
1. Der Austausch über bisherige Aktionsformen und mögliche Ansatzpunkte
2. Vernetzungsstrategien von KünstlerInnen
3. Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Bleiberecht
4. Möglichkeiten gemeinsamer, österreichweiter Aktivitäten
5. Aktivitäten im Schulbereich
Im folgenden der Versuch, den Inhalt der Diskussion von Workshop 1 wiederzugeben, wobei eine subjektive Beurteilung nicht zu vermeiden ist. Am Ende folgt der Versuch einer kritischen Reflexion.
Einleitung
Der Leiter des Workshops, ein Journalist bei einer OÖ Regionalzeitung, erzählte eingangs, dass versucht wurde über Berichterstattung in den Medien Abschiebungen zu verhindern. Es sei wichtig, Öffentlichkeit herzustellen. Je mehr, desto besser für die 65 "gut integrierten Familien" in Oberösterreich. Dass nur einige wenige in den Medien präsent sind, wurde damit erklärt, dass zwar für alle gekämpft wird, jedoch nicht allen ein Gesicht gegeben werden könne. Danach wurden drei Fragen für die Diskussion im Workshop gestellt:
1. Welche Aktionen gab es schon?
2. Was können wir noch machen?
3. Die Grundsatzfrage: Machen Aktionen Sinn? Oder verärgern wir damit Beamte, die die Entscheidungen treffen - und für die Vergabe eines (humanitären) Aufenthaltsrechts zuständig sind.
Kleine Erfolge
Die Diskussion wurde mit einem Bericht über Unterschriftenlisten eröffnet, mit denen tausende Leute das Bleiberecht von einzelnen Familien forderten. Weiters wurden Spenden für die Familien gesammelt, denn AsylwerberInnen ist es - wie vielen MigrantInnen - nur in Ausnahmefällen erlaubt, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Ein Teilnehmer erzählte von Pressekonferenzen und (kurzen) Fernsehauftritten, in denen die Situation einer Familie dargestellt werden konnte. Somit wurde dieser Fall sehr bekannt und die zuständige Bezirkshauptmannschaft (BH) in Perg stellte beim Innenministerium einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht - über den jedoch noch nicht entschieden wurde. In der Folge entschied sich die BH, den Abschiebeauftrag der Behörden auszusetzen (diese Möglichkeit haben Bezirkschefs in Österreich) und somit konnte eine Abschiebung zumindest vorübergehend verhindert werden.
Klassifizierung
Mehrmals wurde betont, wie wichtig es sei, mit Argumenten an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn Gesetze seien veränderbar, während die Menschenrechte fest stünden. Für Österreich sei es ein Gewinn, wenn integrierte Familien hierbleiben dürften. Der Redner bezog sich dabei auf die niedrige Geburtenrate in Österreich - und erntete Widerspruch. Die Harmonie wurde etwas gestört, als ein Teilnehmer Kritik an der Klassifizierung "gut integriert" äußerte. Weiters gehe es nicht um Hilfe sondern darum, solidarisch zu sein, sich auch mit kapitalistischer Ausbeutung und globaler Ungleichheit auseinander zu setzen...
Der Workshopleiter warf ein, dass diese Diskussion einen eigenen Tagespunkt darstellen würde und er die Aufgabe hätte, den Workshop entlang der eingangs gestellten Fragen zu leiten. Es ginge darum, über Aktionen für "unsere Flüchtlinge" zu reden. Doch schon die nächste Rednerin bezog sich sofort auf die zuvor geäußerte Kritik. Als gläubige Frau orientiere sie sich daran, wie Jesus gehandelt hätte - und sicher keineN ausgegrenzt.
Differenzen
In der Folge wurde die Diskussion hitziger - und damit auch interessanter, da unterschiedliche Zugänge und Positionen zum Vorschein kamen. So argumentierte ein weiterer Redner, "wir" würden in einem Rechtsstaat leben und es gäbe Gesetze, an die sich mensch halten müsse... Doch auch diese Wortmeldung erzeugte sofort Widersprüche, denn genau jene - rassistischen - Gesetze, die Menschen illegalisieren und ihnen das Aufenthaltsrecht absprechen, werden in den Bleiberechtskämpfen in Frage gestellt.
