Retter von Boots- flüchtlingen müssen in Italien mit vier Jahren Haft rechnen. Urteil ist kommende Woche zu erwarten. Ein Gespräch mit Fanny Dethloff.
Fanny Dethloff ist Vorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Das Interview führte Gitta Düperthal für die Tageszeitung Junge Welt.
Sie haben zur weltweiten Solidarität mit Elias Bierdel und Kapitän Stefan Schmidt aufgerufen, die im Juni 2004 mit ihrem Einsatz vom deutschen Schiff Cap Anamur aus 37 afrikanische Bootflüchtlinge aus Seenot retteten. Beide müssen sich jetzt in Italien vor Gericht verantworten. Wie konnte es dazu kommen?
Nach ihrer Rettungsaktion auf dem Mittelmeer wurden der Kapitän und Bierdel in Italien sofort inhaftiert. Seit 2007 läuft gegen sie ein Prozess wegen »bandenmäßiger Schlepperei und Hilfe zur illegalen Einreise«. Inzwischen hat der Staatsanwalt alle Anklagepunkte fallen lassen - aber für die Angeklagten dennoch jeweils vier Jahre Haft und zusätzlich 400 000 Euro Strafe gefordert. Der neue Vorwurf: Sie hätten Flüchtlinge zu Fundraising-Zwecken missbraucht.
Wie bitte? Und das soll mit vier Jahren Haft geahndet werden?
Ja, das ist ziemlich abenteuerlich. Aus unserer Sicht wird hier humanitäre Hilfe unter Strafe gestellt. 2004 war bei der Rettungsaktion viel Presse involviert, nun wirft man den Lebensrettern vor, sie hätten aus der medialen Aufmerksamkeit Profit schlagen wollen. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Es bringt auch nichts, über die Sinnhaftigkeit des Vorwurfs oder des Prozesses zu spekulieren - es gibt keine. Wir, die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und Pro Asyl, haben sofort reagiert, und weltweit eine Kampagne gestartet.
Wie kann man sich beteiligen?
Wir haben eine Postkartenaktion und eine Internetkampagne unter www.proasyl.de an den Justizminister in Italien gerichtet. Normalerweise setzen wir uns für Flüchtlinge in Deutschland ein, die wir in einer Kirchengemeinde aufnehmen und vor der Abschiebung beschützen. Aber hier geht es um die Kriminalisierung humanitärer Hilfe. Wir sind empört über den Versuch, couragiertes Handeln bestrafen und die Existenz der Helfer[Innen] zerstören zu wollen. Wir fordern ihre umfassende Rehabilitierung. 1200 Erstunterzeichner[Innen] aus 20 Staaten tragen unseren Aufruf »Humanitäre Hilfe ist kein Verbrechen«. Über 50 Organisationen haben unterschrieben, darunter der europäische Flüchtlingsrat ECRE, der italienische Flüchtlingsrat CIR, Fortress Europe, die Asylkoordination Österreich, Asyl in Not (Wien), SOS Mitmensch, die griechische Anwaltsvereinigung für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten, die US-Hilfsorganisationen »No more deaths«, die »Samaritans« und viele andere.
Wie wird es in Italien weiter gehen?
Wir wissen nicht, ob der Prozeß am 3. Juni zu Ende geht; seit 2007 müssen beide einmal monatlich nach Sizilien reisen. Das Ganze ist eine Farce - eignet sich aber zur sozialen Ausgrenzung: Den Angeklagten verursacht es hohe Kosten; es gibt kaum Arbeitgeber[Innen], die das mitmachen. Es wird Zeit, daß ein klarer Freispruch kommt. Zumal das Schiff Cap Anamur vom italienischen Staat beschlagnahmt wurde. Für dessen Freigabe mussen zwei Millionen Euro Kaution hinterlegt werden - im Fall einer Verurteilung würden sie einbehalten. Sämtliche auf dem Schiff geladenen Hilfsgüter - Medizin für den Irak - sind mittlerweile vergammelt, weil es keinen Strom gab, um sie zu kühlen. Der italienische Staat musse dringend auf Zahlung von Schadensersatz verklagt werden, sowohl für den Ausfall beruflicher Einnahmen der Helfer[Innen] als auch der medizinischen Hilfsgüter.
Ist das in die Politik vorgedrungen?
Bislang haben die Angeklagten wenig Hilfe erfahren. Durch unsere Kampagne ist am vergangenen Wochenende auch beim Kirchentag in Bremen Entsetzen laut geworden - das Innenministerium ist jedenfalls informiert. Das Auswärtige Amt müßte über die Botschaft in Rom tätig werden. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das alles nichts zu tun. Es ist ein politisches Verfahren und muss auch so beendet werden. Ich fände es beschämend für die Demokratie in Italien, wenn die einzige Opposition, die sich noch zu Wort meldet, die Ehefrau von Berlusconi wäre, die sich gerade scheiden lässt. Ich wünsche mir da deutlichere Zeichen.
Was ist aus den 37 Flüchtlingen geworden?
36 Leute sind ohne Anhörung sofort abgeschoben worden. Einer hat noch einmal versucht zu flüchten. Nach einer von einem Boot im Mittelmeer abgeschickten SMS hat sich seine Spur verloren.
Quelle :: jungewelt.de vom 26. Mai 2009.