Eine Geschichte über rassistische Stereotype, Widersprüche, Zwangsgewalt und Sonderflüge für Abschiebehäftlinge, Widerstand, Gefängnisse, Hungerstreiks und weitere Proteste.
Am 17. März 2010 sollte ein "Sonderflug für Abschiebehäftlinge in die nigerianische Stadt Lagos" vom Flughafen in Zürich starten. Insgesamt 16 Personen hätten gegen ihre Willen abgeschoben werden sollen, jede_r begleitet von zwei Polizist_innen. Es handelte sich um eine sogenannte Level 4 Abschiebung, mit Anwendung fast aller Zwangsmaßnahmen. Derartige Abschiebungen mittels Chartermaschinen starten immer öfter - und überall in Europa. Wegen des Ausschlusses der Öffentlichkeit und der damit verbundenen unbeobachteten Anwendung von Gewalt durch die Abschiebebeamt_innen gibt es seit Jahren Proteste dagegen.
Früher wurden sogenannte Problemabschiebungen meist mit Linienflugzeugen vollzogen. Nachdem es Ende der 1990er Jahre dabei mehrmals zu Toten gekommen war - vor den Augen zahlreicher Zeug_innen wurden abzuschiebende Personen brutal behandelt - wurde EU-weit an der Einführung von Abschiebungen mit Charterflugzeugen oder Militärmaschinen gearbeitet. Mittlerweile sind diese Abschiebeflüge zur Routine geworden, in zahlreichen EU-Verträgen fixiert, mit Unsummen finanziert und haben zahlreichen Firmen ein neues Geschäftsfeld eröffnet. Darüber hinaus soll die Grenzschutzagentur Frontex bald eigene Abschiebeflieger bekommen.
Während in Österreich Charterabschiebungen von angeblichen Menschenrechtsbeobachter_innen begleitet werden, werden in der Schweiz nach dem neuerlichen Toten im Zuge einer Abschiebung ebenfalls unabhängige Beobachter_innen gefordert. Schweizerischen Medien berichten, dass dieser Forderung von Organisationen wie Amnesty International nachgekommen werden soll und "in Zukunft ein unabhängiger Beobachter bei einer zwangsweisen Rückführung dabei sein wird", wie Jonas Montani, Sprecher des Bundesamts für Migration (BFM) in der NZZ angab. Als Grund wird die mit dem :: Schengenbeitritt der Schweiz notwendige Umsetzung der :: EU-Rückführungsrichtlinie angegeben. "In Kraft trete sie in der Schweiz voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres. Noch nicht klar sei, wie die Überwachung dann im Detail aussehen würde - etwa, woher die unabhängigen Beobachter kommen sollen."
Doch werden diese wohl kaum etwas an der Ausübung der Zwangsgewalt ändern, vor allem wenn sich Leute weiterhin gegen die Abschiebung wehren. Die Anwendung von Zwangsgewalt wird immer wieder als "notwendig" und "legitim" bezeichnet. Legitimiert wird die massiven :: Gewaltanwendung über rassistische Stereotype. So werden Afrikaner(_innen) immer wieder mit Drogen in Verbindung gebracht, was zu einer Gleichsetzung von Schwarz = Drogenhändler(_in) führt. Auch Alex (der Nachname wurde noch nicht bekannt gegeben), der am 17. März 2010 von Abschiebebeamten zu-tode-behandelt wurde, war "polizeilich wegen Drogenhandels verzeichnet", wie aus Medienberichten zu erfahren ist. Er wird so zur Bedrohung erklärt, um ein übermäßig brutales Vorgehen zu rechtfertigten. Widerstand gegen die Abschiebung wird als gewalttätig dargestellt. Er starb kurz vor der Zwangsausschaffung unter ungeklärten Umständen in Polizeigewahrsam und im Beisein des Chefs des Bundesamt für Migration.
Rassistisch "betroffen"
Dass von Alex Widerstand ausgehen wird, war den Behörden klar. Bereits einige Tage vor der Abschiebung trat er aus Protest dagegen in Hungerstreik und "habe sich heftig gegen seine Abschiebung gewehrt", schreibt eine Zeitung. Er "versuchte, sich der Ausschaffung zu widersetzen", eine andere. Und weiter: "Er konnte nur mit Gewalt gefesselt werden, wie es in der Mitteilung heisst. Man habe ihm an Händen und Füssen Manschetten angelegt, wie das auf solchen Sonderflügen aus Sicherheitsgründen üblich sei, sagte Marcel Strebel, Chef der Informationsabteilung der Kantonspolizei Zürich." Dem Gefangenen wurde laut Behörden zum "Schutz vor Selbstverletzungen" auch noch ein Helm aufgesetzt. Als die begleitenden Beamten merkten, dass ihr Gefangener keine Reaktionen mehr zeigte, wurden die Fesseln gelöst. "Das Begleiterteam und die sofort beigezogene Sanität leiteten Reanimationsmassnahmen ein. Trotzdem verstarb der Mann wenig später auf dem Flughafengelände. Alle Beteiligten seien sehr betroffen, so Strebel." Von welcher Betroffenheit wird hier gesprochen? Zahlreiche ähnliche Fälle in den vergangen Jahren belegen, dass eine derartige Behandlung im wieder zum Tod führt. Nichts desto trotz ist sie nach wie vor "auf solchen Sonderflügen aus Sicherheitsgründen üblich".
