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[ 13. Sep 2017 ]

Deutschland: Per Sammelcharter in die Unsicherheit

Afghanistan ist nicht sicher

Ende Mai starben 150 Menschen bei einem Bombenanschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul. Die Abschiebungen nach Afghanistan wurden in der Folge ausgesetzt. Doch nun stehen Wahlen an - und es kommt erneut zu Charterabschiebungen in das unsichere Land.

 

Abschiebungen trotz Unsicherheit


Grund für die zunehmende Gefährdung Geflüchteter aus Afghanistan in Europa ist ein Anfang Oktober 2016 zwischen der EU und der afghanischen Regierung abgeschlossenes Rückübernahmeabkommen. Dieses trägt den euphemistische Titel: "Joint Way Forward on migration issues between Afghanistan and the EU" (:: hier als pdf). Das Abkommen kam trotz des Wissens um die unsichere Lage in Afghanistan zustande.

Die :: Asylkoordination schreibt dazu: "Wie UNAMA, die United Nations Assistance Mission to Afghanistan, Anfang Februar 2017 bekannt gab, ist die Zahl der zivilen Opfer der Kampfhandlungen gegenüber dem Vorjahr erneut um drei Prozent gestiegen: 2016 kamen 3,498 ZivilistInnen ums Leben, 7.920 wurden verletzt. Besonders alarmierend ist die Zahl der Kinder, hier zeigt die Opferbilanz einen Anstieg von 24 Prozent auf 923 Tote und 2.589 Verletzte."

Deutschland, das trotz des Wissens um die unsichere Lage mehr als hundert abgelehnte Asylbewerber_innen mittels Sammelcharter abschob, sah sich jedoch gezwungen, Abschiebungen nach Afghanistan - vorübergehend - auszusetzen. Grund dafür war ein :: Terroranschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul am 31. Mai dieses Jahres, bei dem 150 Menschen getötet wurden. Die unsicher Lage in Afghanistan konnte von den deutschen Behörden nicht länger geleugnet werden.


Wahlkampfmanöver Abschiebung


Wie in Österreich ist in Deutschland derzeit Wahlkampf, was wohl die bundesdeutsche Regierung dazu bewegte, erneut Sammelabschiebungen nach Afghanistan durchzuführen.

Am Dienstag, dem 12. September startete nach mehreren Monaten erstmals wieder ein Abschiebeflieger vom Düsseldorfer Flughafen nach Kabul. :: Presseberichten zufolge sagte ein Sprecher des afghanischen Flüchtlingsministeriums der Deutschen Presse-Agentur, dass insgesamt elf Personen den Flug angetreten hätten, aber zunächst nur acht aus dem Flugzeug gebracht worden seien. Laut :: Afghanistan Zhaghdablai waren nur acht Personen an Bord der Maschine von Smart Wings. (Laut eines Sprechers des Flüchtlingsministeriums sei am gleichen Tag ein weiterer Charterflug mit acht Abgeschobenen aus den USA eingetroffen, sowie eine Person aus der Schweiz an Bord eines Linienfluges).

Von zahlreichen Seiten gab es bereits im Vorfeld Kritik an der mittlerweile sechsten Charterabschiebung aus Deutschland seit Dezember 2016:

"Das Düsseldorfer Bündnis :: Afghanischer Aufschrei (Nedaje Afghan) verurteilt die geplanten Abschiebungen in das Kriegsgebiet und fordert die sofortige Aussetzung aller Abschiebungen nach Afghanistan. Mittlerweile sprechen Berichte von Menschenrechtsorganisationen und der UN von der unsichersten Lage seit 2001 im Land. Tägliche Anschläge und Gewalt im gesamten Staatsgebiet werden trotz diverser UN-Berichte von der Bundesregierung ignoriert. Die Zahl der Binnenflüchtlinge ist allein im letzten Jahr um circa 660.000 Menschen angestiegen. (...)

Neben dem Abschiebeflug nach Kabul, geht am gleichen Tag auch ein Flieger in den Kosovo, bzw. Albanien und am Mittwoch ist ein Flug nach Serbien geplant. Hiervon werden vor allem Angehörige der seit Jahrhunderten diskriminerten und verfolgten Roma-Minderheit betroffen sein. Das Bündnis Afghanischer Aufschrei ist solidarisch mit allen Geflüchteten und fordert ein Ende der von rechtsaußen vorangetriebenen Abschiebepolitik der Bundesregierung."


Der :: Flüchtlingsrat NRW vermutet:

"Dass im selben Zuge von Düsseldorf auch ein Abschiebungsflug in den Kosovo und einer nach Serbien stattfinden werden, verdeutlicht, dass die Landesregierung NRW noch einmal hartes Durchgreifen beim Thema Abschiebungen demonstrieren möchte. Kosovo und Serbien sind sogenannte "sichere Herkunftsländer", so dass Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern in der Praxis so gut wie aussichtslos sind, obwohl insbesondere Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma im Westbalkan vielerorts von struktureller Diskriminierung betroffen und schutzbedürftig sind."

Am 12. September protestierten an die 200 Menschen in der Abflughalle des Flughafen Düsseldorf. Auf Transparenten und Schildern war u.a. zu lesen: "Abschiebungen stoppen", "Keine Abschiebungen in den Tod", "Refugees welcome" und "Afghanistan ist nicht sicher".


Drohende Abschiebung bedeutet Angst und Unsicherheit


Die drohende Abschiebung nach Afghanistan ist nicht nur für jene Menschen gefährlich, die abgeschoben werden. Menschen, die in ständiger Angst vor Abschiebungen leben, können sich selbst in Europa nicht sicher fühlen. :: Pro Asyl interviewte den 28jährigen Ramin M., der im August 2015 aus Herat, Afghanistan, vor den Taliban flüchtete. Auch sein Antrag auf Asyl wurde zuerst abgelehnt, doch er klagte dagegen und hat nun Chancen aus Asyl in Deutschland.

Auf die Frage "Was machen die Abschiebungen mit den afghanischen Flüchtlingen hier in Deutschland, wie geht es den Menschen?" antwortete er:

"Es geht ihnen schlecht. Ein Freund von mir, der in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnt, hat sich letzte Woche mit einem Messer selbst verletzt. Zum Glück haben seine Mitbewohner Schlimmeres verhindert. Ein 19jähriger afghanischer Junge in München hat sich letzte Woche getötet. Die Menschen haben jetzt richtig Angst, viele haben keine Kraft mehr. Wenn ich ihnen sage 'Bitte lernt Deutsch, sucht eine Arbeit, eine Ausbildung', sagen sie 'Warum, wenn ich keine Chance habe und zurück muss'." (...) "Wenn du Angst hast, lernst du nicht. Wenn du nicht weißt, ob du in Deutschland bleiben kannst oder nicht, integrierst du dich nicht. Auch in den Asylverfahren kommt es immer wieder zu Fehlern."

Ramin M. hat viele Unterstützer_innen, spricht mittlerweile gut deutsch und er engagiert sich selbst, denn er weiß, wie schwierig es jene Menschen haben, die isoliert in großen Sammelunterkünften leben: "Ich helfe ganz einfach. Ich kümmere mich um ihre Rechte im Asylverfahren, übersetze Asylbescheide und berate die Leute, wenn sie zur Behörde gehen. Ich mache für sie Arzttermine aus, suche mit ihnen einen Anwalt, solche Sachen."

Denn er weiß: "Ja, ich habe Glück. Aber tausende afghanische Flüchtlinge haben dieses Glück nicht."