Die Kontrolle über den weiteren Fortgang der Diskussion zu wahren, fiel dem Workshopleiter nicht leicht. Erneut wollte er zum Thema zurück kehren und stellte die Frage in den Raum, ob es weitere Aktionen geben soll. Doch für die Anwesenden war ohnehin klar, dass es weitere Aktionen geben soll, denn deshalb waren die meisten ja gekommen. Um so nachdrücklicher wurde die Frage aufgeworfen, ob es auch Platz für Meinungsaustausch gäbe?
Unwissen
Es folgte eine Auseinandersetzung, an wen sich die Proteste richten sollen. Mehrere Leute meinten, dass es vor allem darum ginge, die Bevölkerung aufzuklären, da diese oft nicht über die Situation von Flüchtlingen bescheid wisse. Aufgefallen ist, dass zahlreiche Flüchtlinge und MigrantInnen anwesend waren, die sich auch zu Wort meldeten. Denn, und das sollte klar sein, sind es gerade sie, die nur selten die Möglichkeit haben, vor einem größeren Publikum über ihre konkreten Probleme zu erzählen. Doch sollte an dieser Stelle kritisch bemerkt werden, dass der Workshopleiter konsequent versuchte darauf hinzuweisen, dass dies jetzt nicht Thema sei und wollte - unter Widerspruch mehrere Anwesender - "zum eigentlichen Thema des Workshops" zurück kommen.
So wurde festgestellt, Österreich sei ein Rechtsstaat. Und deshalb sei es wichtig, auf die grundsätzlichen Probleme hinzuweisen. Familien würden oft abgeschoben, obwohl sie "integriert" sind. Manchmal würden auch nur die Männer abgeschoben, während die Frauen und Kinder bleiben dürften. Wieder wurde die Meinung geäußert, dass Gesetze befolgt werden müssen. Mit der Entgegnung, dass es nicht gerecht sei, dies so auszusprechen. Es gehe darum, die Gesetze zu ändern.
Habe ich keine Rechte?
Ein Flüchtling stellte sich kurz vor. Er kritisierte, dass ständig über integrierte Familien gesprochen wird und stellte die Frage: "Habe ich keine Rechte?" Die Antworten waren unterschiedlich. Von einigen Anwesenden wurde gemeint, dass die Plattform in OÖ neben 65 Familien auch 9 Einzelpersonen unterstütze. Eine zynische Zwischenmeldung verdient es, erwähnt zu werden: "Mit kleinen Kindern kann man besser arbeiten."
Dann wurde über regional unterschiedliche Voraussetzungen gesprochen. In kleinen Gemeinden, wo sich die Leute kennen, ist die Situation völlig anders als in der Stadt. Denn dort leben die Leute viel isolierter und es sei ein Glücksfall, wenn eine Familie Sympathie bekommt. Vor allem für Menschen, die alleine kommen, sei es oft schwieriger Anschluss zu finden. Die persönliche Motivation, sich für andere Menschen einzusetzen, ergibt sich meist aus einem persönlichen Kontakt. So ergab sich die Frage: Wie dann der nachbarInnenschaftliche Gedanke aus OÖ weiter verbreitet werden?
Kollektive Fälle
Wieder zurück zum Thema: Welche Aktionen können wir machen? Die Antwort: Es sei wichtig, nicht immer nur ÖsterreicherInnen sprechen zu lassen. Wichtiger sei es, den Menschen ein Sprachrohr zu geben, die für ein Bleiberecht kämpfen. Der Wunsch nach kollektiven Schreien wurde geäußert.
Soll eine Einzelfallstrategie verfolgt werden? Es sind die Regelfälle, die das System produziert. Zur Präsentation von Einzelfällen gibt es immer unterschiedliche Positionen. Wichtig ist auch darauf zu achten, dass Menschen nicht instrumentalisiert werden. Und dass der Schritt in die Öffentlichkeit einiges an Mut bedeutet. Doch wird vor allem in medialen Kampagnen nicht auf die Präsentation von Einzelfällen verzichtet werden. Eine Idee war, eine gemeinsame Plattform im Internet zu schaffen. Dort sollen alle Fälle präsentiert und einzelnen lokalen Gruppen vorgestellt werden. Auch damit mensch die Möglichkeit hat, Kontakt aufzunehmen.