Einer jener Männer, die gemeinsam mit Alex hätten abgeschoben werden sollen, berichtete, dass er von den Beamten im Flugzeug mit dem Gurt festgeschnallt wurde und: "Er band mich fest, die Knie und die Füße." Darüber wurde nur deshalb berichtet, weil der Abschiebeflug nach dem "Zwischenfall" mit Todesfolge ausgesetzt und die überlebenden Gefangenen wieder in die Gefängnisse der zuständigen Kantone gebracht wurden. Aus zahlreichen früheren Berichten ist bekannt, dass Gefangene im Zuge von Charterabschiebungen so fixiert werden, dass sie sich nicht wehren können. In vielen Ländern fliegen Ärzt_innen mit, um notfalls einzuschreiten - und die Gefangenen mit Beruhigungsmitteln nieder zu spritzen. Pro abgeschobener Person befinden sich zwei bis drei begleitende Beamt_innen an Bord. Diese melden sich in der Regel freiwillig für diese Einsätze. Für mache mag das Geld der Grund für ihre Abschiebebereitschaft sein. Aus dem Blickwinkel einer langjährigen kritischen Beobachtung der Abschiebepraxis kann davon ausgegangen werden, dass der Großteil der Beamt_innen sich aus einer rassistischen Überzeugung heraus beteiligt. Bei Abschiebungen mit Linienflügen konnten Passagier_innen immer wieder beobachten, wie Beamte mit sichtlichem Spaß Menschen misshandelten. Später, wenn es zu Beschwerden oder gar zu einem Prozess kam, bezeichnten sich die Abschieber_innen meist als Befehlsempfänger_innen, die lediglich das tun würden, was im Rahmen ihres Berufes von ihnen verlangt würde. Doch sie versuchen immer wieder, ihr Vorgehen zu rechtfertigen.
Rassistische Stereotype als Rechtfertigung
In zahlreichen Artikeln in schweizerischen Medien zum Tod von Alex bei einer zwangsweisen Ausschaffung wird darauf hingewiesen, dass der Getötete wegen angeblichen Drogenhandels festgenommen wurde. Immer wieder wurde in der Vergangenheit bei Abschiebungen umgebrachten Menschen unterstellt, sie hätten mit Drogen zu tun und wären gewalttätig. Dass diese Behauptungen wider besseren Wissens der Legitimation einer rassistischen Praxis mit einkalkulierten Todesopfern dient, ist nicht von der Hand zu weisen. Die begleitenden Beamte kennen in der Regel den Akt der von ihnen "begleiteten" Person und verbreiten bewusst Unwahrheiten.
Im Fall von :: Marcus Omofuma, der am 1. Mai 1999 von drei Fremdenpolizisten aus Österreich umgebracht wurde, versuchten diese im Flugzeug mit falschen Behauptungen ihr Vorgehen gegenüber Passagier_innen rechtzufertigen. Diese hatten gegen das brutale Vorgehen der Beamten protestiert. Bis heute wird in Artikeln und Leser_innenbriefen diverser Zeitungen und Online-Foren immer wieder auf dieses rassistische Stereotyp zurückgegriffen.
Ein weiteres Beispiel ist die für :: Osamuyia Aikpitanhi tödlich endende Abschiebung am 9. Juni 2007 von Spanien nach Nigeria. Ihm wurde unterstellt, er werde in seiner Heimat wegen Mordes und Vergewaltigung gesucht. Eine Lüge, wie nigerianische Behörden berichtigten. In den spanischen Medien wurde das Gerücht jedoch nie widerlegt und lebt bis heute als Mythos zur Rechtfertigung rassistischer Zwangsgewalt weiter. Und dieser Mythos ist manifestiert in stereotypen Vorstellungen von der Gefährlichkeit der Anderen. Diese bleiben selbst dann verdächtig, wenn ihre Unschuld zweifelsfrei bewiesen ist. Denn hier geht es nicht um Delikte, hier geht es um Ausbeutungsverhältnisse, bei denen die Privilegierten versuchen, ihre Position mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten. Menschen wird das Recht auf Aufenthalt, ihr Existenzrecht abgesprochen, die Gefängnis- und Deportationsmaschinerie dient der Aufrechterhaltung der rassistischen Ordnung.
Sofortiger Stopp aller Ausschaffungen - Aussschaffungsgefängnisse schließen
"Das Schweizer Bundesamt für Migration bedauerte den Vorfall und sagte alle Sonderflüge für Abschiebehäftlinge bis auf Weiteres ab", ist aus der Zeitung zu erfahren. Doch wie weiter oben bereits ausgeführt, handelt es sich hier nur um eine vorübergehende Maßnahme. Bald sollen die Abschiebungen mit Sonderflügen - unter Einhaltung der Menschenrechte - weitergeführt werden. Doch fragt sich, welche Rechte Menschen haben, denen alle Rechte abgesprochen werden? Sie weiter jederzeit in Schubhaft genommen werden können? Eine Kontrolle durch die Polizei kann für Menschen ohne Aufenthaltsstatus die sofortige Inhaftierung und Einleitung eines Abschiebeverfahrens zur Folge haben. Politiker_innen und Behörden in :: Schengenland arbeiten daran, diese in Zukunft noch "effizienter" umsetzen zu können. Die Forderung nach einem Ende dieser rassistischen Willkür stößt bei den zuständigen Politiker_innen und Behörden nach wie vor auf taube Ohren. Doch sie wird immer wieder formuliert, so auch bei den Protesten der vergangenen Tage.