Themenwechsel
Ist Afrika ein verlorenes Land? Ist es überhaupt nur ein Land? Jedenfalls kommen das Rote Kreuz, die UN, ... alle kommen nach Afrika - erinnert sei an den fortschreitenden Kolonialismus - und ein paar AfrikanerInnen sind jetzt in Österreich, in Linz. Das Leben hier bedeutet viele Schmerzen, kostet viel Kraft...
Doch darüber will der Moderator nichts hören. So wurde der alltägliche Rassismus angesprochen. So haben vor allem Schwarze kaum eine Chance, einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung zu finden. Deshalb braucht es neben einem Aufenthaltsrecht auf jedem Fall auch das Recht, einer Erwerbsarbeit nachgehen zu dürfen. Die PolitikerInnen würden jedenfalls schon unter Druck stehen, wie am Beispiel Graz zu sehen sei. (Ich meine, dass Wahlen oft viel zu viel Bedeutung zugeschrieben wird, aber will doch fragen: Ist die Wahl in NÖ schon vergessen?) Zum Bleiberecht wurde festgehalten: In zwei Jahren hat eine von 65 Familien ein humanitäres Aufenthaltsrecht erhalten. Trotzdem seien Proteste wichtig, denn viele Abschiebungen konnten so zumindest vorerst verhindert werden. Selbst Einzelpersonen können etwas bewirken - wenn sie genug Ausdauer haben.
Praktisches
Nun stellte sich die Frage: Für wen protestieren wir eigentlich? Ist unser Engagement für andere Leute oder ist es ein Kampf auch für uns selbst, weil wir z.B. der Überzeugung sind, dass etwas verändert werden muss? Wichtig erscheint jedenfalls, sich (mehr) Zeit zu nehmen, darüber zu diskutieren und auch zuzuhören, was andere zu sagen haben. Auch Widersprüche sollten zumindest benannt werden.
In der Diskussion um mögliche Aktionsformen wurde verschiedenes angesprochen. Eine Abschiebung zu verhindern ist schwieriger, als eine Demo zu organisieren. Und es erfordert Ausdauer. Doch beides ist wichtig, denn nur wenn viele Aktivitäten nebeneinander geschehen, kann etwas erreicht werden. Als praktisches Beispiel wie eine Abschiebung mit einem Linienflugzeug verhindert werden kann, wurde eine Aktionsform genannt, die schon öfters erfolgreich war. So können am Flughafen Leute angesprochen werden, dass sie sich in Fall, dass mit ihrem Flieger eine Abschiebung stattfinden sollte, weigern hinzusetzen und sich anzuschnallen. (siehe dazu :: Tipps um Abschiebungen zu verhindern)
Vernetzte Aktionen
Im Laufe der Diskussion entstanden auch ein paar konkrete Ideen für weitere Aktionen. So wurde einerseits von einem gemeinsamen Aktionstag gesprochen. Als Beispiel wurde der :: Tag ohne Abschiebungen am 30. August 2008 genannt. Aber auch die Idee einer Großdemonstration in Wien wurde eingebracht.
Weiters wurde die Wichtigkeit der Medien betont und dazu angeregt, LeserInnenbriefe zu schreiben. Denn wenn die Medien mitbekommen, dass das Thema Bleiberecht viele interessiert und Diskussionen hervorruft, dann würde auch mehr darüber berichtet. Auch auf die Möglichkeit, Briefe, Faxe oder E-Mails an PolitikerInnen zu schicken, wurde hingewiesen und aus eigenen Erfahrungen berichtet. Hier war aber auch die Sinnfrage heraus zu hören, als von 5.000 E-Mails berichtet wurde - und sich immer alles im Kreis drehe.
Als konkreter Vorschlag wurde die Aktion Mailaktion Bleiberecht JETZT mit dem Titel: "dienstags um 3 - Aufbruch für Menschlichkeit" genannt, im Rahmen derer bereits seit längerem jede Woche zur genannten Zeit E-Mails an Innenminister, Bundeskanzler, Vizekanzler und den OÖ Landeshauptmann geschickt werden. (Mehr zur :: Mailaktion Bleiberecht JETZT)
Ein paar Forderungen
Eine Aktivistin aus Steyr, wo sich eine Gruppe gegründet hat, die sich für AsylwerberInnen und Flüchtlinge einsetzt, erzählte kurz über Aktionen (siehe dazu einen :: Demobericht aus Steyr) und nannte fünf Forderungen, die sie aufgestellt haben, in der Folge zusammengefasst:
1. Weitere Fluchtgründe zulassen (als in der Genfer Flüchtlingskonvention festgeschrieben) und neue Situation erkennen, wie den Klimawandel und Naturkatastrophen.
2. Nach drei Monaten in Österreich freier Zugang zum Arbeitsmarkt und Zugang zu Bildung.
3. Freie Wahl der Unterkunft und des Wohnortes.
4. Wahlrecht für AsylwerberInnen (Bei dieser Forderung merkte die Rednerin selbstkritisch an, dass das zuvor kritisierte "unbescholten" vorkomme).
5. Es darf nicht strafbar sein, illegalisierten, von Abschiebung bedrohten Menschen zu helfen.
Der Workshopleiter sagte, dass es wichtig sei, diese Forderungen weiterzuleiten und wies darauf hin, dass nur noch wenig Zeit sei. Sehr selektiv erteilte er in der Folge die "Erlaubnis" zum Sprechen. Und obwohl sich noch viele Leute gemeldet hatten, beendete er recht schnell die Diskussion.
Gleiche Privilegien für Alle
Der Workshop war auf jeden Fall spannend, wenngleich es einiges zu kritisieren gibt. Vor allem die Diskussion, für wen nun die Forderung "Bleiberecht JETZT" gestellt wird, scheint sehr wichtig. Aussagen wie; "Aber wir können doch nicht alle nehmen" oder dass Unterschiede gemacht werden müssten - Stichwort: Straftäter(Innen) - sind mit der Forderung nach einem Bleiberecht FÜR ALLE nicht vereinbar. Außerdem sind derartige Aussagen, die tatsächlich im Rahmen des Workshops gefallen sind, rassistisch - auch wenn dies viele nicht verstehen wollen.
In Zukunft sollte von vornherein mehr Zeit für Diskussionen eingeräumt werden, auch wenn dann weniger Zeit für die Beiträge von Promis am Podium bleiben sollte. Und vor allem sollten Flüchtlingen und MigrantInnen die Möglichkeit haben, für sich zu sprechen und ihre Inhalte einzubringen. Denn wenn rassistisch Diskriminierte zu machtlosen Opfern stilisiert werden, wird damit das "HelferInnenunwesen" legitimiert. Wenn Rassismus individualisiert wird, stehen "EinzeltäterInnen" in der Kritik (wie z.B. der Innenminster). Dadurch werden aber gleichzeitig die strukturellen Wurzeln des Rassismus negiert. Statt sich über rassistische Artikulationen zu empören (Stichwort: FPÖ), sollte am Prinzip der Illegalisierung gerüttelt werden. Denn Rassismus ist keine "Krankheit", viel mehr sollte er als Normalität begriffen und als solche bekämpft werden. Er ist strukturell verankert und überall anzutreffen - auch auf antirassistischen Konferenzen.
Konfliktlinien
Es braucht eine differenzierte Sicht auf Rassismen. Denn diese werden nicht nur von oben gemacht, sondern repräsentieren auch den "Willen des Volkes", wobei schon der verwendete Begriff des "Volkes" problematisch ist. Es bedarf mehr Radikalität und einer Hinterfragung der eigenen Position. Sonst könnte sich der Kampf für Bleiberecht zu einem Podium für etablierte FürsprecherInnen entwickeln.
Es geht nicht nur um einen Kampf für die Betroffenen - wie sie immer bezeichnet werden. Es geht um eine grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung bei der die Privilegien hinterfragt und Utopien formuliert werden. Utopien wie offene Grenzen oder eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Es geht darum, Diskriminierungen in ihrer Gesamtheit zu begreifen und zu bekämpfen. Doch das schafft zwangsweise Konfrontation und Konflikte, in denen eine Positionierung wichtig ist. Denn ein gemeinsamer Kampf kann nur dann gemeinsam geführt werden, wenn es eine Gemeinsamkeit gibt.
Zum Abschluss sollte noch angemerkt werden, damit es nicht in Vergessenheit gerät: Rassistisch Diskriminierte können für sich selber sprechen und kämpfen.