So beteiligten sich am Samstag, 21. März in Zürich um die 1000 Leute an einer :: Demonstration gegen die Ausgrenzungs- und Repressionsmaschinerie vom Landesmuseum durch die Zürcher Innenstadt zur Schlusskundgebung auf dem Helvetiaplatz. Die Demonstration war schon länger geplant gewesen, der gewaltsame Tod nur wenige Tage zuvor verlieh ihr traurige Aktualität und ein zentrales Thema. So wurden ein sofortiger und genereller Ausschaffungsstopp, eine kollektive Regularisierung für illegalisierte MigrantInnen und Bleiberecht für Alle gefordert. Die Forderung nach "sofortiger Schließung der Aussschaffungsgefängnisse" wurde um das :: Angebot zur Hilfe beim Niederreißen der dann nicht mehr benötigten Bauten erweitert.
Mit Hungerstreiks gegen Abschiebungen
Am 21. März 2010 fand ein :: Spaziergang zum Abschiebegefängnis Kloten statt, um den Gefangenen die Solidarität auszudrücken. Einige von ihnen waren nach dem tödlich endenden Abschiebeversuch wieder zurück nach Kloten gebracht worden. Die Vorfälle der vergangenen Tage haben hinter den Gitterstäben für Unruhe gesorgt. Mehrere Gefangene sind in Hungerstreik getreten. Die Behörden versuchen via Medien diesen Protest klein zu reden. Es handle sich um keinen "flächendeckenden Hungerstreik", da sich in dem für 106 Ausschaffungshäftlinge Platz bietenden Gefängnis höchstens zehn Häftlinge beteiligen würden. Die Gründe für den Protest liegen zwar auf der Hand und von einem Zusammenhang mit Todesfall wird ausgegangen, trotzdem werden sie von den Behörden aber als "unklar" abgetan. Rebecca de Silva, Sprecherin des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich gegenüber den Medien: "Wir wissen auch nicht, was sie damit genau fordern".
Das Amt für Justizvollzug hofft jedenfalls auf Streikabbruch und argumentiert einmal mehr rassistisch. Für die Behördensprecherin bezweifelt, dass die "hungernden Häftlinge tatsächlich nichts mehr essen". Es sei durchaus möglich, dass Mithäftlinge ihre Nahrung mit den Hungerstreikenden teile. Ein Argument, dass immer wieder zur Rechtfertigung der überlangen Inhaftierung von Hungerstreikenden herangezogen wird. Als hätten die Gefangenen keinen Anlass, über den notwendigen Gewichtsverlust Haftuntauglichkeit und somit die zumindest vorübergehende Freiheit zu erlangen. Menschenleben spielen in dieser eiskalt kalkulierten Abschottungspolitik offenbar keine Rolle.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Jänner 2006 starb der 20-jährige :: Ousmane Sow im Gefängnis Altstätten - verdurstet in Folge eines Hunger- und Durststreiks.
Weitere Todesfälle in Folge von Hungerstreiks sind aus österreichischen Abschiebegefängnissen bekannt. Der 20jährige :: Gaganpreet Singh K. starb am Morgen des 14. Sep 2009 nach 38 Tagen Hungerstreik im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernalser Gürtel in Wien.
Am 4. Oktober 2005 wurde :: Yankuba Ceesay in einer Isolationszelle des PAZ in Linz tot aufgefunden. Er befand sich in Hungerstreik. Als Todesursache wurde bei der Obduktion eine "Verkettung unglücklicher Umstände" festgestellt.
Am 22. Februar 2005 wurde :: Ben Habra Saharaoui tot in einer Einzelzelle im PAZ Hernalser Gürtel in Wien aufgefunden. Auch er befand sich in Hungerstreik. Die Umstände seines Todes sind bis heute unklar.
Die Proteste gehen weiter
Es ist anzunehmen, dass die Proteste im Ausschaffungsgefängnis Zürich-Kloten weitergehen; wie in allen Internierungseinrichtungen stehen sie :: auf der Tagesordnung, ihnen wird jedoch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Und auch außerhalb der Gefängnismauern gehen die Proteste weiter. Für Freitag, 26. März wird zu einer Demonstration vor dem Parlamentsgebäude in Bern :: aufgerufen. Zwischen 11:30 und 14:30 wird dort gegen den ungerechtfertigten Tod eines nigerianischen Staatsbürgers bei der geplanten Abschiebung am 17. März protestiert. "Nun ist es an der Zeit, das wir alle zusammen kommen, um zu sagen: Es reicht!"